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Mietrechtlicher Referenzzinssatz seit 1917 der Taktgeber bei der Mietzinsgestaltung



Kein Marktversagen, sondern ein Politikversagen von A bis Z


Der mietrechtliche Referenzzinssatz hat eine steile Karriere hingelegt. Weshalb? Fast niemand hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten für diesen Maschinenraum der hiesigen Missbrauchsgesetzgebung interessiert. Aber seit diesem Frühling fällt das diesbezügliche Medieninteresse fast überbordend aus. Man reibt sich die Augen. Denn es wird nur etabliertes, gültiges Privatrecht angewendet. Wer A sagt, muss B sagen. Gleichwohl scheinen gewisse Akteure zu hyperventilieren. Nicht unbegründet: Die materiellen Auswirkungen von Zinsänderungen auf die Mietzinsen können individuell-konkret in der Tat hässlich sein.


Dass diese Konstruktion aus ökonomischer, wie auch aus volkswirtschaftlicher Sicht geistiger Dünnschiss ist, habe ich in meinen Blogs und an anderer Stelle bereits ausführlich dargelegt. Es muss nicht wiederholt werden. Gleichwohl erlaube ich mir eine kleine Fussnote zum Werdegang des mietrechtlichen Referenzzinssatzes.


In den hiesigen Medien wird ausnahmslos betont und geschrieben, dass der mietrechtliche Referenzzinssatz seit 2008 in Kraft sei. Das stimmt. Nur wird dabei – bewusst oder aus Unwissen – unterschlagen, dass diese (bösartige) und mit Fehlanreizen verbundene Bindung der Mietzinsen an Hypothekarzinssätze eine sehr alte und über Dutzende von Bundesgerichtsurteilen gestützte Regulierung verkörpert. Das macht die herrschende Kalamität nicht besser, aber zumindest hilft es dem besseren Verständnis der Materie. Exkurs: Der Hintergrund für die damalige Schöpfung war eine laufende Revision des Mietrechtes. Sie scheiterte jedoch 2010. Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass damals eine Ablösung dieses Regimes durch Vergleichsmieten und eine Bindung an die Inflation angedacht waren. Der mietrechtliche Referenzzinssatz wäre dadurch obsolet geworden. Er war moribund, aber Todgesagte leben nicht selten länger…


Zeitreise vom Ursprung bis Dez 2023: Notrecht ausserhalb der Verfassung


Aktenkundig ist die fragliche Verknüpfung zwischen Zinsänderungen und Veränderungen von Mietzinsen für Wohn- und Geschäftsräume hierzulande seit 1917 (!). Nachfolgend findet sich eine kurze Chronologie dazu:


2008: Alternative Bestimmung, aber materiell kein Fortschritt


Der guten Ordnung halber gilt es darauf hinzuweisen, dass bis 2008 die «Schaufensterpreise» für grundpfandgesicherte Kredite der jeweils führenden Bank (typischerweise eine Kantonalbank) der zinsbezogene Taktgeber waren. Da die Banken über viele Jahrzehnte kartellartige Absprachen pflegten, unterschieden sich in den Kantonen die mietrechtlich relevanten Grössen weder in Bezug auf ihr Niveau noch auf deren Veränderung im Zeitverlauf. Seit 2008 bestimmen die Hypothekarkreditnehmenden über die Entwicklung des mietrechtlichen Referenzzinssatzes. Seine Herleitung erfolgt empirisch. Das war zwar ein methodischer Fortschritt, aber inhaltlich hat sich dadurch nichts verändert. Vgl. dazu das folgende, eingängige Erklärvideo:



Die Moral von der Geschichte


Die Wohnbevölkerung in der Schweiz scheint masochistisch veranlagt zu sein. Denn seit etlichen Jahrzehnten wird der skizzierte Wirkungsmechanismus mit guten Argumenten – hüben wie drüben – kritisiert. Auf einer Metaebene betrachtet, scheint sich hier ein für die Eidgenossenschaft typisches Muster zu manifestieren. Es mangelt an echten Reformen und vielleicht sogar am Willen, alte Zöpfe abzuschneiden und Zukunftsträchtiges zu implementieren. Es kommt hinzu, dass bei der Fortführung des Status quo volkswirtschaftlich allfällige negative Nebenwirkungen und Kollateralschäden billigend in Kauf genommen werden. Die Schweizer Wirtschaft mag Innovationsweltmeister sein. Die Bundespolitik in Bern ist bescheidender unterwegs. Hier orientiert man sich am sogenannten politisch Machbaren. Wie sagte es einst Bundesrat Willi Ritschard: «Die Schweizer stehen früh auf, aber erwachen spät.» Vielleicht wäre es nicht das Dümmste, aufzustehen. Keine Hellseherei, sondern eine nüchteren Analyse genügt. Vgl. Titelbild mit einer Rezession zu meiner juristischen Doktorarbeit über das Schweizer Mietrecht. So geht das.


Quellen:


https://www.dike.ch/vertragsfreiheit-im-schweizer-mietrecht-von-1804-2014-unter-besonderer-beruecksichtigung-des-mietzinses



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