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Wann schreibe ich den letzten Blog zu mietrechtlichen Fragen?



Pingpong zwischen Rechtsinstanzen: Volles Programm reicht nicht

 

Wir schreiben den 30. März 2017. Ein Mietvertrag für eine Zweizimmerwohnung wird unterschrieben. Die fragliche Mietwohnung befindet sich in der Stadt Zürich. Die Höhe des vereinbarten Nettomietzinses beträgt 1'060 Franken pro Monat. Ein Blick in die damaligen Marktberichte legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um eine vergleichsweise günstige Wohnung handelt (*). Gleichwohl entwickelt sich daraus ein jahrelanger, mietrechtlicher Rechtsstreit.

 

Der mutmassliche Makel liegt darin, dass beim Mieterwechsel der Nettomietzins von 738 Franken auf die besagten 1'060 Franken angehoben wurde. Die Erhöhung beträgt satte 43.6%. (Anmerkung: die Nebenkosten bleiben unverändert). Die Vermieterin begründete sie mit einer «Anpassung an die orts- und quartierüblichen Verhältnisse». Die Mieterpartei gelangt postwendend an die zuständige Schlichtungsbehörde. Im Telegrammstil aufgeführt werden folgende Instanzen aktiv:

 

Mai 2017: Schlichtungsbehörde mit Begehren, den Anfangsmietzins als missbräuchlich zu erklären;

September 2017: Klage beim Mietgericht Zürich;

August 2019: 1. Urteil des Mietgerichts Zürich;

März 2020: 1. Urteil des Obergerichts Zürich;

Mai 2021: 1. Urteil des Bundesgerichts;

August 2021: 2. Urteil des Obergerichts Zürich;

September 2021: 2. Urteil des Mietgerichts Zürich;

Januar 2023: 2. Urteil des Obergerichts Zürich und im

November 2023: 2. Urteil des Bundesgerichts.

 

Nach sechs Jahren und sechs Monaten – die Corona-Pandemie ist längst Geschichte – steht das materielle Ergebnis fest: Die Erhöhung des Nettomietzinses ist rechtens (**). Bis es so weit war, musste sich das höchste Gericht der Schweiz – wie dargestellt – zweimal mit dem Fall beschäftigen. Mehr gerichtliches Gütesigel geht wohl kaum, zumal die Streitsumme mit gut 3'800 Franken pro Jahr als bescheiden taxiert werden darf. Die damit verbundene betriebs- und volkswirtschaftliche Wertschöpfung – sprich die Honorare für die involvierten Anwälte und die Kosten für Gutachten – dürfte locker ein Mehrfaches davon betragen haben. Der springenden Punkte liegt woanders. Denn die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit (und auch Rechtssicherheit) ist mit dem inflationär anmutenden Gebrauch von «Notrecht» auch in der Schweiz keine Selbstverständlichkeit.

 

Orts- und quartierübliche Mietzinsen sind (noch) Schimären: Nachbesserung unerlässlich

 

Eines der Grundübel des geltenden Mietrechts zu missbräuchlichen Mietzinsen besteht materiell darin, dass es erstens der Gesetzgeber (also der National- und der Ständerat) seit vielen Jahrzehnten nicht geschafft hat, den Tatbestand von missbräuchlichen Mietzinsen zu definieren und zu substanziieren. Und zweitens besteht ebenfalls seit über 50 Jahren kein (konsensuales) normatives Verständnis darüber, was der Rechtsbegriff «orts- oder quartierübliche Mietzins» materiell bedeuten soll und wie diese Grösse zu messen wäre.

 

Daran kranken die einschlägigen bundesrechtlichen Normen seit ihrer Geburtsstunde. So kann es nicht überraschen, dass die Tausenden von bisher gesprochenen Gerichtsurteilen untereinander weder stringent noch konsistent sind. Es fehlt eine klare Linie. Stattdessen dominieren Zufälligkeiten und Eklektizimus als vermeintlicher Kompass.

 

Wie wäre es mit dem Preis-Leistungsverhältnis oder mit Mietzinswucher?

 

Dabei existiert eine naheliegende Referenz: So ginge es aus ökonomischer wie rechtlicher Sicht auf den Punkt gebracht darum, das Preis-Leistungs-Verhältnis vor Ort zu einem gegebenen Zeitpunkt als Massstab zu nehmen. Vertragsrechtlich gesprochen, ja es geht um privatrechtliches Vertragsrecht, sollte geprüft werden, ob zwischen der vereinbarten Leistung und Gegenleistung ein Missverhältnis oder nicht eben besteht. Et voilà.

 

Zumindest ein schwacher Lichtschimmer besteht: Das Bundesgericht würdigt die Dauer des Mietverhältnisses mit dem Vormieter. Das ist als echter Fortschritt zu werten. Aber Achtung, davon steht (fälschlicherweise) bis dato nichts im Gesetz. Vgl. dazu auch die Ausführungen im letzten Teil dieses Beitrags.

