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Schwergewichtsboxen im Mietwohnungsmarkt


Der Stadtgenfer Mietwohnungsmarkt besitzt bei in der Deutschschweiz ansässigen institutionellen Investoren oftmals einen durchzogenen Ruf. Bisweilen gilt er als rotes Tuch. Weshalb? Der dortige Mietwohnungsmarkt steht unter Verdacht, dass er miet- und baurechtlich investorenfeindlich oder zumindest übermässig reguliert sei. Darauf gründet wohl auch die stereotype Einschätzung, dass Investitionen oder der Kauf von Mehrfamilienhäuser in der Genfer Metropole – zumindest für Deutschschweizer Akteure – wenig attraktiv seien. Auch mangelt es nicht an Studien, die die dortigen Normen zum «Mieterschutz» als ineffizient oder zumindest als hinderlich brandmarken.

Nachfolgend finden sich ein paar empirisch abgestützte Erkenntnisse zum Genfer Mietwohnungsmarkt. Der untersuchte Zeitraum beginnt anfangs 2010 und endet 2019. Im Zentrum steht die Frage, ob die teilweise vorhandene Skepsis gegenüber dem Genfer Mietwohnungsmarkt aus distanzierter Investorensicht gerechtfertigt ist: Hartnäckiges Klischee oder weise Voraussicht, das ist hier die Frage.

Schwergewichtsboxen

Der Stadtgenfer Mietwohnungsmarkt ist – bezogen auf den absoluten Bestand an Mietwohnungen – die klare Nr. 2 in der Schweiz. Dieser Bestand (inklusive Genossenschaftswohnungen) beläuft sich in absoluten Zahlen auf rund 100'000 Mietwohnungen. Zum Vergleich: In der Stadt Zürich dürfte dieser bei rund 190'000 Mietwohnungen liegen. Exakte, zeitnahe Zahlen zum Mietwohnungsmarkt kennt niemand (so können freilich auch Eigentumswohnungen oder Einfamilienhäuser vermietet sein). Dass die beiden Mietwohnungsmärkte innerhalb der Schweiz mit ihrer Substanz in einer jeder Beziehung in einer eigenen Gewichtsklasse spielen, dürfte unbestritten und auch bekannt sein. So sind im Schweizer Mittel von 100 Mietwohnungen – sage und schreibe – deren 12 entweder in der Stadt Zürich oder Genf zu finden. Immobilienfonds und Anlagestiftungen besitzen in Zürich Mehrfamilienhäuser zu einem geschätzten Marktwert von fast 5 Milliarden Franken (mit Bruttorendite von 3.4% über alle ihre Mehrfamilienhäuser) und in Genf in der Grössenordnung von rund 2.5 Milliarden Franken (mit Bruttorendite von 4.4% über alle ihre Mehrfamilienhäuser). Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2019.

Solides Genf versus luftiges Zürich

Dass die Transaktionspreise für Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen seit etliche Jahren immer wieder neue regionale oder sektorale Rekordwerte erklimmen, ist ein Fakt und empirisch nachweisbar. Im Schweizer Mittel weist der qualitätsbereinigte Preisindex von IAZI von Mitte 2010 bis Mitte 2020 eine schweizweite Preiszunahme von rund 42% aus. Indizes haftet jedoch etwas Abstraktes an. Sie wirken etwas abgehoben und konstruiert. Kommt hinzu, dass ein analytischer Blick hinter die Kulissen mindestens so spannend sein kann wie das Fiebern nach neuenmedienwirksamen Spitzenwerten.

Führen wir uns daher ein paar Eckwerte für einen gleichbleibenden Bestand an Mehrfamilienhäusern (d. h. weder Zu- noch Verkäufe und kumulativ wurden keine wertvermehrenden Investitionen getätigt) vor Augen. Sowohl an der Limmat als auch an der Rhône sind die geschätzten Marktwerte für dieselben Mehrfamilienhäuser gestiegen: Satte 58% in Zürich und vergleichsweise bescheidene 32% in Genf. Zwischen 2010 und 2019 sind die Niveaus der tatsächlichen Mieteinnahmen aber an beiden Orten nahezu unverändert geblieben. In unserem Vergleich der beiden grössten Mietwohnungsmärkte resultiert bezogen auf die effektiv erzielten Mietzinseinnahmen ein lupenreines Unentschieden. (Anmerkung: der mietrechtliche Referenzzinssatz hat sich im selben Zeitraum von 3% auf 1.25% zurückgebildet. Nach der Logik des Mietrechtes hätte in einem bestehenden Mietverhältnis die Wohnungsmiete um 10% abnehmen müssen sofern es keinen einzigen Mieterwechsel gegeben hätte. Das ist aber eine andere Geschichte). Mit andern Worten: Die Mietzinseinnahmen in Zürcher und Genfer Mehrfamilienhäusern, die von institutionellen Investoren gehalten werden, beschreiben hüben wie drüben de facto und ex post eine Linie.

