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Todgesagte leben länger, Steuern sterben nie


Rückblende: eine Jugenderinnerung


Es muss anfangs der 1980er-Jahre gewesen sein. Ich war damals 14 Jahre alt und besuchte die Bezirksschule. Einen Steinwurf von unserem Schulhaus, einem ehemaligen Kloster, befand sich eine Bäckerei. In «grossen» Pausen kauften wir dort ab und an ein «Bürli», selten eine Cremeschnitte. Eine der dortigen Verkäuferinnen war im Pensionsalter und hatte schon viel erlebt: einen Weltkrieg und etliche ökonomische Verwerfungen wie etwa die Ölpreiskrise von 1973. Eine ihrer persönlichen Sorgen waren die stetig steigenden Preise. Bald könne man sich nicht einmal mehr Brot leisten, beklagte sie sich des Öfteren. Es sei nur schlimm. Hinweis: Die jährliche Inflationsrate in der Schweiz bewegte sich in diesen Jahren zwischen 4 und 6 Prozent.

Einmal entgegnete ich ihr im lockeren Gespräch, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis ein Kilo Brot fünf Franken kosten werde. Damals fast eine magische Grenze. Ohne das ökonomische Phänomen beim Namen nennen zu können, erkannte ich, dass es so etwas wie Inflation gab. Auch hatte ich keinen blassen Schimmer davon, dass es ein Studienfach namens Volkswirtschaft (Nationalökonomie) gab. Aber das ist eine andere Geschichte.


Volkswirtschaft als inflationsfreies Perpetuum mobile?

Das Internet war und ist ohne Zweifel ein Gamechanger. Bei vielen von uns löst es noch immer Fantasien aus. Man schwurbelt mitunter von Digitalisierung. Und nicht wenige hochdekorierte Ökonominnen und Ökonomen erwarteten bis in die jüngste Vergangenheit durch technologiebasierte Innovationen stetige Produktivitätsfortschritte. Folglich könne es keine nennenswerte Inflation mehr geben. Auch das historisch bisher einmalige Experiment mit einer ultralockeren Geldpolitik der Zentralbanken schien lange Zeit immun gegen geldtheoretische Erkenntnisse der vergangenen hundert Jahre. Das Aussergewöhnliche wurde als das neue Normale angespriesen. Tempi passati.


Irritierend: Darüber, dass der schweizerische Baupreisindex ab 2008 über mehr als zehn Jahre hingegen im Wesentlichen eine horizontale Linie bildete, wunderte sich fast niemand.

Die anhaltende Phase mit Preisstabilität war keine Schlagzeile wert. Heute wissen wir mehr. Zumindest ausserhalb der Schweiz hielten diese neuen ökonomischen Theorien ernsthaften Stresssituationen nicht stand. Bisweilen haftete diesem Wunsch-Denken eine Brise von Naivität an. Eine mutmassliche Illusion ist geplatzt.


Moral von der Geschichte

Seit geraumer Zeit wird darüber debattiert, gemutmasst, gemunkelt und geflunkert, wie sich das Niveau der Inflation entwickeln könnte. Gut so. Dabei geht es im Kern um ökonomische Zwillinge: die erwartete Inflation einerseits und die erwarteten nominalen Zinsen andererseits. Sie gehören wie zusammen wie Yin und Yang. Letztlich ist es «nur» eine Frage der Perspektive. Am Schluss zählt der erwartete Realzins; Punkt.


Die mittlere jährliche Teuerung in der Schweiz betrug über die vergangenen 109 Jahre rund 2.2 Prozent. Die Wirtschaftsgeschichte der letzten 200 Jahre und darüber hinaus liefert glaubhafte empirische Anhaltspunkte dafür, dass sich der Realzins hierzulande um die Marke von 2 Prozent bewegt. Ergo müsste – brachial und hemdsärmlich hergeleitet – der nominale langfristige Zinssatz (bei einer Laufzeit von fünf und mehr Jahren für einen grundpfandgesicherten Kredit und ansprechender Bonität des Schuldners) in einer Gleichgewichtssituation zwischen 4 und 5 Prozent oszillieren. Davon sind wird in der Schweiz noch etwas entfernt. Oder anders formuliert: Das nominale Zinsniveau hat noch Luft nach oben.


Pointe zum Schluss


Am 1. Januar 2024 wird der Regelsatz für die Mehrwertsteuer auf 8.1 Prozent erhöht werden. Das Stimmvolk hat dieser Anpassung im Rahmen der Zusatzfinanzierung der AHV im Herbst 2022 zugestimmt. Man vergisst rasch. Damit wird die Inflation nicht zusätzlich angeheizt. Aber die Hoffnung auf eine sinkende Inflation in den nächsten 12 Monaten wird dadurch getrübt. Oder anders formuliert: Wenn nicht Verwerfungen in der Realwirtschaft, exogene Schocks oder eine «lasche» Geldpolitik Inflationstendenzen schüren, dann springt oft der Staat in die Bresche. Fast muss man den Eindruck gewinnen, dass letzterer ein feines Gespür dafür besitzt, um mit Absicht oder auch zufällig, prozyklisch und dysfunktional auf massgebliche Indikatoren im volkswirtschaftlichen Datenkranz einzuwirken. Unglückliche Entwicklungen kommen selten alleine. Eine Verschnaufpause für Wohnungsmieter bleibt. So sind ihre Mietzinsen in der Regel von der agl Mehrwertsteuerpflicht ausgenommen.


PS

An dieser Stelle sei einmal mehr darauf hingewiesen, dass die Kostenentwicklung unseres Gesundheitswesens nicht im Landesindex der Konsumentenpreise abgebildet ist. Die «gefühlte» Teuerung ist für alle von uns eine individuelle Erfahrung.


Quellen






Bildquelle

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Erste-Mai-Feier in Zürich, Versammlung auf dem Münsterhof vor dem Fraumünster; Datum: 1. Mai 1955. Anmerkung des Autors: Die Jahresteuerung lag 1955 bei 0.9 Prozent.



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