 

Weiterhin ein Ärgernis besteht darin, dass die Grenzen der Stadtzürcher Quartiere für die Zulässigkeit von Vergleichsobjekten als Lagekriterium zu rigide ausgelegt werden. Beispiel: der Kreis 8 besitzt mit «Seefeld», «Mühlebach» und «Weinegg» drei Quartiere. Neben der Auslegung rein nach dem Wortlaut gibt es ergänzende und ebenbürtige Auslegungsarten. Diesbezüglich besteht Nachbesserungsbedarf.

 

Makro- und Mikrolage bestimmen primär die Qualität der Mietsache

 

Kommt hinzu, dass sich die Qualität der Mikrolage aus einem Bündel von nicht abschliessend festlegbaren messbaren und ideellen Standorteigenschaften zusammensetzt. Die reflexartige Überhöhung von GIS-basierten Raumeigenschaften wie etwa dem Strassenlärm bei der Bestimmung der Lage bzw. der damit verbundenen Vergleichbarkeit von Lagen greift in jedem Fall zu kurz. Dass es sich dabei nicht um flächendeckend gemessene Grössen, sondern modellierte Werte handelt, wird bei der Interpretation zudem geflissentlich ausgeblendet. Es wird bis auf Weiteres ein Geheimnis bleiben, weshalb zur Beurteilung der Lagequalität beispielsweise nicht auf die Lageklassen des kantonalen Steueramtes abgestellt wird (https://maps.zh.ch/ Lageklassen). Auch sie sind nicht perfekt, aber wohl systematisch jeder amateurhaften, zufällig zusammengewürfelten Einfalleinschätzung überlegen.

 

Die Moral von der Geschichte

 

Ja, was soll die Aussage dieses Blog sein? Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates hat im November 2023 eine Vernehmlassung zu einem Vorentwurf zu Änderungen im Mietrecht eröffnet. Selbst die Boulevard-Presse berichtete darüber. Dabei geht es mitunter um die Kriterien für den Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit des Mietzinses zu präzisieren und um die Art und Weise, wie der Nachweis herzuleiten ist.

 

Bei der (einlässlichen) Durchsicht der dazugehörigen Materien dürfte die grosse Mehrheit (der Schreibende inklusive) von immobilienökonomisch und statistisch bewanderten Akteuren zur Einsicht gelangen, dass es sich dabei um eine klassische Verschlimmbesserung handelt, ein mietrechtlicher Schildbürgerstreich. Der Lackmustest dazu ist ein einfacher: Es findet sich in den zitierten Dokumenten nirgends – auch nicht ansatzweise – der Versuch, eine Legaldefinition zu «orts- und quartierüblichen Mietzinsen» zu liefern. Was zu beweisen war.

 

Kommt hinzu, dass die Streuung der Mietzinsen von identisch grossen Mietwohnungen innerhalb einer Gemeinde massgeblich durch die Unterschiede in der Qualität der Mikrolage und allenfalls überlagert durch die Fluktuationshäufigkeit der Mietverhältnisse bestimmt werden. Alles andere ist Beilage.

Aber genau dort sollen die angedachten «präzisierenden» Normen zu einer Klärung beitragen. Eine anspruchsvolle Materie wird eben nicht dadurch weniger anspruchsvoll werden, indem man sie im Lösungsansatz nur noch rudimentär beschreibt. Die Erkenntnisse aus der Systemtheorie lassen grüssen. Oder etwas griffiger formuliert geht es im Kern darum, zu klären, wie vielschichtig die Modellierung von noch zu definierenden orts- oder quartierüblichen Mietzinsen ausfallen soll bzw. muss.

 

PS: Die eingangs erwähnte Mietwohnung befindet sich im vierten Obergeschoss. Vor 124 Jahren wäre es die damaligen Behörden in der Stadt Zürich ein Kinderspiel gewesen, den Mietzins nach Zimmerzahl und Stockwerk zu bestimmen. Ein Blick in das Statistische Jahrbuch der Stadt Zürich hätte genügt (vgl. Titelbild und S. 152* im Statistischen Jahrbuch der Stadt Zürich, sechster und siebenter Jahrgang 1910 und 1911 zum Teil auch 1912) …

 

PPS: Unter der Annahme, dass ich mir für 2024 vorgenommen hätte, keine Blogs mehr zu mietrechtlichen Fragen zu schreiben, hätte ich mit diesem Beitrag bereits ein erstes Mal gegen diesen Vorsatz verstossen. Vielleicht im kommenden Jahr.

 

Quellen:

 

Malik, Fredmund: Strategie des Managements komplexer Systeme.

(**) 4A_121/2023 Urteil vom 29. November 2023.

(*) Wüest Partner, Immo-Monitoring 2017|1, S. 164.

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