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Kontraintuitive Intervention bei der Festlegung des Eigenmietwerts wäre angezeigt




Dicke Post für Zürcher Wohneigentümer: Ab 2025 steigen die Steuern


So lautete kürzlich eine Schlagzeile im «Tagesanzeiger». Hintergrund ist eine vom Steueramt des Kantons Zürich publizierte Meldung über die Vernehmlassung zur Besteuerung von Liegenschaften im Kanton Zürich ab 2025: «Liegenschaftenneubewertung 2025». Dazu stellt das Kantonalzürcher Steueramt mehrere einschlägige Dokumente auf ihrer Website zur Verfügung. Dazu gehört auch ein extern verfasster Ergebnisbericht. Inhaltlich geht es um geplante Anpassungen zur formellen und materiellen Herleitung von Vermögenswerten und Eigenmietwerten bei Immobilien im Kanton Zürich.


Endlich! Die lange Leitung der zuständigen Stellen hat ein Ende


Denn die letzten entsprechenden Anpassungen, welche der Fiskus in dieser Sache vorgenommen hatte, stammen aus dem Jahr 2009. Das einschlägige Bundesrecht wie das Kantonale Steuergesetz des Kantons Zürich verlangen aber unmissverständlich, dass sich die Bemessung von Steuern für steuerbare Vermögenswerte am Verkehrswert auszurichten hat. Zumindest auf den ersten Blick sind die Leitlinien klipp und klar. Es besteht eigentlich wenig Ermessensspielraum für die Behörden. Dass die Vermögenswerte von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen im Kanton im Mittel um fast 50% angehoben werden, ist keine Schlagzeile wert. Vielmehr lässt sich die Anpassung fundiert mit hochwertigem und relevantem Datenmaterial substanziieren. Fair enough, keine Frage (*).

 

Als skandalös könnte hingegen die Tatsache taxiert werden, dass die Vermögenswerte von Immobilien die letzten 15 Jahre – sofern keine Handänderung stattgefunden hat – bei deren Bemessung der Besteuerung konstant gehalten wurden. Eine so grosse Schere im Vergleich zum Verkehrswert pro Objekt hätte bei einer verantwortungsvollen Auslegung der geltenden Steuergesetze von den zuständigen Stellen nie toleriert werden dürfen. Es wurde wissentlich wertvolles Steuersubstrat verschenkt. Ein sorgfältiger und haushälterischer Umfang mit knappen Mitteln sieht anders aus. Eine echte Kurskorrektur in der Kadenz der Überprüfung ist Pflicht.         

 

Unabhängig davon bedeutet die Schätzung eines Verkehrswerts das Folgende: Korrekt

umgesetzt ergibt sich diese aus dem mutmasslichen Verhandlungsergebnis aus einem supponierten Verkauf des Vermögenswertes. Oder anders und allgemeiner formuliert: Welchen Erlös könnte ein Vermögenswert erzielen, wenn er unter geordneten Verhältnissen zu einem bestimmten Zeitpunkt verkauft oder (Achtung, jetzt kommt’s) vermietet würde?


Mit unterschiedlichen Ellen gemessen – im falschen Film


Wie sieht es nun mit der Besteuerung des Eigenmietwerts aus? Die relevante Norm sagt es – vermeintlich – glassklar: « Der Eigenmietwert ist (…) auf maximal 70 Prozent des Marktwertes festzulegen» (§ 21 Abs. 1 lit. b StG). Marktwert ist ein Synonym für Verkehrswert. Aus der erwähnten Verlautbarung des Steueramtes des Kantons Zürich geht hervor, dass die bisher veranschlagten Eigenmietwerte im Mittel ab 2025 um 11 Prozent bei Eigentumswohnungen und um 10% Prozent bei Einfamilienhäusern erhöht werden sollen. Das tönt auf den ersten Blick so plausibel wie moderat. Mittelwerte sind immer, auch hier mit der gebührenden Vorsicht zu geniessen. Erhöhungen von 25% Über die statistische Streuung der Erhöhung wird nichts geschrieben.   

