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«Just an illusion» (***): Wichtige Lektion bei der Dateninterpretation – sei grosszügig!



Dieser Blog stützt sich auf Daten, die im Namen vom Bundesamt für Statistik (BfS) entweder direkt oder indirekt erhoben, aufbereitet, verarbeitet, kommentiert oder publiziert werden. Konkret geht es um folgende Datensätze: Das nominale und reale Bruttoinlandprodukt, den Landesindex der Konsumentenpreise und die Wohnbevölkerung. Ich vertraute und vertraue diesen und weiteren Datensätzen sowohl vor als auch nach dem Malheur vom letzten Wahlsonntag. So gehe ich nachfolgend nicht auf den Fehler «an der Schnittstelle von Mensch und Maschine» (*) ein. Schade ist es vor allem um die damals geäusserten schlüssigen, scharfsinnigen und klugen Analysen der Stimmenanteile, die bereits wenige Tage nach deren Verlautbarung Makulatur waren. Des Pudels Kern ist hier ein anderer.


Es geht mir um den Kontext, die Messung und die «Schöpfung» von Daten. Denn sobald Zahlen, Daten oder Statistiken gedruckt bzw. publiziert sind, interessiert sich in der Regel niemand (mehr) für deren Genese: Wie kamen sie zu Stande? Letzteres spielt aber nicht zuletzt bei der soliden Dateninterpretation eine herausragende Rolle. Sie, die Daten, sollten nicht als bare Münze genommen werden. Vielmehr ist es unverzichtbar, deren «Making-of», also deren Herstellung, gebührend miteinzubeziehen.


Dazu ein Beispiel aus dem volkwirtschaftlichen Datenkranz: Das Bruttoinlandprodukt (BIP). Zur Beschreibung der konjunkturellen Lage oder Aussichten dazu ist es oder verwandte Grössen der herausragende Indikator. Er dürfte noch lange alternativlos bleiben. Trotz vielen berechtigten Kritikpunkten, Mängeln, Lücken und Abgrenzungsfragen ist und bleibt das nominale oder reale BIP die Schlüsselgrösse, wenn es darum geht, die Wirtschaftskraft einer Volkswirtschaft zu messen, zu vergleichen oder zu prognostizieren.


Wirtschaftsdaten und nicht nur die dazugehörige Realität sind bewegliche Ziele


Nachfolgend sich die offiziell publizierten Daten zum BIP für die Jahre 1990 bis 1995 tabellarisch aufgeführt. Ein Hinweis dazu: Das Zeitfenster habe ich zufällig gewählt. Für meine Argumentation spielt es keine Rolle. Der einzige und wichtige Unterschied besteht aber darin, wann und wo die Datenpunkte veröffentlicht wurden. Typischerweise finden sie sich in den Statistischen Jahrbüchern der Schweiz und seit geraumer Zeit auf der Website des BfS.



Um allfälligen Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jeder dieser Werte bei ihrer Publikation als definitiv taxiert und auch so deklariert wurde. Es handelte sich dabei weder um provisorische noch um prognostizierte Grössen.


Die Unterschiede innerhalb der nominalen und der realen jährlichen Veränderungsraten sind frappant. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie glaubhaft und mit genügend detektivischem Aufwand ex-post fast immer erklärbar. Eine der wesentlichen Erklärungsgründe liegt darin, dass bei der Berechnung des Bruttoinlandprodukte zahlreiche Datenpunkte geschätzt, modelliert oder hochgerechnet werden müssen. Die entsprechenden Daten lassen sich zum gewünschten Zeitpunkt oder gar nie empirisch messen. Zudem müssen die involvierten Stellen immer auch Annahmen treffen. Die grosse Mehrheit der Inputdaten besitzt daher per se immer eine inhärente eigene Unschärfe.


Die daraus aggregierten (zusammengezählten) Ergebnisse sind folglich ebenfalls unscharf. Ihr Zusammenwirken lässt sich nicht vorhersagen. Das Ergebnis, das definitive BIP pro Jahr, weist daher immer eine Streuung bzw. eine Bandbreite auf. Letztere wird jedoch nie transparent gemacht. Auch Änderungen von Definitionen oder von Systemgrenzen (z. B. mit oder ohne Schattenwirtschaft) können im Zeitverlauf zu Unterschieden führen. So oder so und losgelöst davon gilt es zur Kenntnis zu nehmen, dass jede Volkswirtschaft auf dieser Welt eine Komplexität besitzt, die sich – auch nicht mit gigantischem Aufwand – nie in einer Zahl verdichten lässt. Trotzdem ist und bleibt das BIP und Konsorten als Kennzahl der zur Zeit bestmögliche Platzhalter, die Wirtschaftskraft einer Volkswirtschaft zu messen.


Die Moral von der Geschichte


Nun könnte man in Anlehnung an den amerikanischen Dichter John Godfrey Saxe (1816-1887) der Devise folgen, dass unser Respekt gegenüber Gesetzen und Würsten umso mehr abnimmt, desto mehr Wissen wir haben über deren Entstehung haben. In letzter Konsequenz würde oder sollte man der Entwicklung des BIP gar keine Aufmerksamkeit mehr widmen. Eine so radikale Haltung ist selten zielführend. Vielmehr empfehle ich in Anlehnung an ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) das Folgende:

«Interpretiere lieber ungefähr richtig als genau falsch.»

In einer im September 2023 in der NZZ veröffentlichten Kolumne plädierte Gerhard Schwarz unter dem Titel «Zu viel Vertrauen in Zahlen» mitunter für mehr Vorsicht und weniger Zahlengläubigkeit bei der Interpretation von Statistiken im Allgemeinen und von volkswirtschaftlichen Kennziffern im Besonderen. Wie wahr!


PS: Das gilt selbstverständlich auch für Daten zu Grundstücken, Gebäuden und Marktindikatoren zum Immobilienmärkten. Keine Frage!


Quellen:


Statistische Jahrbücher der Schweiz, erwähnte Jahrgänge

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/preise/landesindex-konsumentenpreise/indexierung.assetdetail.28385359.html

https://www.nzz.ch/wirtschaft/zu-viel-vertrauen-in-zahlen-ld.1754642 (NZZ vom 5. September 2023, Beitrag von Gerhard Schwarz.


(**) Lesetipp: Arbeit ohne Umweltzerstörung, Strategien für eine neue Wirtschaftspolitik von H. C. Binswanger et al, Frankfurt am Main, 1988.


(***) https://www.youtube.com/watch?v=uY4cVhXxW64, der Soundtrack zum Blog…


Bild:

Statistisches Jahrbuch der Schweiz 1999, S. 132.

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