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Unsterblicher Eigenmietwert – zumindest als Datenmaterial für Statistiken

Die hiesige Erhebung von Einkommenssteuern auf selbstbewohntes Wohneigentum gilt weltweit als eidgenössisches Kuriosum. Eine derartige Besteuerung von #Naturaleinkommen wird in dieser ausgeprägten Form nachweislich in keinem anderen westlichen Land praktiziert. Das ist ein Fakt. Und seit anfangs 2017 wird in Bundesbern – wohlgemerkt zum x-ten Mal – über die Berechtigung des Eigenmietwertes als Steuersubstrat debattiert. Dabei handelt es sich um eine rein politische Diskussion. So weit so gut. Warten wir daher ab, welches Kaninchen die Politiker:innen und die involvierten Bundesstellen in den nächsten Monaten dazu noch aus dem Hut zaubern werden. Die dazugehörige Disziplin heisst übrigens schachern.

Losgelöst vom materiellen Ergebnis dieser Ausmarchung haben wir aber bereits heute die Gewissheit, dass uns der Tatbestand des Eigenmietwertes als solcher hierzulande in jedem Fall erhalten bleibt. Weshalb? Der Konzept des Eigenmietwertes lebt und wie!


Stippvisite im statistischen Maschinenraum der Volkswirtschaft


Es geht um die Schnittstellen zwischen Wertschöpfung, Statistik und nationaler Buchhaltung. Dort im volkswirtschaftlichen Datenkranz ist und bleibt der Eigenmietwert ein relativ gewichtiges Rädchen in mindestens zwei volkswirtschaftlichen Schlüsselgrössen: dem Bruttoinlandprodukt (BIP) einerseits und dem Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) andererseits.


Zum BIP: In multinationalen Regelwerken zur Berechnung des #Eigenmietwertes im Rahmen der Bestimmung des nationalen BIP wird von «imputed rental of owner-occupied housing» oder «imputed rentals for housing» gesprochen. Manchmal findet sich auf die Bezeichnung «unterstellte Mietzahlungen». Solche Regelwerke gelten ohne Abstriche als verbindliche Buchhaltungsvorschriften für Staaten. Dass es sich hierbei keinesfalls um Krümel oder datenbezogenes Rauschen in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen handelt, zeigt ein Blick auf die USA.


Die grösste Volkswirtschaft der Welt weist für das Jahr 2022 ein nominales Bruttoinlandprodukt (GDP) von rund 25.4 Billionen US-Dollar aus. Davon gehen sage und schreibe 8 Prozent auf das Konto des für die USA von den dortigen Bundesstellen geschätzten Eigenmietwertes!

Auch in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) der Schweiz wird der Eigenmietwert von selbstgenutztem Wohneigentum berücksichtigt. Er basiert auf einer Schätzung und nicht auf einer empirischen Erhebung. In der revidierten Fassung der VGR (August 2017) figuriert die fragliche Grösse neu als Teilmenge in der NOGA-Klasse 682. Das Aggregat Eigenmietwert wird dort nicht gesondert ausgewiesen. Nach Einschätzung des Autors dürfte diese Grösse mit 4 bis 5% am schweizerischen BIP von 2021 partizipieren.


Zur LIK: Auch in der Messung der Teuerung fliesst der Eigenmietwert bzw. dessen Veränderung über die Zeit in die dazugehörigen Kenngrössen ein. Im US-amerikanischen Landesindex der Konsumentenpreise (Consumer Price Index, kurz «CPI») findet sich im aktuellen Warenkorb die Position «owners’ equivalent rent of residences». Dahinter steckt nichts anderes als der altbekannte Eigenmietwert. Das dortige Gewicht im Warenkorb beträgt statte 24%.

Die Vergleichsgrösse in der Schweiz beträgt aktuell gerundete 4.5% (unterstellte Miete für selbstgenutztes Wohneigentum). Weitere gerundete 15.6% gehen auf das Konto Wohnungsmiete. In der Summe ergibt sich ein Anteil von 20.1%, der die preisliche Entwicklung der Wohnungskosten im nationalen Leitindex für die Teuerung repräsentiert.


Moral von der Geschichte


Wohngebäude generieren einen Nutzen für deren Besitzer und Eigentümer. Dieser Nutzen lässt sich monetarisieren bzw. als Geldgrösse darstellen. Diese Werte fliessen korrekterweise ins BIP und den LIK von entwickelten Volkswirtschaften ein. Wer nun die Vermutung hegt, dass bei einer allfälligen Abschaffung des steuerlichen Eigenmietwertes in der Schweiz zusätzliche Arbeit auf die für die Erhebung der benötigten Rohdaten zuständigen Bundesstellen zukommt, irrt sich. Denn in beiden der beschriebenen Konstellationen arbeitet man mit vergleichsweise einfachen Modellen und Annahmen. Ein Abgleich – technisch gesprochen, eine Kalibrierung – mit Steuerdaten fand und findet nicht statt. Solche modellbasierten Vorgehensweisen sind vor allem bei der Berechnung des BIP eher die Regel als die Ausnahme. Daher ist es in jedem Fall und grundsätzlich ratsam, das BIP mit der gebührenden Vorsicht zu geniessen. Das gilt insbesondere für die dazugehörigen Prognosen. Sie stehen auf wenig solidem Grund.


Für die zuständigen Mitarbeiter:innen des Bundesamtes für Statistik ist es für ihre spezifische Aufgabenerfüllung ohne Belang, welches politische Schicksal dem steuerlichen Eigenmietwert dereinst beschieden sein wird. Mehr noch: Allfällige Regimewechsel in der steuerlichen Realität merken sie gar nicht. Ihre Arbeit wird dadurch in keiner Art und Weise tangiert. Ein Verzicht auf den steuerlichen Eigenmietwert verhielte sich zumindest für den Personalaufwand des Bundes kostenneutral.


Quellen:

https://www.bls.gov/cpi/factsheets/owners-equivalent-rent-and-rent.htm


Bild:

Archiv für schweizerisches Abgaberecht, Heft 3, 38. Band, 1969, S. 114.


Zur Geschichte des Eigenmietwertes in der Schweiz:

https://www.kaori.ch/single-post/2017/12/14/eigenmietwert-%C3%BCber-den-tellerrand-geschaut-teil-3


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