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Mehr als Haarspalterei: Bemerkungen zu einer raumökonomischen Studie


Seit einer gefühlten Ewigkeit halte ich einmal pro Jahr an der ETH eine Vorlesung. Der Titel der Veranstaltung lautet: «Schweizer Baulandmarkt – angebots- und nachfragebestimmende Faktoren: Fakten, Bedeutung und Interpretation». Vor jeder Vorlesung überprüfe ich die Aktualität und Vollständigkeit meiner Unterlagen mit Blick auf die hiesige ökonomische Forschung. Viel tut sich dort nicht. Immerhin entdeckte ich folgende Publikation:

Ursachen für steigende Wohnkosten in der Schweiz mit Fokus auf die Raumplanung. Bundesamt für Wohnungswesen, Bern.

Sie, die Studie, ist brandneu. Publiziert wurde sie im Oktober 2023. Auftraggeber war das Bundesamt für Wohnungswesen. Einem Autorenteam, dem Exponenten der IAZI AG und der Universität Bern (Center for Regional Economic Development) angehörten, oblag als Auftragnehmende deren Ausarbeitung. Mein Interesse war geweckt.


Keine Mogelpackung, aber weniger wäre mehr: Verlasst die Komfortzone!

 

In diesem Blog verzichte ich auf eine einlässliche Kommentierung der zitierten Untersuchung. Gleichwohl finden sich nachfolgend drei Bemerkungen dazu:


Wohnkosten

Erstens ist der Titel der Untersuchung irreführend. Weshalb? In der vorliegenden Längsschnittanalyse dienen die Angebotspreise für Mietwohnungen (Nettomieten ohne Nebenkosten) einerseits und die Transaktionspreise für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen für Privathaushaltungen andererseits als vermeintliche Platzhalter für die Wohnkosten. Letztere sind aber Flussgrössen – nämlich die effektiven oder kalkulierten Ausgaben im Zeitverlauf während der Nutzung des Wohnraumes.

 

Im vorliegenden Fall werden aber die monetären Marktergebnisse, die im Nutzer- oder im Transaktionsmarkt erzielt werden, fälschlicherweise mit den Wohnkosten der Mieter- bzw. der Eigentümerhaushalte gleichgesetzt. Die Studie erklärt de facto die einschlägigen Preisentwicklungen in diesen Märkten, aber mit Sicherheit weder die Niveaus noch die Entwicklungen der tatsächlichen Wohnkosten derjenigen, die in bestehenden Gebäuden wohnen. Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Selbstredend sind beide Erkenntnissphären, die Wohnkosten und die Marktergebnisse (Abschlussmieten und Kaufpreise) für sich als Forschungsgegenstand interessant. Nur wird in der fraglichen Studie nicht das untersucht, was deren Titel vorgibt.


Datengrundlage

Zweitens zeigt sich mit und in dieser Studie einmal mehr, dass die hiesige Datenlage mit Blick auf den Bestand, die Entwicklung und die allfälligen Marktergebnisse von Bauland bzw. den mit ihm verbundenen Märkten nach wie vor prekär ausfällt. So banale wie elementare Grössen – beispielsweise wieviel Bauland, in welcher Qualität, wo, zu welchen Preisen, von wem gehandelt wird – lassen sich in der Schweiz mit vernünftigem Aufwand weder kleinräumig, geschweige denn flächendeckend, eruieren. Losgelöst von der oben erwähnten Studie werden in der Schweiz wichtige Angaben zu Preisniveaus, zu Preisentwicklungen, zu Handelsvolumen oder zur Haltedauer von Bauland systematisch und flächendeckend weder erhoben noch ausgewertet, geschweige denn publiziert. Der Transaktionsmarkt von Bauland in der Schweiz war und ist eine Daten

 

Diesem Defizit gehorchend musste im vorliegenden Fall mit mehrheitlich modellierten Datensätzen operiert werden. Konkret floss diesbezüglich die Baulandzonenstatistik (2012 und 2017) vom Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) in die Untersuchung ein. Weshalb aber die Autorenschaft die Daten von 2022 nicht berücksichtigt haben, und stattdessen fehlende Daten extrapolierten (für 2018 bis 2021 gemäss Fussnote 41), wäre spannend zu erfahren. Zumindest könnten jetzt die eigenen, gemachten Schätzungen ex post substanziiert werden. Zum Verständnis: Schon die Daten von 2012 und 2017 stammen nicht aus lückenlosen empirischen Erhebungen, sondern es handelt sich um geschätzte Grösse mit inhärenten Unschärfen. Letztere werden vom ARE transparent ausgewiesen. Aber die potenziellen Schätzfehler kumulieren sich. Unter dem Strich leidet darunter mit Blick auf die erzielten Forschungsergebnissen der Grad an Verlässlichkeit und Robustheit.

