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Persönliche Jubiläen: 3 x 25 Jahre – «Proximity matters»


Inserateseite im Tagesanzeiger vom 17. April 1996

25 Jahre Dr. oec. HSG


Der 15. April 1996 fiel auf einen Montag. Wie jeden Frühling fand an der Universität St. Gallen (HSG) eine Promotionsfeier statt. Der Rektor, Prof. Dr. Georges Fischer, überreichte den frisch gebackenen Würdenträgern ihre Doktorurkunden. Ich gehörte zum Kreis der Empfänger. Ein Gefühlsmix von Glück und Stolz, aber auch von Unsicherheit durchströmte mich. Nach rund 23 Jahren endete damit vorerst meine formale Schul- und Ausbildungszeit mit einem persönlichen Meilenstein. Aber würde ich den beruflichen Einstieg meistern? Selbstzweifel standen im Raum.


Fachlicher Seitenblick: Die Erforschung von Innovationsprozessen von und in Dienstleistungsunternehmen stand im Zentrum meines Promotionsprojekts. Als Volkswirt mit Schwerpunkt auf Stadt- und Regionalökonomie interessierte es mich, ob und wie Unternehmensstandorte die eigene Innovationskraft beeinflussen. Meine Motivation dazu war banal. Die wirtschaftliche Wertschöpfung von entwickelten Ländern fand und findet seit vielen Jahrzehnten schwergewichtig im 3. Sektor, dem Dienstleistungssektor, statt. Folglich bestand hier – so meine Einschätzung – ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld.


Konkret entwickelte ich dazu ein mehrschichtiges Raumkonzept: Räumliche, soziale und organisatorische Nähe spannen zusammen komplexe, nicht unbedingt sichtbare Räume auf. «Proximity», so lautet der Fachbegriff. Unternehmen schaffen Neues, indem sich Menschen untereinander austauschen. Es findet dabei im besten Fall ein «Learning by interacting» statt. Primärdaten zum Testen meiner Arbeitshypothesen erhob ich in London und in Zürich.


Im Zuge dieser Datenerhebungen kam ich an der Universität von Reading (UK) erstmals mit GIS-Applikationen in Kontakt. Als karten- und datenaffiner Mensch war mir bereits im Sommer 1994 – zumindest im Ansatz – klar, dass es sich hierbei um eine Schlüsseltechnologie mit Potenzial handelt. Statt aber diesen Pfad im Rahmen einer akademischen Laufbahn weiterzuverfolgen, zog es mich in die Privatwirtschaft. Ich wollte Berater werden.


25 Jahre Berufsleben mit Schwerpunkt Immobilienmarktforschung


Zwei Tage später, am 17. April 1996, begann mein Berufsleben als Volkswirt an der Torgasse 4 in Zürich. Mein Arbeitsplatz befand sich nur einen Steinwurf vom Bellevue entfernt. Rund fünf Monate vorher, im November 1995, hatte ich bei der Kollektivgesellschaft Wüest & Partner Rauminformation (heute Wüest Partner AG) einen Arbeitsvertrag als wissenschaftlicher Mitarbeiter unterschrieben. Wüest & Partner Rauminformation war mir damals gänzlich unbekannt. Offen gesprochen war ich vor allem nur froh, überhaupt eine Stelle gefunden zu haben. Die nationale Arbeitslosenquote oszillierte damals zwischen 4 und 5%. Ein Immobiliencrash von historischem Ausmass erschütterte in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre die Schweizer Volkswirtschaft.


Wüest & Partner Rauminformation zählte vor 25 Jahren genau 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine eigene Website existierte nicht. Eine E-Mail-Adresse für das gesamte Unternehmen war im Frühling 1996 immerhin in Planung. Aber die vier damaligen Partner besassen eine messerscharfe Unternehmensvision: Daten, Fakten und Digitalisierung sollten das Fundament für eine zukunftsträchtige Beratungstätigkeit bilden. Und, fast noch wichtiger: Diversität und Interdisziplinarität galten in diesem Unternehmen seit Ende der 1980er-Jahre als unverzichtbare Ingredienz, um beratend eine komplexe Welt einerseits zu verstehen und sie andererseits erklären zu können. Kompetenzen wie Architektur, Bau- und Kulturingenieurwesen, Raumplanung, Soziologie, Ökonomie, Informatik und Geschichte waren für die eigene DNA eine Selbstverständlichkeit.


Das Beste dabei: Dieser Ansatz hat funktioniert; und nicht nur das, es hat gerockt und wie! Insbesondere von der etablierten «Immobilienbranche» wurde die systematische und schweizweite Auswertung von Immobilieninseraten bestenfalls als Schabernack tituliert. Das Potenzial von Daten als Ressource für Wertschöpfung hatten die damaligen Kritiker nicht auf ihrem Radar. Bald sollten sie eines Besseren belehrt werden.


