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Entwicklung des Preises von CS-Aktien: ein Blick in den wirtschaftshistorischen Rückspiegel



Vorbemerkungen


Erstens ist man im Nachhinein (fast) immer klüger. Das gilt sowohl für Finanzanlagen als im Lesen von Geschäftsberichten. Zweitens hätte ich diesen Blog lieber nicht geschrieben, aber als interessierter Zaungast und ehemaliger Aktionär der Credit Suisse – (naheliegend: ich kaufte CS-Aktien sehr nahe am Allzeithoch) – juckte es mich in den Fingern, es trotzdem zu tun. Mich reizte dabei einmal mehr die wirtschaftshistorische Perspektive. Drittens besitze ich ausser einer soliden Ausbildung als Volkswirt keine weiteren Kenntnisse von Aktienmärkten.


Weltwirtschaftskrise: Schweizer Volkswirtschaft war keine Insel der Seeligen


Mit dem Crash der New Yorker Börse setzte im Oktober 1929 eine äusserst hartnäckige, langjährige Weltwirtschaftskrise ein. Auch die Schweizer Volkswirtschaft kam in der Folge massiv unter die Räder. Alle hatten damals hartes Brot zu essen. Man litt. Die Nerven von Investoren, Unternehmern und Anlegern lagen zeitweise blank. Das Parkett der Zürcher Effektenbörse befand sich in einem stattlichen Gebäude der Zürcher Handelskammer an der Bahnhofstrasse 3 in der Zürcher Innenstadt. Der Hauptsitz der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) lag einen Steinwurf davon entfernt. Der Handel mit Wertpapieren erfolgte à la criée.


Die Kurse wurden täglich in Zeitungen und Kursbüchern publiziert. Im Wirtschaftsteil der NZZ vom 28. Dezember 1929 waren die Kurse von zahlreichen Aktien aufgeführt: Brown Boveri, Royal Dutch Company, Sulzer, C. F. Bally, Lonza oder Nestlé & Anglo-Swiss. Prominent im Börsentableau vertreten waren auch Bankentitel wie etwa die Schweizerische Bankgesellschaft, der Schweizerischer Bankverein, die Schweizerische Bodenkreditanstalt oder die Schweizerische Kreditanstalt. Als hiesiger Anleger konnte man in diesem Tagen bereits zwischen 54 Titeln wählen. Damit war Diversifikation innerhalb dieses Anlageuniversums bereits möglich. Vgl. dazu das Foto unten in diesem Blog.


Synthetische Kursentwicklungen von 1929 bis 2022: SKA versus Nestlé


Stellen wir uns folgende Übungsanlage vor: Ein Anleger «bankafin» investierte Ende 1929 100 Franken in den Kauf von SKA-Aktien. Und ein anderer Investor «nahrungsafin» investierte denselben Betrag in den Kauf von Nestlé-Aktien. Eine Kontextualisierung: Zum Kauf dieser Aktien musste man in der damaligen Realität tief in die Tasche greifen. Eine Aktie der SKA notierte bei stolzen 915 Franken. Die Aktie von Nestlé wurde um 700 Franken pro Titel gehandelt und war damit ebenfalls eine «schwere» Aktie. Vergleich: Die typischen Jahreseinkommen von in der Stadt Zürich wohnhaften Arbeitern bewegten sich 1929 zwischen 2000 und 4000 Franken. Die Eintrittshürden für das Tätigen solcher Anlagen waren hoch und finanziell gesehen alles andere als ein Pappenstiel. Wie haben sich die beiden Investments zwischen 1929 und Ende 2022 nominal bzw. wertmässig entwickelt?


Langer Leidensweg der SKA-Aktie: von 915 Franken auf unter 1 Franken


Beim direkten Vergleich der beiden Zeitreihen zu den synthetischen Aktienkursen (vgl. Grafik) fällt Folgendes auf:


Erstens beflügelte die SKA- und spätere CS-Aktie die Fantasie der Anleger nie wirklich. Merke: Aktienkurse waren und sind verlässliche Signalträger. Vielmehr entwickelte sich der Aktienkurs ab dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise Ende 1929 fast durchwegs mit angezogener Handbremse. Nur zu drei Zeitpunkten, nämlich Ende 1968, Ende 1972 und Ende 1973, lag der angeglichene Kurs der SKA- über demjenigen der Nestlé-Aktie.


Zweitens erfolgte die mutmasslich fatale strategische Weichenstellung des SKA-Konzerns bereits Mitte der 1970er-Jahre. Während sich der Preis für die Nestlé-Aktie ab diesem Zeitraum langsam, aber stetig in höhere Sphären bewegte, tendierte die SKA-Aktie für rund 20 Jahre (!) seitwärts. Diese anlagetechnisch relevante Wegscheide zeichnete sich deutlich vor 1977 ab. Damals erschütterte der sogenannte Chiasso-Skandal das Vertrauen in die Geschäftstätigkeit der Bank von Alfred Escher. Zwischenfazit: Der optimale Verkaufszeitpunkt der SKA-Aktie wäre im Rückspiegel betrachtet vor exakt 50 Jahren gewesen.


