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Über eine Bauruine in St. Moritz zur laufenden Revision des Raumplanungsgesetzes



Die Idee zu diesem Blog kam mir in St. Moritz. (**). In dieser mondänen Destination findet auf kleinstem Raum aus architektonischer Sicht vieles: Bauten von preisgekrönten Stararchitekten, eindrückliche Hotelbauten sowie profane Zweckbauten. Besonders ins Auge gestochen ist mir jedoch eine lupenreine Bauruine.


Nur einen Steinwurf vom ehemaligen Olympia St. Moritzer Stadion entfernt steht ein eigentümlich anmutender Gebäudekomplex (vgl. rote Fläche im Titelbild). Er entpuppt sich bei Betrachtung vor Ort als ein verlassenes Schwimmbad mit mächtigem Sprungturm sowie Technikräumen und Umkleidekabinen. Unkraut wuchert überall. Schreiben sind eingeschlagen; Türen sind zertrümmert. Graffitis «schmücken» Betonwände. Eine waldähnliche Situation kaschiert die verlassene Baute. So stelle ich mir einen «vergessenen Ort» vor.


Szenenwechsel: laufende Teilrevision des Raumplanungsgesetzes


Gemäss dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) stehen rund 595'000 Gebäude ausserhalb einer Bauzone. Das entspricht 19% aller Gebäude. Aus naheliegenden Gründen ist raumplanerische Regulierung dieser Bautätigkeit bzw. Bauten hierzulande seit etlichen Jahrzehnten einer der politischen Dauerbrenner schlechthin. So zählen das Ankämpfen gegen die grassierende Zersiedelung neben dem Postulat der Verdichtung zum festen Kanon in der schweizerischen Raumplanung. Folglich kann es nicht überraschen, dass sich die gesetzgebenden Instanzen immer wieder über diese Materie zu beugen haben.


Die Schaffung oder die Modifikation von Gesetzen ist grundsätzlich ein ebenso anspruchsvoller wie schöpferischer Prozess. Die zu regelnden Themenbereiche sind fast immer anspruchsvoll. Und neben Kopfarbeit ist solides juristisches Handwerk unentbehrlich. Die laufende Teilrevision des geltenden Raumplanungsgesetz macht dazu keine Ausnahme. Im Gegenteil.


Gut gemeinte, aber stumperhaft aufgegleiste Revisionsbestimmungen


Inhaltlich wartet die aktuelle Revision mit bemerkenswerten Novitäten mit Blick auf das Bauen und Bauten ausserhalb von Bauzonen auf: a) dem Bestreben, die Anzahl der Gebäude im Nichtbaugebiet zu stabilisieren, b) der Ausschüttung einer Abbruchprämie, c) kein Erteilen eines «ewigen» Nutzungsrecht und d) der Schaffung von Nutzungszonen ausserhalb der Bauzonen, wobei zwingend Kompensations- und Aufwertungsmassnahmen damit verbunden sein müssen.


Beim letztgenannten Punkt geht es im Kern darum, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Realisierung von Neubauten ausserhalb von Bauzonen – quasi systemwidrig – gleichwohl rechtkonform bewilligbar wären. An dieser Stelle möchte ich auf eine bemerkenswerte, spezifische juristische Facheinschätzung zum Punkt d) hinweisen. Sie stammt aus der Feder von Alain Griffel. Er ist Rechtsprofessor mit Schwerpunkt Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht an der Universität Zürich. Sein Fazit kommt einer Bankrotterklärung gleich. Doch das ist eine andere Geschichte.


Betrachten wir die fragliche Materie nachfolgend mit einer ökonomischen Brille. Seit dem 1. Mai 2014 ist im Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG) eine Mehrwertgabe von mindestens 20% für Planungsvorteile verankert (Art. 5 Abs 1bis RPG). Insbesondere findet sich dort das Folgende: «Das kantonale Recht gestaltet den Ausgleich so aus, dass mindestens Mehrwerte bei neu und dauerhaft einer Bauzone zugewiesenem Boden ausgeglichen wird.» Die Abgabe mag ein Meilenstein in der Schweizer Geschichte der Raumplanung darstellen, aber im Kontext mit der angesprochenen laufenden Revision, scheint sie vergessen gegangen zu sein. Weshalb?


Bauen ausserhalb von Bauzonen implizit bevorteilen?


Die involvierten Parlamentarier und Behörden haben die mutmasslichen Neuerungen beim Bauen ausserhalb der Bauzone nicht zu Ende gedacht. Die linke Hand – Bauen innerhalb einer Bauzone – weiss nicht, was die rechte Hand – Bauen ausserhalb der Bauzone – macht bzw. wie sie reguliert sind. Stichwort «Mehrwertabgabe»: Zwar könnte eine Mehrwertabgabe bis zu 60% auch in Fällen ausserhalb der Bauzone zur Anwendung gelangen, aber de facto handelt es sich bisher und mutmasslich auch nach der laufenden Revision um einen toten Buchstaben.