 

Aber anders als der Vermögenswert ist der Eigenmietwert keine Bestandes-, sondern eine Flussgrösse. Zwischen Vermieter und Mieter besteht ein effektives oder ein unterstelltes Dauerschuldverhältnis. In der Schweiz werden bei Wohnräumen fast immer unbefristete Mietverhältnisse abgeschlossen. Und ganz wichtig: Es gelten für die involvierten Vertragsparteien die Normen des Mietrechts! Dazu gehören mitunter erstens die Bestimmungen zu missbräuchlichen Mietzinsen. Zweitens sind Mietzinsen in bestehenden Mietverträgen – von Ausnahmen und Sonderkonstellationen abgesehen – an den mietrechtlichen Referenzzinssatz, an eine Teilindexierung sowie an einen Kostenstand gebunden. Anpassungen an veränderte Verhältnisse im Mietermarkt, die über Mietpreisindizes abgebildet werden, sind nach geltendem Recht in bestehenden Mietverhältnissen kategorisch ausgeschlossen. Dass sich nun der Eigenmietwert im Zeitverlauf ausschliesslich nach Marktprinzipien entwickelt, stellt eine steile These dar. Dabei wird angenommen, dass die Opportunitätskosten des selbstgenutzten Wohneigentums immer eine dannzumalige Marktmiete seien. Zwar ist diese Sichtweise ökonomisch betrachtet korrekt und wasserdicht, aber bei der Herleitung der Entwicklung des Eigenmietwerts realitätsfremd.

 

Damit wird eine Art von Doppelmoral erkennbar: Je nach Interessenslage wird derselbe Sachverhalt mit unterschiedlichen Ellen gemessen. Machen wir den Lackmustest: Eine Wohnung A wurde im Jahr 2009 zu 100 vermietet. Es findet bis heute kein Mieterwechsel statt. Diese Annahme widerspiegelt den Fakt, dass die Eigentümerschaft des selbstgenutzten Wohneigentums im selben Zeitraum unverändert blieb. Der aktuelle Mietzins für die fragliche Wohnung dürfte sich streng nach Mietrecht auf einem Niveau von 90 befinden (inklusive der neusten Erhöhungen). Er ist also seit 2009 um 10% gesunken und nicht – wie der Fiskus mit der geplanten Anpassung suggeriert – gestiegen. Der zwischen 2009 und 2023 jährlich veranschlagte Eigenmietwert blieb jedoch konstant.

 

Klartext: Senkung des Eigenmietwert wäre angezeigt


In diesem Zeitfenster war also der Eigenmietwert in der Tendenz zu hoch angesetzt. Dass der Mietpreisindex des Bundesamtes für Statistik um rund 15% angestiegen ist und der Angebotspreisindex für die Region Zürich (**) sich um rund 8% erhöht hat, sind weder relevante noch verlässliche Indikatoren, um die Entwicklung des Eigenmietwertes für steuerliche Zwecke zu bestimmen. Solange man Eigentümer einer selbstgenutzten Wohnung ist, entzieht man sich in dieser Rolle per se der Entwicklung im Mietermarkt. Dasselbe gilt für Haushalte, die einen Mietvertrag über eine Mietwohnung abgeschlossen haben. Die Entwicklung im Mietermarkt und die dortigen Ergebnisse der Mietpreisbildung ist für diese Haushalte während der Mietdauer so irrelevant wie wirkungslos. Für sie gelten ausschliesslich und zwingend die Regeln des Mietrechts. Dieser für die Mieterschaft positive Lock-in-Effekt in langjährigen Mietverhältnissen ist altbekannt und politisch gewollt (Stichwort: «Renditeverzicht»). Seine Existenz wurde in zahlreichen Studien und Untersuchungen empirisch bestätigt. Diesem Lock-in-Effekt zugeschriebene volkswirtschaftliche Verzerrungen und Fehlanreize werden damit mehrheitlich nicht gutgeheissen.