Bis 2012 waren es über 1’000 Kundenprojekte, die ich in diesem anregenden Umfeld als Partner federführend verantwortet hatte. Über all die Jahre begleiteten mich enge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie etwa Stefan Fahrländer, Dominik Matter, Jazmin Seijas, Mirjam Artho, Cornelia Wettstein, Boris Pavlu, Tamara Bonassi, Reto Frey, Christine Eugster, Anita Göckel, Matthias Merkli, Dragana Djurdjevic, Mario Grubenmann, Jon Bracher, Patrick Schnorf, Katrin Beck, Mario Gellrich, Angelika Braendle, Ronny Haase oder Robert Weinert. Das Zusammenarbeiten auf Augenhöhe, das eingangs erwähnte «Learning by interacting», brachten Wüest & Partner als Dienstleistungsunternehmen, sicherlich aber mich selbst als Menschen, weiter.


Als innovationsaffiner Mensch faszinieren mich seit meinem Studium (wertschöpfende) Veränderungen. Daran hat sich nach meinem Weggang von Wüest & Partner im Mai 2012 nichts geändert. Im Gegenteil. Obwohl mein Kontor seither in unsere Wohnung integriert ist, kann ich in verschiedenen Rollen, Kontexten und Organisationen Impulse für Veränderungen geben. Die Metapher der schöpferischen Zerstörung als Leitvorstellung ist dabei omnipräsent. Letztere stammt von Joseph Schumpeter, einem genialen Nationalökonomen, der sie vor mehr als 80 Jahren prägte.


Eine der wenigen Konstanten in meinen bisherigen Berufsleben ist und bleibt die Auseinandersetzung mit der räumlichen Entwicklung der «Schweiz AG». Grundstücke bilden als standortgebundenes Vermögen eine der wesentlichen Komponenten des Volksvermögens. Sie, die Grundstücke, liegen als langlebige Güter in einem immerwährenden Spannungsfeld mit der allgemeinen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung unseres Landes. Es wird so oder so spannend bleiben.


25 Jahre Horizonterweiterung gegen Osten


Am erwähnten 17. April 1996 wurde ich ins kalte Wasser geworfen. Denn nach dem Mittagessen zählten ab sofort die «billable hours». Ein erstes Kundenprojekt unter dem interen Kürzel «uh» wartete bereits auf mich. Es ging um eine raumplanerische Fragestellung im Kanton Luzern. Ich war mehr als gefordert.


Die grösste praktische Herausforderung war jedoch die Bedienung des Personal Computers (PC), der sich raumergreifend auf meinem Pult auftürmte. Wüest & Partner setzte seit der Unternehmensgründung im Jahre 1985 ausschliesslich auf Geräte von Macintosh ein. Auf meinem Pult stand also kein PC, sondern ein Power Macintosh G3. So musste ich mit dem «MAC» wohl oder übel Neuland betreten. Steve Jobs kannte ich bloss vom Hörensagen.


Einer Bauingenieurin und Raumplanerin oblag es, mich an meinem ersten Arbeitstag in die Welt von Macintosh einzuführen. Alles war anders als in der gewohnten «Windows»-Umgebung. Aber «iz» erledigte ihre Aufgabe so schnörkellos wie effektiv. Dass in Apple-Geräten deutlich langsamere Prozessoren verbaut waren als in Computern, die von IBM, HP oder Siemens-Nixdorf stammten, spürte ich bald. Die Exekution von Programmcode zur Analyse von Daten dauerte und dauerte. Aber das ist eine andere Geschichte.


Der wegweisende Fakt liegt woanders. Hinter «iz» stand und steht meine spätere und heutige Ehefrau. Sie stammt ursprünglich aus Polen. Als Mensch vereint sie für mich eine unschlagbare Kombination von Intelligenz und Emotionalität.


Und die Moral von der Geschichte?


Exakt vor 25 Jahren fanden innerhalb von weniger als 48 Stunden drei mein Leben nachhaltig prägende Ereignisse statt. An alle drei Momente erinnere ich mich heute sehr gerne und immer wieder zurück. Was im Rückblick als gradlinig und geplant daherkommen mag, war in Tat und Wahrheit vor allem Zufall und Glück. Aber ja, manchmal braucht es etwas Mut, nicht dem Mainstream zu folgen.


PS: Im Jahr 1996 schrieb der Apple-Konzern einen Verlust von 1 Milliarde US-Dollar. Ob das Unternehmen eine eigenständige Zukunft hatte, stand in jenen Tagen auf der Kippe. Fakt ist, dass der Aktienkurs vor 25 Jahren von 70 auf 14 Dollar einbrach. Selbst eingefleischte Aficionados sahen für dieses Tech-Unternehmen schwarz für deren Zukunft. Aber es kam anders als erwartet. Bis Ende 2020 hat sich der Aktienkurs um den Faktor 650 (!) nach oben geschraubt. Der Rest ist Geschichte.


Quellenangaben:

Urs Hausmann, Innovationsprozesse von produktionsorientierten Dienstleistungsunternehmen und ihr räumlich-sozialer Kontext. Ein akteurbezogener theoretischer Bezugsrahmen entwickelt am Beispiel von London und Zürich, HSG-Diss. Nr. 1750, Bamberg 1996.

https://www.boerse.de/historische-kurse/Apple-Aktie/US0378331005


Bildnachweis:

Tagesanzeiger vom 17. April 1996 (Zentralbibliothek Zürich, Archiv)


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