Unabhängig davon liegt ein kardinaler Denkfehler in den Entwürfen der Kommissionen vor. Nur fürs Protokoll: Wo wird relativ gesehen mehr ökonomischer Mehrwert durch die Erteilung einer Baubewilligung geschaffen, als wenn ein Grundeigentümer ausserhalb einer Bauzone rechtmässig eine Baute realisieren darf?! Die damit ausnahmsweise geschaffene «Aufzonung» ist immens, denn die Ausgangsbasis ist offensichtlich eine Ausnützung von null – nada. Bauen ausserhalb der Bauzone erfährt so betrachtet eine fadengerade ökonomische Bevorteilung gegenüber der Konstellation mit einer dauerhaften Neueinzonung oder einer Um- und Aufzonung von regulärem Bauland. Dort wird aber der Mehrwert qua Gesetz teilweise abgeschöpft. Neben dieser willkürlichen, nicht begründbaren Ungleichbehandlung werden massgebliche Fehlanreize gesetzt und indirekt ungewolltes Handeln monetär subventioniert. Dass Grundstücke, die nicht einer Bauzone zugehörig sind, massiv tiefere Bodenpreise aufweisen als Bauland kommt als zusätzlich verzerrendes Element noch dazu. Das Auseinanderklaffen der Preisniveaus belegt bloss die ökonomische Potenz der Planung oder – mit anderen Worten ausgedrückt – die besondere monetäre Werthaltigkeit von Bauland.


Mehrwertabgabe flächendeckend und obligatorisch implementieren


Wenn nach zukünftigem Recht (de lege ferenda) die Schaffung von Nutzungszonen ausserhalb der Bauzone dereinst möglich sein sollen, dann sollten die involvierten Grundstücke zwingend auch mit einer raumplanerischen Mehrwertgabe belegt werden. Entsprechend wäre es nur stringent, wenn Art. 5 RPG um den skizzierten Sachverhalt mit einer obligatorischen Mehrwertabgabe ergänzt würde. Alles andere wäre ein Schildbürgerstreich des Bundesparlaments. Und ja, losgelöst von mutmasslichen operativen Schwierigkeiten, die Höhe solcher Mehrwerte zu bemessen, müsste der Mindestprozentsatz markant höher angesetzt werden als beim Regelfall innerhalb der Bauzonen. Es geht dabei auch, aber nicht nur, um gleichlange Spiesse.


Die Moral von der Geschichte


Eine Ausdehnung des Geltungsbereiches der raumplanerischen Mehrwertabgabe wäre zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht hinreichend. Es fehlt ein weiteres Element. Aus ressourcenökonomischer Sicht betrachtet wäre nämlich eine gesetzliche Ergänzung à la Baurechtszins unabdingbar. Analog einem Baurecht im Sinne von Art. 779 ff. ZGB müssten die Eigentümer von ausnahmsweise bebaubaren Grundstücken, deren Grundstücke ausserhalb einer Bauzone liegen, einen wiederkehrenden «Baurechtszins» an die öffentliche Hand – beispielsweise an die Standortgemeinde und/oder den Kanton – bezahlen. Solange die Baute physisch existiert – auch als Ruine – wäre dieser Baurechtszins zwingend zu entrichten. Eine raumplanerische Zweckbindung der so generierten Mittel läge wohl auf der Hand.


Solche Konstrukte haben in der Schweiz Tradition. Im übertragenen Sinn würde dieser «Bodenzins» analog einem Wasserzins funktionieren. Der Wasserzins wiederum ist eine öffentliche Abgabe für das mit einer Konzession eingeräumte Nutzungsrecht an einem öffentlichen Gewässer. Der vorgeschlagene «Bodenzins» könnte insofern als monetärer Platzhalter für die Internalisierung von externen Kosten verstanden werden. Es geht um die wahren volkswirtschaftlichen Kosten solcher Ausnahmebewilligungen. Das individuell-konkret verfügte Recht auf Bauen ausserhalb der Bauzone ist und soll ein «knappes» Gut sein. Entsprechend soll der Preis dafür angesetzt werden. Anders aus bei eingezontem Bauland besteht kein Rechtsanspruch auf eine Baubewilligung.


Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Weder ginge es um die Schaffung von Konzessionsland, wie es im Kanton Zürich rund um den Zürichsee existiert, noch um die Erteilung einer Konzession im verwaltungsrechtlichen Sinn. Das Konstrukt und der Begriff der Konzession dienen hier ausschliesslich illustrativen Zwecken.


Lob der Wirkungskraft des Portemonnaies


Das öffentliche wie private Planungsrecht strotzen vor Gummiparagrafen. Alain Griffel spricht in seiner Analyse denn auch von einem trojanischen Pferd. Ein Beispiel gefällig: …« insgesamt zu einer Aufwertung von Siedlungsstruktur, Landschaft, Baukultur oder Kulturland führen». Darunter lässt sich vieles subsumieren. Normatives und ästhetische Massstäbe sind omnipräsent.


Dass gesetzliche Normen einen Ermessenspielraum haben und ausgelegt werden müssen, ist nicht falsch, sondern eine Notwendigkeit. Es bestehen fast immer Zielkonflikte, die es zu lösen gilt. Güterabwägungen gehören ebenfalls dazu. Trotzdem, in der operativen Behandlung von solch anspruchsvollen Wertungsfragen im Raumplanungsrecht kann es nichts schaden, wenn eine deutlich sichtbare ökonomische Hand als ein weiteres Element fix in das Setting «Bauen und Bauten ausserhalb der Bauzone» integriert würde. Dies ganz nach der Devise «Geld ist ein Argument. Und oft nicht einmal das schlechteste» (*). Gut möglich, dass dann die eine oder andere betriebliche Investitionsrechnung mit einer Vollkostenrechnung andere Ergebnisse zu Tage fördern würde.


Blog:

(**)

https://www.kaori.ch/single-post/open-doors-open-mind-lob-auf-atelierhaus-in-den-bergen


Quellen:

https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20180077



Bildernachweis:

https://map.geo.admin.ch – Zeitreise; Bearbeitung durch den Autor.

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