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Handänderungen von Liegenschaften unter der Lupe: erben statt kaufen



Regulierungen sind mächtig, erklären aber nicht alles


Der Befund, es herrsche #Wohnungsnot oder Ähnliches, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit. Entsprechende wortgetreue Hinweise tauchen hierzulande in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. So berichtete der Zürcher Schriftsteller Gottfried Keller in einem Brief vom Sommer 1876 von «Zeiten der Wohnungsnöten». Sowohl die dazugehörigen Erklärungsversuche als auch die angeführten Lösungsansätze folgen querbeet stereotypen Mustern. Der Ruf, die #Wohnbautätigkeit zu erhöhen, ist in solchen Phasen meistens omnipräsent.


Das gilt auch für das Anprangern von mutmasslich dysfunktionalen Baugesetzgebungen sowie bauaffinen Gesetzen und Verordnungen (z. B. Lärmschutzverordnungen). Unter dem Strich – so das geläufige Narrativ – würden damit viele Bauprojekte verzögert oder gar gänzlich verhindert. Folglich sei bei den einschlägigen auch der Hebel für Veränderungen anzusetzen. So könnte das latent vorhandene bauliche Potenzial der Liegenschaft überhaupt oder zumindest besser und rascher mobilisiert werden. In diesem Zusammenhang besitzt der Kommentar zum Zürcher Sachenrecht aus dem Jahre 1854 fast prophetische Züge. So schrieb der damalige Starjurist und Rechtsprofessor Johann Caspar Bluntschli (1808-1881) das Folgende:


«Sie [Polizei, Politik] muss sich aber davor hüten, durch Vorschriften über den Baustil oder die Einteilung des Hauses, das Material und dergleichen in die individuelle Freiheit einzugreifen.»


Zersplitterung des Grundeigentums können Entscheidungsblockaden bringen


Doch bei dieser gesetzeszentrierten Betrachtungsweise wird ein zentraler Faktor ausgeblendet, nämlich die Gemengelage bei der Eigentümerschaft, der Faktor «Mensch». Vor diesem Hintergrund möchte ich einen ergänzenden Gedanken einbringen. Es geht um das Erwerben und Halten von Liegenschaften und die damit verbundene Dynamik. Der Fokus liegt dabei dezidiert auf der Eigentümerschaft. Das Ideal von einer entscheidungsfreudigen, -fähigen und -willigen Eigentümerschaft im Kontext von Liegenschaften war in der Schweiz noch nie der Regelfall. Vielmehr herrschen in der Regel vielschichtige Eigentumskonstellationen vor. Und Letztere werden in Verbindung mit dem #demografischen Wandel in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.


Nicht Freihandtransaktionen, also Käufe und Verkäufe, sondern nicht marktbezogene Gründe und Motive sind verstärkt für den Wechsel in der Eigentümerschaft von Liegenschaften verantwortlich. Den Brennpunkt bilden dabei Erbengemeinschaften. Etwas überspitzt formuliert kann man sagen, dass man in dieser Konstellation oftmals ungewollt, unvorbereitet und nach dem Zufallsprinzip in Eigentümerrolle gerät. Kommt dazu, dass mit zunehmender Anzahl von Eigentümerparteien die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Entscheidungsprozesse, aus welchen Gründen auch immer, auf die lange Bank geschoben werden. Zudem dürfte die Konsensfindung innerhalb solcher Eigentümerschaften in der Tendenz per se anspruchsvoll sein. Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Erbstreitigkeiten im engeren Sinn sind damit nicht gemeint. Vielmehr sind die Bedürfnisse, Ausgangslagen und Zielsetzungen der Mitglieder in solchen Gemeinschaften oftmals heterogen.


