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Buddenbrooks-Mythos revisted – Erkenntnisse aus einer kleinen Fallstudie



Hand aufs Herz: Wer hätte im November 1912 Aktien der neu gegründeten Schweizerischen Bankgesellschaft gezeichnet?


Anders als bei Menschen sind bei Unternehmen weder deren Geburt noch deren Tod immer klar (zu bestimmen). Dasselbe gilt für deren Alter. Die unternehmensbezogenen Eckwerte bewegen sich deshalb nicht selten in einem Graubereich. Kürzlich las ich einen einschlägigen NZZ-Artikel (*). Sein Titel lautete: «Kunstgeschichte studieren, weniger arbeiten, früher in Rente: Die Schweizer sind zu Konsumenten des Staats geworden». Darin wird auf einen literarischen Klassiker zur Unternehmensentwicklung verwiesen. Man kennt ihn: «Buddenbrooks» – Verfall einer Familie. Der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann (1875-1955) hat diesen herausragenden Gesellschaftsroman 1901 veröffentlicht. Darin wird die Geschichte einer Lübecker Familie über vier Generationen erzählt. Sie handelt vom schleichenden Niedergang einer vermögenden und vorerst erfolgreichen Kaufmannsfamilie. Der Grundtenor von solchen und ähnlich gelagerten idealtypischen Unternehmensentwicklungen hat Otto von Bismarck (1815-1898) in einem süffigen Aphorismus zusammengefasst. Auch er ist bekannt: «Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt vollends.» So weit, so unterhaltsam. Bringen wir die unterstellte Chronologie auf den Prüfstand.

 

Unterstellt man für eine Generation eine Laufzeit von 25 Jahren, kommen mit vier Generationen rein mathematisch 100 Jahre zusammen. Bezogen auf die Unternehmensentwicklung wird ein Ideal unterstellt: Es besteht stetige familiäre, verwandtschaftliche Kongruenz zwischen dem Management und der Eigentümerschaft. Das Hohelied auf das Unternehmertum erklingt. Die Story tönt stimmig. Aus reiner Neugierde – und komplett losgelöst vom Niedergang der Credit Suisse – habe ich die Zürcher Effektenbörse um die Jahre 1924/1925 unter die Lupe genommen.



Was lässt sich zu diesen Unternehmen 100 Jahre später, also heute, im Rückblick sagen:

 

  • Weil die Unternehmen wirtschaftlich waren und wuchsen, änderte sich die ursprüngliche Eigentümerschaft mit dem eigenen Going public (IPO) oftmals vergleichsweise rasch. Beispiele: Lonza 12 Jahre nach Gründung, AEG 16 Jahre nach Gründung, Nestlé 9 Jahre nach Gründung, ABB 24 Jahre nach Gründung.


  • Neben der Finanzindustrie waren Unternehmen, die im Strom- oder Elektrizierungsgeschäft tätig waren, die damaligen Börsenlieblinge. Sie standen avant la lettre für die Elektrifizierung des Lebens. Diese Technologie-Pioniere waren der Zeit voraus.


  • Es ist zumindest in der Schweiz eine bemerkenswert lange Zeit, wenn ein Unternehmen 100 und mehr Jahre als wirtschaftliche Einheit am Markt agieren kann. Die meisten Unternehmen werden deutlich vorher übernommen, verkauft, fusioniert, aufgespalten, verstaatlicht oder liquidiert. Pointiert ausgedrückt: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Unternehmen frisst oder gefressen wird.


  • Von den damals 36 Unternehmen, die an der Zürich Effektenbörse gehandelt wurden, existieren heute noch deren 8. Die Schweizerische Kreditanstalt, bzw. die Credit Suisse musste die eigenen Segel nach 167 Jahren streichen. Als Finanzunternehmen war diese Bank erstaunlich lange eigenständig. Folglich müssen wir nur lange genug warten, bis es die UBS in heutigen Konstellationen nicht mehr gibt. Alles andere wäre ein Wunder. Wohlgemerkt, die Wurzel der heutigen UBS bildet bereits eine Fusion: Am 25. Oktober 1912 fusionierten die damalige «Bank in Winterthur», gegründet 1862 und die Toggenburger Bank, gegründet 1863 (**) zur Schweizerischen Bankgesellschaft.

 

Die Moral der Geschichte

 

Gegenwärtig lese ich den Roman «Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull». Auch er wurde Thomas Mann geschrieben. Eine herrliche Geschichte. Dort versteckt sich zwischen den Zeilen mitunter eine andere und weitere Botschaft: Wandel ist sexy, Stabilität ist langweilig. Wenn schon «übersozialisierte» Generationentypologien à la «68-Bewegung» oder die «Generation Z» auf ihre mutmasslich fehlgeleiteten Präferenzen zur eigenen Arbeitswelt in den Medien moniert werden, dann bilden Verweise auf und Analogien mit Unternehmensentwicklungen keine belastungsfähige Referenz. Mehr noch. Sie sind irreführend. Denn auch eine lange Unternehmenstradition war und ist kein Garant dafür, um den allgegenwärtigen Strukturwandel besser als andere zu meistern. Demut ist angesagt. Mein Lieblingsnationalökonom, Joseph Schumpeter (1893-1950), brachte den omnipräsenten Wandel mit der «schöpferischen Zerstörung» auf den Punkt.


Quellen:

 

und NZZ Archiv, div. Websites der untersuchten Unternehmen.

 

(*) Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) erscheint seit Januar 1780. 1868, also nach 88 Jahren nach der Gründung, wurde sie eine Aktiengesellschaft. Seither befindet sich das Aktienkapital im Streubesitz.

 





 
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