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Ausser Gebrauch – immobilienbezogener Alltag im Wandel (*)



Die Medien berichteten darüber. Im Frühling 2024 löschen in Zürich zwei weitere Lichtspielhäuser die Lichter: Die Kinos «Uto» und «Alba» werden bald Geschichte sein. Anlass genug, um mit diesem Blog an ein grundlegendes ökonomisches Prinzip zu erinnern. Güter und Dienstleistungen besitzen einen endlichen Lebenszyklus. Früher oder später kommt der Tag, an dem die Art der Bedürfnisbefriedigung neue Wege einschlägt oder die damit verbundene Nachfrage gänzlich versiegt. Es ist der Lauf der Zeit, dem sich auch Liegenschaften nicht entziehen können. Da solche Prozesse fast immer schleichend und langsam verlaufen, werden sie von den Entscheidungsträgern nicht selten (zu) spät erkannt.


Technologischer Wandel als mächtige Triebfeder


Kurz nach 1900 gab es hierzulande eine Handvoll Kinos. Bereits bis zum Ausbruch des Erstens Weltkriegs zählten die Statistiker 120 Kinos. Die Entrichtung einer Billettsteuer hatte einen netten Nebeneffekt: So ist die Entwicklung der Kinolandschaft im Zeitverlauf datenmässig gut dokumentiert. Besonders frappant an diesen Zeitreihen sind folgende Punkte: Bis anfangs der 1960er-Jahre erlebte die Schweiz einen Bauboom von Kinos. Mit solchen Nutzungen konnten die Betreiber als auch die Eigentümer der Liegenschaften gutes Geld verdienen. Doch bereits Mitte der 1960er-Jahren kulminierte mit gut 230'000 Sitzplätzen das nationale Fassungsvermögen. Seither bildet es sich Schritt für Schritt zurück.


Drei technologische Entwicklungen waren seither prägend: erstens als Aufkommen des Fernsehens, zweitens der Konsum von Filmen zuerst via Videokassetten und später mit DVDs. Wer von der Leserschaft erinnert sich an das Format von «Videotheken»? Tempi passati. Und drittens die Erfindung von Streaming-Dienstleistungen.

«So mag es nicht zu erstaunen, dass unter dem Strich der aktuelle absolute Bestand an Sitzplätzen in Kinos demjenigen von vor rund 100 Jahren entspricht!»

Dieser Vergleich spricht Bände. Zumal sich der Konsum an bewegten Bildern heutzutage in anderen Sphären bewegt als dannzumal. Auch die Kennziffer «Anzahl Kinositzplätze pro 1'000 Einwohner» widerspiegelt diesen Wandel: 28.5 (1931), 39.1 (1965) und 11.5 (2022). Vgl. auch Grafik.


1980 wurden rund 21 Mio. Kinoeintritte registriert, d. h. 3.3 Eintritte pro Jahr und Einwohnerin und Einwohner. 2019 waren es noch 12.5 Mio. Eintritte, bzw. 1.5 Eintritte pro Kopf und Jahr. So sieht sektorieller Strukturwandel im wirklichen Leben aus. Von der Corona-Pandemie konnte sich die Branche bis heute nicht wirklich erholen. Denn die Besucherzahlen von 2022 blieben mit 8.7 Mio. Ticketverkäufen im Keller. Ob klassisches stationäres Kino in der Schweiz eine echte Überlebenschance hat oder gar eine Renaissance möglich ist, steht in den Sternen.


Seitenblicke: Zu Beginn der 1990er-Jahre zählte die Schweiz rund 8'000 freistehende Telefonkabinen. Ein Element des Service public der damaligen PTT. 30 Jahre später sind sie weitgehend aus öffentlichen Leben verschwunden. Mehr noch, einzelne Exemplare werden in Museen ausgestellt. Das Aufkommen und die rasante Verbreitung von Natels liessen standortgebundene Telefonkabinen alt aussehen. Ein weiteres Beispiel: Vor gefühlt zwei Jahrzehnten schossen weltweit Internet-Cafés wie Pilze aus dem Boden. Auch ihnen war nur kurze Halbwertszeit beschieden.


Moral der Geschichte


Liegenschaften gelten im klassischen volkswirtschaftlichen Sinn als kapitalintensive Anlagen. Sie binden Boden, Kapital (verstanden als Gebäude, Maschinen, Anlagen und Inneneinrichtungen) und Arbeit. Ihr Business-Modell ist per Definition mit einem langen Zeithorizont verbunden. Die ursprünglichen, wie auch die wiederkehrenden finanziellen Aufwendungen, die sie mit sich bringen, sind immens. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht betrachtet sind die entsprechenden Amortisierungsdauern (u. a. Abschreibungen) daher sehr lang. Der ökonomische Horizont beträgt etliche Jahrzehnte. Im Umkehrschluss kommt es daher einem Va-Banque-Spiel gleich, wenn man im Rahmen von Immobilienentwicklungen – bewusst oder unbewusst – auf mutmassliche Trends, Moden oder Hypes setzt. Solche Strohfeuer zu durchschauen, ist Handwerk und Kunst zugleich.


Mit baulichen, technischen oder betrieblichen Massnahmen und Strategien, mit denen man heute den negativen Auswirkungen des Klimawandels immobilienseitig zu begegnen versucht, könnte es sich teilweise analog verhalten. Man denkt und handelt mit einem zu kurzen Zeithorizont. Entscheidend ist dabei der institutionelle Rahmen für alle Akteure. Aus ökonomischer Sicht zählen das Postulat einer echten Kostenwahrheit einerseits und die konsequente Förderung von Wettbewerbssituationen andererseits. Sie begünstigen Kreativität, dies ganz nach der Devise «Not macht erfinderisch». Zum Schluss noch ein passendes Zitat. Es stammt von der US-amerikanischen Kulturanthropologin Mary Catherine Bateson (1939-2021): «The great irony of our time is that even as we are living longer, we are thinking shorter.»


Quellen:

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kultur-medien-informationsgesellschaft-sport/kultur/film-kino.html

https://www.hmb.ch/aktuell/ausstellungen/ausser-gebrauch/


Statistische Jahrbücher der Schweiz, div. Jahrgänge.Ausser Gebrauch – immobilienbezogener Alltag im Wandel (*)


Grafik: vgl. Quellen oben und Bevölkerungsstatistik BfS.

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