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AHV-Zusatzfinanzierung einmal anders gedacht…



Weshalb nicht einmal thematisch abschweifen? Immer nur über Raumplanung, Immobilien, Mietrecht, «Wohnungsnot», Bautätigkeit, Infrastrukturfinanzierung, Geldpolitik, Inflation, Notrecht, Prognosen, Zersiedelung oder über ökonomisch Fadenscheiniges zu berichten, bereitet mir grosse Freude, aber eine Abwechslung kann (mir) nicht schaden.


Tapetenwechsel: Mich interessiert die Finanzierung der AHV. Sie, die Alters- und Hinterlassenenversicherung, bildet den ersten Pfeiler in unserem (wohldurchdachten) Dreisäulenprinzip. Nach der Annahme der Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente hat sich die Fragen nach einer nachhaltigen und langfristigen Finanzierung der AHV verschärft und akzentuiert. Das ursprüngliche und angestammte Umlageverfahren zur Finanzierung ist an seine Grenzen gestossen. Allen, wirklich allen, ist bewusst, dass eine zusätzliche Finanzierung unumgänglich sein wird.


Altbekanntes Revue passieren lassen: kein weites Feld


Die gängigen Quellen und Rezepte sind bekannt: Erhöhung der Versicherungsbeiträge der aktiven Versicherten und deren Arbeitgebern. Damit steigen die Lohnnebenkosten. Der Produktionsfaktor «Arbeit» verteuert sich. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der privatwirtschaftlichen Unternehmen dürfte dadurch noch mehr unter Druck kommen. Zudem wird die gewollte Umverteilung zwischen Betragszahlenden und AHV-Bezügern weiter strapaziert. Denselben Effekt hätte eine Erhöhung des Rentenalters. Letztere dürfte realpolitisch einen besonders schweren Stand haben, um innert nützlicher Frist umgesetzt werden zu dürfen. Ähnlich gelagert wäre die Einführung einer «Lebensarbeitszeit», die ihrerseits den Zeitpunkt des Rentenanspruchs mitbestimmen würde.


Fast schon als Klassiker gilt die Querfinanzierung über eine (weitere) Erhöhung der Mehrwertsteuersätze. Der Normalsatz liegt aktuell bei 8.1%. Diese Steuer wirkt bekanntermassen regressiv. Mit anderen Worten nimmt die relative Steuerbelastung der Haushalte mit vergleichsweise tieferem Einkommen zu und umgekehrt. Einkommensschwächere Haushalte spüren diese Steuer somit stärker. Folglich leidet deren Kaufkraft überproportional. Ebenfalls wichtig: Die Mehrwertsteuer kann nicht umgangen werden, ausser man verzichtet das entsprechende Gut oder Dienstleistung.


Neben diesen bekannten Stellschrauben werden zwei weitere potenzielle Finanzierungsquellen ins Feld geführt: Zum einen eine Erbschaftssteuer auf nationaler Ebene. Eine solche Steuer könnte, muss aber nicht, progressiv ausgestaltet sein. Volkswirtinnen und Volkswirte beurteilen solche Steuern mehrheitlich positiv. Doch eine entsprechende Volksinitiative wurde 2015 vom Stimmvolk deutlich abgelehnt. Zum anderen reichte der Walliser Mitte-Politiker bereits 2021 eine Motion im Ständerat ein. Darin brachte er eine Finanzmarkttransaktionssteuer (ein langes Wort) ins Spiel. Sie soll dezidiert einen Beitrag zur Finanzierung der AHV leisten. Der mutmassliche Haken liegt auf der Hand: Was ist in einer digitalisierten und globalisierten Welt mobiler als Finanzanlagen wie kotierten Aktien oder Devisen? Der Handel findet im Ausland statt. Die Finanzierungsquelle würde sich sprichwörtlich verflüchtigen.