Angaben zu Eigentumsstrukturen von Liegenschaften und Grundstücken sind in der Schweiz nur fragmentarisch und lückenhaft greifbar. Zumindest auf illustrativer Basis sei darauf hingewiesen, dass zwei Drittel aller Wohngebäude Privatpersonen als Eigentümer haben (*). Weitere rund gut 14 Prozent werden von Gemeinschaften wie Erben- oder Gütergemeinschaften gehalten. Erst an dritter Position mit knapp 12 Prozent folgenden juristische Personen als Eigentümer. Eine analoge Eigentümerstruktur dürfte auch für die hiesigen Baulandreserven für Wohnbauten gültig sein.


Lob auf statistische Zeitreihen: #Liegenschaftenhandel in der #Stadt #Zürich


Für die Stadt Zürich existiert eine mustergültige datenbasierte Dokumentation der liegenschaftsbezogenen Handänderungen. Die einschlägigen Zeitreihen starten mit dem Jahr 1899 (!). Die städtischen Behörden erkannten das Potenzial von strukturierten Daten intuitiv schon früh. Sie waren ihrer Zeit voraus. Die neusten Werte stammen aus dem Jahr 2022. Im letzten Jahr betrug das Marktvolumen der freihändig gehandelten Liegenschaften knapp 4.8 Milliarden Franken. Dahinter stecken rund 1'100 Käufe bzw. Verkäufe. Dazu kamen jedoch noch gut 800 nicht marktgestützte Handänderungen. Davon ging fast 85 Prozent auf das Konto von Erbgängen.


Im Schnitt über 100 Jahre kamen auf 10 #Freihandtransaktionen 3.4 erbschaftsbedingte Handänderungen. Zum Vergleich: In den letzten 15 Jahren waren es im jährlichen Mittel deren 6.4, also ein merklich höherer Anteil. Eine angestammte Realität bleibt also auf hohem Niveau erhalten und scheint sich gar zu akzentuieren. Nebenbemerkung: Nur Freihandtransaktionen generieren wertvolle Marktsignale. Erbfolgen und ähnliche Geschäfte wie Schenkungen haben hingegen einen klandestinen Charakter. Diese Beobachtung ist nicht wertend zu verstehen. Vielmehr ist sie als Fakt zur Kenntnis zu nehmen.


Moral von der Geschichte: Soziales «Schmiermittel» als Katalysator


Die schweizweite Wohnbautätigkeit hat sich in der jüngsten Vergangenheit tatsächlich abgeschwächt. Die amtlichen Leerstandziffern befinden sich im Sinkflug. Und zentrale Eckwerte des volkswirtschaftlichen Datenkranzes haben sich aus Investoren und Anlegersicht tatsächlich eingetrübt (zumindest auf nominaler Basis). Quasi im Gleichschnitt dazu nehmen die Forderungen nach einer Deregulierung des Baubewilligungsprozesses inklusive eines weniger strengen Umgangs mit Einsprachen zu. Dahinter steckt die These, dass das massgebliche Nadelöhr bei der Produktion von zusätzlichem Wohnraum in diesem Bereich zu verorten sei. Das mag sein.


Aber der springende Punkt scheint mir ein anderer zu sein. In vielen Eigentümerkonstellationen mit Immobilienbesitz mangelt es an Konsensfähigkeit. Kommt hinzu, dass im Grundsatz ohnehin das Einstimmigkeitsprinzip in Erbengemeinschaften gilt. Hier gilt es in erster Linie anzusetzen. So könnten externe Impulse und Begleitungen wertvolle Beiträge leisten, um entsprechende Blockaden mindestens zur Sprache zu bringen, und sie im besten Fall auch zu lösen. Dabei punkten nicht nur rationale Argumente, sondern Empathie und psychologisches Geschick. Die Problematik der notorischen Beratungsresistenz vieler Akteure steht jedoch auf einem anderen Blatt.


Quellen:

https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/statistik/themen/bauen-wohnen/liegenschaftenhandel/umgesetze-grundstuecke-und-flaeche.html


(*) Die Dominanz von Privatpersonen gilt auch dann, wenn die Gesamtheit der Einfamilienhäuser ausgeklammert wird.



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