Die Moral von der Geschichte           


Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Mit diesem Blog kritisiere ich «nur», aber immerhin die datenmässigen Grundlagen, die gedankliche und handwerkliche Herleitung des Eigenmietwerts von selbstgenutztem Wohneigentum im Kanton Zürich. Die seit Jahren laufende Gesetzesrevision zur Abschaffung des Eigenmietwert in den Kommissionen des National- und des Ständerates ist eine andere Geschichte. Dabei geht es um eine politische oder besser ideologische Ausmarchung.

 

Der springende Punkt ist ein anderer: Eigentümer von selbstgenutztem Wohneigentum sollten bezogen auf die Entwicklung des Eigenmietwerts nicht schlechter oder anders gestellt sein als jene Haushalte, die in der Regel von ihren (langjährigen) Mietverhältnissen profitieren. Letztere dürften zwischen 2009 und 2023 (inklusive neuste Erhöhungen) in den Genuss von stabilen, von moderat oder gar merklich sinkenden Mietzinsen gekommen sein. Die inhaltlich korrekte Peergroup für (langjährige) Eigentümer von selbstgenutztem Wohneigentum wären de facto Mieterhaushalte mit ihren jeweiligen (langjährigen) Mietverhältnissen. In diesen Dauerschuldverhältnissen werden die gesetzlich zulässigen «Marktmieten» bezahlt. Das Mietrecht gibt den Rahmen vor. Die Halte- und Nutzungsdauer von selbstgenutztem Wohneigentum und die Dauer von entsprechenden Mietverhältnissen sind bezogen auf das Naturaleinkommen perfekte Substitutionsgüter. Marktvergleiche ausserhalb dieser beschriebenen Übungsanlage sind nicht ziel-, sondern irreführend.

 

Ist es fair, wenn die Höhe des zur Einkommensbesteuerung festgelegten Naturaleinkommen nach mietrechtlichen Normen im individuell-konkreten Fall missbräuchlich ausfällt? Nein, denn die Eigentümer von selbstgenutztem Wohneigentum fallen nicht unter den Geltungsbereich des Mietrechts. Der Fiskus sitzt am längeren Hebel. Hier liegt ein Systemfehler vor.

 

Zurück zu Vernehmlassung: Wenn ich Adressat wäre, fiele mein Verdikt wie folgt aus: Die angestrebte Erhöhung der steuerlichen Vermögenswerte geht in die richtige Richtung. Aber die beabsichtige Änderung des steuerlichen Eigenmietwerts weist mehrheitlich das falsche Vorzeichen auf. Denn die Herleitung der Höhe dieser Grösse war und ist mit einem groben Denkfehler behaftet. Aus die Maus.     

 

(*) Nebenschauplatz: Immer noch stossend bleibt die Herleitung des steuerlichen Vermögenswertes für Mehrfamilienhäuser. Der bis anhin gültige Kapitalisierungsfaktor von 7.05% soll auf 5.0% gesenkt werden. Aber selbst das neue Niveau impliziert bei einer statistischen Kapitalisierung der IST-Mieterträge weiterhin geschätzte Verkehrswerte, die mehrheitlich systematisch und markant unter den mutmasslichen Verkehrswerten liegen. Es gilt die folgende Regel: Umso besser die Makrolage innerhalb des Kantons Zürich ausfällt, umso höher fallen die Steuergeschenke an die Eigentümer von Mehrfamilienhäusern aus und vice versa. Es bleibt ein Geheimnis der Zürcher Steuerbehörden, weshalb hier seit vielen Jahrzehnten flächendeckend ein einheitlicher Kapitalisierungssatz angewendet wird. Das Rasenmäherprinzip ist auch volkswirtschaftlich gesehen ineffizient.


Quellen:


Bildnachweis:

Bundesarchiv (BAR), Bewertungder Grundstücke; Berichte,Protokolle, Ertragswerte, Signatur

E6302A#1979/164#107*. Die Darstellung stammt aus dem Jahr 1934. Sie versucht, die vielfältigen Regelung und Methoden der Kantone systematisch zu erfassen. Es geht hierbei ausschliesslich um den Verkehrswert. Die Situation im Jahr 2024 dürfte sich nicht grundsätzlich anders präsentieren.


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