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Energiewende und Klimawandel als (privatrechtlicher) Game-Changer?


Wohnraum war und ist hierzulande ein knappes Gut. Von den insgesamt gut 4.6 Mio. Wohnungen dürften knapp 0.7 Mio. Einheiten als sogenannte Zweit- oder Ferienwohnung gelten, sprich 15 von 100 Wohnungen werden nicht als Erstwohnsitz genutzt. Gemessen an allen Eigentumswohnungen der Schweiz dürfte ihr Anteil in der Grössenordnung von rund 50% liegen.


Sie böten Wohnraum für 1 bis 1.5 Mio. Menschen. Das Potenzial zur volkswirtschaftlich besseren Nutzung dieses Kapitalstocks wäre – zumindest in der Theorie – immens. Eines der mutmasslichen strukturellen Handicaps zur besseren Integration in den Wohnungsmarkt für Erstwohnungen liegt mitunter darin, dass sich diese Wohnungen räumlich massiert in touristisch geprägten, montanen Gebieten in den Kantonen Graubünden, Tessin, Wallis, Bern und Waadt befinden. Zweit- und Ferienwohnungen dürften übers ganze Jahr gesehen «gefühlt» zu 80% ungenutzt, sprich unbewohnt, sein. Diese Konstellation ist bekannt.


«Kalte Betten» werden warmgehalten


Ein anderer virulenter Brennpunkt bildet der gewünschte, aber nur zaghaft vorankommende gebäudetechnische, vor allem energetische Umbau des hiesigen Gebäudeparks im Allgemeinen und des Wohnungsbestandes im Besonderen. Seit vielen Jahren wird dieser Themenkreis häufig als neuralgisch taxiert. Die erwähnten Zweitwohnungen entstanden baulich mehrheitlich nach 1965. Deren typische Heizsysteme basieren auf fossilen Energieträgern, primär auf Erdöl. Auch reine Elektroheizungen ist anzutreffen.


Kommt hinzu, dass aufgrund der geografischen Lage in montanen Gebieten der Energiebedarf für das Beheizen von Wohnräumen generell über dem Schweizer Mittelwert liegt. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass der Sanierungs- und Renovationsgrad von Mehrfamilienhäusern in diesen Gebieten unterdurchschnittlich ausfällt. Das Verschleudern von wertvoller Energie und die Präsenz von negativen Externalitäten für die Umwelt dürften in diesen Gebieten überproportional hoch ausfallen. Den Energieanteil für die Aufbereitung des Warmwassers gilt es dabei gesondert zu betrachten. Ein zufälliges, aber repräsentatives Beispiel:


«Zu verkaufen: zentral gelegene Eigentumswohnung in St. Moritz, Wohnfläche 69m2, Baujahr 1972, Wertquote 11/1000», Heizsystem: Ölheizung.

Trotz herausragender Win-Win-Situation eine Blockade: ein Lehrstück


Neulich hatte ich zufällig Einblick in eine bemerkenswerte Konstellation: Es geht um ein Mehrfamilienhaus aus den 1950er-Jahren. Die Liegenschaft befindet sich am Zürichberg. Sie beinhaltet sechs Eigentumswohnungen, mit fünf Eigentümern. Das (ökonomisch) Reizvolle liegt darin, dass mit einem Ersatzneu die Ausnützung mit Wohnflächen sage und schreibe um rund 60% gesteigert werden könnte. Die Präferenzen der involvierten Eigentümer fallen so vielfältig aus wie deren finanziellen Mittel. Folglich war und ist es naheliegend, dass die benötigte Einstimmigkeit im Kreise der Stockwerkeigentümerschaft äusserst schwierig zu erreichen sein wird. Eine klassische Pattsituation einerseits und ein Augenöffner andererseits. Weshalb?


Die Moral von der Geschichte


Übertragen auf den immensen Bestand an unsanierten Zweitwohnungen, die eigentumsrechtlich betrachtet grossmehrheitlich unter den Titel «Stockwerkeigentum» fallen, offenbart sich – einmal mehr – die rechtliche wie faktische Zersplitterung von Grundeigentum als der Stolperstein für nennenswerte Fortschritte bei der Erneuerung des Schweizer Wohnungsbestandes. Das ist freilich keine neue wirklich Erkenntnis. Auch wird das Bundesparlament in Bern immer wieder mit einschlägigen politischen Vorstössen konfrontiert. Änderungsvorschläge wurden jedoch in der Vergangenheit durchwegs abgelehnt.


Die bittere Pille liegt aus volkswirtschaftlicher wie aus ökologischer Sicht darin, dass die grosse Mehrheit von Zweitwohnungseigentümern auch mit Aussichten auf grosszügige Subventionen nicht innert nützlicher Frist handlungs- und entscheidungsfähig sein werden. Die geltenden eigentumsrechtlichen Normen im Zivilgesetzbuch sind dafür massgeblich mitverantwortlich. Zumin


Einmal mehr haben es die Parlamentarier und Parlamentarierinnen in Bern verpasst, vorausschauend und frühzeitig zweckmässige und zukunftsgerichtete Gesetze zu erlassen bzw. bestehende zu reformieren. Offenbar und leider vermögen erst handfeste Krisen oder unhaltbare Missstände die Politik zu mobilisieren. Strategisches Denken und Handeln sieht anders aus.


Das Beste zum Schluss


Allfällige zusätzliche erbrechtliche Streitigkeiten oder die auch Tatsache, dass ein substanzieller Anteil von Zweitwohnungen ausländischen Staatsbürgern gehört, dürften weder die Entscheidungsfähigkeit noch den Entscheidungswillen im skizzierten Kontext fördern. Mit Blick auf die laufende Debatte zur Erreichung von klimapolitischen Zielsetzungen ist man daher gut beraten, sich keinen Illusionen hinzugeben. Geld, sprich Subventionen, sind keinesfalls hinreichend, um den gewünschten Heizungsersatz zu fördern. Das Nadelöhr bilden vielmehr verknorzte, unzeitgemässe gesetzliche Normen zur kollektiven Entscheidungsfindung beim Stockwerkeigentum. Sie laufen der Geltendmachung des Verursacherprinzips fundamental entgegen.


Quellen:

https://www.are.admin.ch/are/de/home/raumentwicklung-und-raumplanung/raumplanungsrecht/zweitwohnungen.html

https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/24/233_245_233/de

https://www.pxweb.bfs.admin.ch/pxweb/de/

Manz, Lena Anna: Unterhalt und Ersatzneubau im Stockwerkeigentum, Zürcher Studien zum Privatrecht, Schulthess Verlag, Zürich 2021.


Bild:

https://ba.e-pics.ethz.ch; Com_L29-0045-0314, Davos-Platz im Jahre 1980.


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