Ein Befreiungsschlag? eine Fata morgana? Zuerst lesen, dann beurteilen


Mein Diskussionsvorschlag setzt bei der angestammten Besteuerung von Kapitalbezügen an, die aus der 2. oder 3. Säule stammen. Hier könnte eine bestehende Steuerquelle des Bundes stärker als bis anhin angezapft werden. Wie funktioniert das Ganze? Bei einem solchen Kapitalbezug werden bereits heute Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern fällig. Insbesondere die Steuersätze beim Bund sind progressiv ausgestaltet. Bei der Höhe der Besteuerung auf kantonaler und kommunaler Ebene besteht zudem eine beachtliche Spannbreite von einem «gefühlten» Faktor 3 (*). Im Rahmen des Dreisäulenprinzips werden während des Erwerbslebens grundsätzlich und bewusst monetäre Anreize gesetzt, damit sowohl das «Zwangssparen» (2. Säule) als auch die freiwillige Selbstvorsorge (3. Säule) steuerlich unter dem Strich – mehr oder weniger – belohnt werden. Nicht zu vergessen sind weitere steuerliche Vorteile, die über mehrere Jahrzehnte in diesem System wirken. So weit, so gut.


Höhere Besteuerung auf Kapitalbezügen von Vorsorgegeldern


Der Hebel bei meinem Vorschlag setzt beim Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG). In Artikel 38 Abs. 3 DBG steht, dass «Kapitalleistungen aus Vorsorge» (2. oder 3. Säule) zu einem reduzierten Satz zu besteuern sind. Aktuell werden lediglich «ein Fünftel» der ordentlichen Ansätze für das einschlägige Steuersubstrat erhoben. Diese Stellschraube könnte mittels einer Gesetzesänderung erhöht werden. Damit wird c. p. der bisher gewährte Steuerbonus offensichtlich kleiner. Das ist so. Ein Beispiel: Statt 80% Steuerersparnis könnte diese auf 60% reduziert werden. Der steuerliche Vorteil nimmt ab, bleibt aber im Kern erhalten.


Zudem besitzt dieser Vorschlag eine gewisse Eleganz: Erstens findet die Umverteilung «nur» zwischen Rentner und Rentnerinnen statt, und zwar zwischen solchen, die über mehr unversteuerte Vorsorgegelder verfügen als solche, die weniger oder gar nichts auf diesem Konto haben. Dadurch würde die Generationensolidarität nicht zusätzlich strapaziert, sondern – im Gegenteil – gestärkt. Die 13. AHV-Rente wirkt dereinst strickt nach dem Giesskannenprinzip. Dadurch erhalten die Rentner und Rentnerinnen, deren Vorsorgegelder gemäss meinem Vorschlag einmalig höher besteuert werden (bei der Auszahlung als Kapitalbezug), eine in der Verfassung garantierte kompensierende Gegenleistung. Oder anders formuliert wirkt dieser Vorschlag der flächendeckenden Giesskanne perfekt entgehen. Die insinuierte Steuererhöhung «träfe die Richtigen».


Zweitens müssten Lohnprozente weniger oder gar nicht erhöht werden. Dasselbe gilt für eine optionale Finanzierung über eine Anpassung des Mehrwertsteuersatzes nach oben. Die bekannten negativen Effekte könnten damit vollständig oder teilweise vermieden werden. Drittens wären «Experimente» à la Erbschaftssteuer oder Finanzmarkttransaktionssteuern mit unsicheren Realisierungschancen obsolet. Auch ergebnisbezogen muss nicht unbekanntes Terrain ohne Not erkundet werden. So würden auch keine Präzedenzfälle geschaffen, die es dem Gesetzgeberin erlauben, die staatliche Steuerhoheit bei jeder erdenklichen Gelegenheit «willkürlich» weiter auszudehnen (Stichworte: Finanzierung des Gesundheitswesens oder der Verteidigungsausgaben).


Die Moral von der Geschichte


Der thematische Ausflug in die Welt der Altersvorsorge hat mir Spass gemacht. Zudem soll geistige Akrobatik jung halten. Die Würdigung liegt wie immer bei Dir, liebe Leserin und lieber Leser. Klar, auch für mich gilt die Devise: «Schuster, bleib bei deinen Leisten!»


Quellen:

Bildnachweis:

Auszahlung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), Bild von Christian Lanz, 1981.


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