Drittens blühte der Aktienkurs paradoxerweise in 1990er-Jahre kurzzeitig auf. Paradox deshalb, weil der damalige Immobiliencrash hierzulande der Bankenbranche Verluste in Milliardenhöhe bescherte. Von den 42 Milliarden Franken an faulen Krediten gingen satte 30 Milliarden auf das Konto der vier damaligen Grossbanken: Schweizerische Volksbank, SBV, SGB und SKA. Der synthetische Aktienkurs dürfte 1999 gar ein historisches Allzeithoch erreicht haben. Doch das Platzen der Dotcom-Blase im März 2000 stoppte auch den Lauf der CS-Aktie abrupt.


Viertens handelte sich bei der Kurserholung der CS-Aktie, der zwischen 2002 bis zum Ausbruch der Subprime-Krise in den USA und der kurz später folgenden globalen Finanzkrise erfolgte, lediglich um ein Strohfeuer. Eine typische «Übersozialisierung», d. h. der Kurs der CS-Aktie tendierte nur deshalb nach oben, weil es sich um eine kotierte (Bank)-Aktie handelte und nicht, weil das Geschäftsmodell des CS-Konzerns als besonders zukunftsträchtig taxiert wurde. Vielmehr profitierten die CS-Aktien wie viele andere Aktien und Anlageklassen auch von der lockeren Geldpolitik der relevanten Notenbanken. Oder anders formuliert setzte die massive Kurserosion der CS-Aktie nicht erst nach 2006 – damals notierte der Titel über 80 Franken – sondern bereits um die letzte Jahrtausendwende.


Die Moral der Geschichte: Aktienkursentwicklungen lügen nicht


Wo standen nun die ursprünglichen Investments von 1929 Ende Dezember 2022?


«Von 100 Franken SKA-Aktien-Engagement hatte man noch 38 Franken in der Tasche. Anders präsentiert sich Geschichte bei der Nestlé-Aktie. Dort wurden aus 100 Franken Nestlé-Aktien-Engagement bis Ende 2022 genau 15'416 Franken.»


Hoppla! Kein Verschreiber. Wertvernichtung auf der einen Seite, Wertvermehrung auf der anderen Seite. Sie liegen nahe beisamen. Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Diese Werte beziehen sich «nur» auf die standardisierten Preisentwicklungen der Aktien, nicht aber auf die Gesamtperformance der Titel. Es sind so oder so eindrückliche Zahlen. Aber es kommt noch besser: Hätte man Ende 1929 tatsächlich eine Inhaberaktie von Nestlé gekauft und sie bis heute stur im eigenen Wertschriftendepot behalten, läge der Depotwert heute bei sage und schreibe 107'140 Franken!


Zwei Bemerkungen zum Schluss: Der Nestlé-Konzern gehört seit Langem zu den 20 grössten Unternehmen der Welt. Als Messgrösse dient hier deren Marktkapitalisierung. Aus dem Schweizer Heimmarkt heraus verfolgt der Konzern seit vielen Jahrzehnten erfolgreich einen internationalen bzw. globalen Ansatz. Auch andere hiesige Unternehmen hatten und haben sich diese Strategie auf die Fahne geschrieben.


Mehr noch: Der wirtschaftliche Wohlstand der Schweiz fusst seit 100 und mehr Jahren massgeblich auch auf diesen Unternehmen und Branchen. Dies bedeutet im Umkehrschluss das Folgende: Der Niedergang des CS-Konzern ist nicht kausal auf die praktizierte Internationalisierungsstrategie und die damit verbundenen Unternehmenskäufe im Ausland per se zurückzuführen. Vielmehr harzte es an der Umsetzung der Strategie. Sie dürfte mangelhaft und fehlerbehaftet gewesen sein.


Die Pointe zum Schluss: Die Kursentwicklung der Nestlé-Aktien im dargestellten Zeitraum der vergangenen 93 Jahren ist ohne Zweifel eindrücklich. Und sie bekommt noch mehr Glanz, wenn man die Performance des Titels mit dem Gesamtmarkt vergleicht. Basierend auf Daten aus einer Studie der Bank Pictet rentierten kotierte Schweizer Aktien zwischen 1929 und 2022 als Aggregat mit gesamthaft 7.38 Prozent pro Jahr. Die Nestlé-Aktie erzielte gar einen jährlichen Totalreturn von 7.93 Prozent! Aber die Geschichte des CS-Konzerns lehrt uns einmal mehr, dass nicht unbedingt das Erzielen noch üppigen Champagner-Ergebnissen eine echte Herausforderung für das jeweilige Management darstellt, sondern bereits das Sicherstellen der nachhaltigen Überlebensfähigkeit des eigenen Unternehmens.


Quellen:


NZZ, diverse Ausgaben von 1929 bis 2022.








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