Gegenwärtig beschäftigte ich mich mit hiesigen Lehrbüchern über Volkswirtschaftslehre. Die Materie liegt mir nahe, denn vor über 30 Jahren – lange ist’s her – schloss ich dieses Studium an der Universität St. Gallen ab. Mein besonderes Interesse gilt zurzeit der Didaktik zur Vermittlung von volkswirtschaftlicher Kost. Letztere hat (fälschlicherweise) den Ruf, schwer verdaulich zu sein.
Inhaltlich steht in den einschlägigen Werken zur Ausgangslage des Alpenlandes überall dasselbe: Die Schweiz sei eine kleine offene Volkswirtschaft und insgesamt arm an natürlichen Rohstoffen. Folgerichtig spielen die Schnittstellen zum Ausland seit Jahrhunderten eine Schlüsselrolle in der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Und spätestens seit Corona-Pandemie wissen wir alle, dass die sogenannte Arbeitsteilung das Kardinalprinzip des Kapitalismus ist und folglich geölte Lieferketten das A und O von entwickelten Volkswirtschaften sind. Darüber gibt (auch) die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) Auskunft. Dort wird man unter den Rubriken «Import» und «Export» fündig. So weit, so gut.
Unbekannte volkswirtschaftliche Wertschöpfung im grossen Stil
Geht man die dortigen Positionen durch, finden sich dort die erwarteten Warengruppe wie Maschinen, chemisch-pharmazeutische Produkte, Uhren, Energieträger oder Nahrungs- und Genussmittel. Hüben wie drüben sticht jedoch eine (unerwartete) Kategorie ins Auge: «Edelmetalle, Edel- und Schmucksteine». Sie, diese Warengruppe, prägt – rein monetär betrachtet – sowohl die Import- als auch die Exportseite massgeblich mit: Werden Waren im Wert von 100 Franken in die Schweiz importiert, gehen knapp 30 Franken auf das Konto «Edelmetalle, Edel- und Schmucksteine»; im jährlichen Mittel pro Jahr 82 Milliarden Franken. Die analogen Werte auf der Exportseite betragen 25 Franken pro 100 Exportfranken, bzw. über 78 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Exportseitig ist nur Warengruppe «chemisch-pharmazeutische Produkte» mit 107 Milliarden Franken grösser. Importseitig ist Edelmetalle die mit grossem Abstand gewichtigste Position.
Aussenhandelsstatistik: Goldfinger lässt grüssen
Hinter der Position «Edelmetalle, Edel- und Schmucksteine» steckt der Ein- und Ausfuhr von Gold. Vor 10 Jahren hat der damalige Bundesrat mit einem entsprechenden Beschluss den einschlägigen grenzüberschreitenden Handel mit dem Edelmetall endlich transparent gemacht.
Dort lassen sich verschiedene Auswertungen durchführen, dem Internet sei Dank. Ein Beispiel dazu fast in Echtzeit: In den ersten zehn Monaten dieses Jahres wurde bereits Gold mit einem Handelswert von rund 160 Milliarden Franken in die Schweiz importiert. 2.15 Prozent davon stammten aus Russland (*). Losgelöst von der Tagesaktualität gilt die Schweiz weltweit als eine zentrale Drehscheibe von Gold. Hierzulande verarbeiten lediglich fünf Raffinerien dieses Edelmetall. Drei davon sind im Tessin domiziliert, eine in Biel und ein weiteres Unternehmen in Neuenburg. Es handelt sich um eigentliche Durchlauferhitzer. Im Bericht des Bundesrates über Goldhandel und Menschenrechte von 2018 findet sich folgende Passage:
«Die Schweiz ist im internationalen Goldhandel eine wichtige Akteurin. Ein Grossteil der weltweiten Goldproduktion wird von Goldschmelzen in der Schweiz raffiniert. Sie bearbeiten Rohgold oder schmelzen bestehende Goldwaren. 2017 wurden 2404 Tonnen Gold im Wert von 69,6 Milliarden Franken importiert und 1684 Tonnen Gold im Wert von 66,6 Milliarden Franken exportiert.»
Bis dato waren mir die Dimensionen dieses Handels bzw. dieser edelmetallaffinen Industrie in der Schweiz nicht bewusst. Man lernt nie aus.
«Swiss traded» statt «Swiss made»: Enträumlichung von Wertschöpfung
Da Gold in der Schweiz in entsprechenden Fabriken physisch raffiniert oder weiterverarbeitet wird, muss es tatsächlich die Landesgrenzen passieren. Ansonsten wäre keine entsprechende Wertschöpfung vor Ort möglich. Dies im Unterschied zu anderen «versteckten» Quellen der hiesigen volkswirtschaftlichen Wertschöpfung, die sich im Dunstkreis von Rohstoffen lokalisieren lassen.
Beim globalen Handelsgeschäft mit Rohstoffen wie Erdöl, Metallen, Getreide oder Zucker spielen in der Eidgenossenschaft domizilierte Unternehmen ebenfalls in der höchsten Liga. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) lässt sich wie folgt verlauten: «Die Schweiz ist eine der weltweit wichtigsten Drehschreiben für den Handel mit Rohstoffen. (…). Sie [die Schweiz] ist Weltmarktführerin beim Handel mit Zucker, Baumwolle, Ölsaaten und Getreide.» Die gehandelten Waren werden dabei in der Regel direkt von Drittland zu Drittland transportiert. Gemäss EDA generiert die Branche 3.8 Prozent des BIP (ohne zeitliche Referenz). Gemäss der Organisation Public Eye soll im Jahr 2022 gar die wirtschaftliche Bedeutung des hiesigen Rohstoffsektors diejenige des Finanzsektor erstmals übertroffen haben. Zum Vergleich: Der Anteil der Schweizer Landwirtschaft am BIP beträgt knapp 1 Prozent. Um diese Wertschöpfung zu kreieren, werden nota bene 36 Prozent der gesamten Landesfläche beansprucht...
Die Moral von der Geschichte
Ausgangspunkt für diesen Blog bildete mein Stöbern in aktuellen und älteren Ausgaben von Lehrbüchern über die Schweizer Volkswirtschaft bzw. über Volkswirtschaftslehre. Zur wirtschaftlichen Bedeutung des internationalen Handels mit Edelmetallen oder mit (anderen) Rohstoffen für die Volkswirtschaft Schweiz AG findet sich in solchen Publikationen bis dato nichts, ein blinder Flecken also. Wie wäre es zumindest mit einer Fussnote zu den jeweiligen Grafiken und Statistiken, die auf solche diskreten, wie potenten Zweige der hiesigen volkswirtschaftlichen Wertschöpfung hinweisen würden? Transparenz schadet nicht, noch weniger fundiertes Wissen über das Funktionieren von wirtschaftlichen Zusammenhängen.
Quellen:
(*) Exkurs:
Bildnachweis:
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_C13-035-003 / CC BY-SA 4.0
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