 

Unabhängig davon liefert die vorliegende Studie einmal mehr Indizien für bereits angesprochene dünne, lückenhafte und nicht aktuelle Datenbasis zur immobilienbezogenen Nutzung von Bodenflächen. So bleiben entsprechende Forderung aus der Wissenschaft, die in dieser Materie einen Strategiewechsel empfiehlt, hierzulande seit Jahrzehnten unerhört: eine zeitgemässe, datenbasierte Raum- und Marktbeobachtung mit ökonomischer Ausrichtung. Eine echte thematische Prioritätensetzung ist sowohl im Bundesparlament als auch in der Bundesverwaltung in dieser Materie nicht erkennbar. Folglich besteht auch keine kohärente Datenstrategie. In Anlehnung an Anton Bruckners (1824–1896) Aphorismus «Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen», müssten statt der Finanzierung und Durchführung von angewandten Studien mehr Mittel in die Grundlagenforschung gesteckt werden.


Erkenne die Grenzen! 

Drittens sei auf die folgende Textpassage in der besagten Studie hingewiesen: «Allgemein gilt es zu berücksichtigen, dass nur Effekte [Effekte von «land use regulations»] analysiert werden können, welche sich anhand der vorliegenden Datenlage operationalisieren lassen.» Eine wichtige und richtige Bemerkung. Insbesondere gilt es sich diesen Hinweis bei der Interpretation und der Würdigung der Studienergebnisse in Erinnerung zu rufen.

 

Nicht nur in den Medien, sondern auch in der gesellschaftlichen Diskussion werden solche Relativierungen in der Regel – bewusst oder unbewusst – ausgeblendet. So werden im politischen Diskurs wissenschaftliche Forschungsergebnisse fast immer apodiktisch, als bare Münze, verstanden. Dabei gehen relativierende Faktoren oder unausweichliche Schwachstellen im Design, im Datenzugriff und in der Datenqualität oftmals vergessen. Aber solange sich der Forschungsgegenstand nicht primär nach der Verfügbarkeit von Daten, sondern an einem bewusst gewählten Erkenntnisziel orientiert, muss mit dieser Realität gelebt werden. Oder anders formuliert: Solange in einem Dunkelraum nicht nur dort geforscht wird, wo es eine Lichtquelle gibt, wird schon etliches richtig gemacht.

 

Die Moral der Geschichte: Alles hat einen Preis

 

Menschen in einer Volkswirtschaft brauchen und nutzen Siedlungsfläche, d. h. bebaute Böden (vgl. Grafik im Titelbild). Es bestehen offensichtlich systemimmanent Nutzungs- und Zielkonflikte. Opportunitätskosten sind ebenfalls immer vorhanden: Nichts ist gratis. Auch eine zweckmässige und haushälterische Nutzung des Bodens in einem Land hat einen Preis. Dazu gehören selbstredend Themen wie Bodenversiegelung, Zersiedelung, Durchmischung, raumplanerische Verdichtung, Infrastrukturkosten, Bodenverschmutzung oder auch Biodiversität. Im juristischen Fachjargon wird in diesem Zusammenhang vielfach – etwas euphemistisch angehaucht – von Güterabwägung und Angemessenheit gesprochen. Aber letztlich sind «Fünfer-und-Weggli-Lösungen» durchwegs Wunschdenken. Gewünscht ist letztlich Kostenwahrheit und damit maximale Transparenz.

 

Als Volkswirt mit Vertiefung in Umweltökonomie werde ich den Verdacht nicht los, dass in der Schweiz die Baulandpreise – oder allgemeiner der Preis für die Nutzungsrechte von Grundstücken – für ausgewählte Nutzungen in gewissen Gebieten eher zu tief als zu hoch ausfallen. Weshalb? Positive und negative externe Kosten (Externalitäten) werden zu wenig bzw. nicht hinreichend in der Preisbildung von unbebauten Grundstücken berücksichtigt. Weiter sind die heutigen Anreizstrukturen – primär für die Eigentümer von eingezontem Landwirtschaftsland – falsch gesetzt. Grundsätzlich sollte generell dem Verursacherprinzip noch mehr Bedeutung beigemessen werden. Das gilt sowohl für bebaute als auch für unbebaute Parzellen; und unabhängig davon, ob sie sich innerhalb oder ausserhalb von Bauzonen befinden. Aber eben: Von hochwertigen, differenzierten, detaillierten und aussagekräftigen Statistiken zum Baulandmarkt Schweiz und einem dazugehörigen Monitoring

sind wir in der Eidgenossenschaft noch Lichtjahre entfernt. Ergo träume ich weiter.


PS: Hier noch ein Tipp zu einer Pionierstudie in dieser Materie: Wüest & Partner, Bauland Schweiz: Grundlagen und Perspektiven zum Bau- und Baulandmarkt und zur Siedlungsentwicklung der 90er Jahre, Zürich 1990.


Quellen:

 



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