Unterschiedliche Zahlungsbereitschaft nachweisbar

Es zeigt sich beiderorts eine unterschiedlich stark ausgeprägte Scherenbewegung zwischen den geschätzten Marktwerten und den Mietzinseinnahmen. Der resultierende Effekt ist evident: Während sich in Zürich die Bruttorendite (Mietzinseinnahmen exklusive Nebenkosten dividiert durch den geschätzten Verkehrswert) von 5.28% auf 3.49% zurückgebildet hat, zeigt das Genfer Wohnportfolio um 2010 eine Bruttorendite von 6.56% und Ende 2019 eine solche von 4.94%. Führt man die Entwicklungen der geschätzten Marktwerte und der tatsächlich erzielten Mieteinnahmen zusammen, wird klar, dass die Immobilienbewerter (Schätzungsexperten) die Diskontierungssätze in DCF-Bewertungen oder die Kapitalisierungssätze in Ertragswertmodellen nicht parallel und synchron gesenkt haben. Konkret werden in heutigen bzw. zukünftig erwarteten Mietzinseinnahmen, die aus Mietwohnungen stammen, in Zürich mit absolut tieferen Faktoren diskontiert bzw. kapitalisiert. Je nach Kenngrösse und Betrachtungsweise beträgt die Differenz bis zu 50 Basispunkten.

Stadt Zürich: ein immerwährendes El Dorado?

Aufgrund der gewählten Übungslage (d. h. bauliche unveränderte Liegenschaften) lässt sich aus den erzielten Ergebnissen mindestens eine Schlussfolgerung mit hoher Verlässlichkeit ziehen: Institutionelle Investoren, die im Genfer Transaktionsmarkt für Mehrfamilienhäuser tätig sind, besitzen nachweislich eine systematisch tiefere Zahlungsbereitschaft als jene institutionellen Akteure, die ihrerseits auf dem Platz Zürich agieren. Zumindest nehmen die involvierten und vor Ort tätigen Schätzungsexperten eine so geartete Realität wahr.

Diese Beobachtung lässt wiederum den Schluss zu – unter der Prämisse, dass der Zürcher und der Genfer Mietwohnungsmarkt die schweizweit investorenseitig die attraktivsten Standorte (als Makrolagen verstanden) repräsentieren –, dass nirgendwo sonst hierzulande die Zahlungsbereitschaft von institutionellen Investoren für Mehrfamilienhäuser so hoch ausfällt wie in der Stadt Zürich. Schon vor mehr als 300 Jahren konstatierte Hans Erhard Escher das Folgende: «Wem Gott in der Eidtgnossschaft wol wil, dem gibt Er ein Hauss zu Zürich». Wie wahr.

Aber im Umkehrschluss deuten die vorliegenden Kennwerte gleichwohl darauf hin, dass Mehrfamilienhäuser in Genf – zumindest während den vergangenen 10 Jahren – eine vergleichsweise systematisch höhere Cashflow-Rendite generiert haben als Stadtzürcher Mehrfamilienhäuser. Leider habe ich noch keine schlüssige Antwort darauf gefunden, weshalb in Genfer Bewertungen weniger «Zukunftsfantasie» enthalten ist als in Bewertungen, die sich auf Mehrfamilienhäuser in der Stadt Zürich beziehen. Kommt hinzu, dass es keineswegs ausgemacht ist, dass die Mieteinnahmen zukünftig in Zürich systematisch stärker nach oben tendieren sollen als jene in Genf. Sowohl die grundlegenden institutionellen als auch die makroökonomischen Rahmenbedingungen sind beiderorts absolut identisch. Und selbst wenn das «Gschäften» in Genf tatsächlich mühsamer ist, wurde man dafür zumindest in der Vergangenheit mit einer interessanten «Prämie» in der Cashflow-Rendite angemessen entschädigt.

Ebenfalls offen bleibt die Frage, wo die Fallhöhe bei einer allfälligen Preiskorrektur im Transaktionsmarkt für Mehrfamilienhäuser ausgeprägter sein dürfte. Es darf mit hohem Einsatz gewettet werden. Die Marktdaten sprechen aber eine klare Sprache: Noch und für einmal sind die meistens als «zwinglianisch» abgestempelten Zürcher Investoren systematisch frivoler unterwegs als ihre in Genf engagierten Mitstreiter. Erstere haben die Spendierhosen an.

Zum Schluss noch ein unzeitgemässer persönlicher Stellungsbezug: Bevor ein Deutschschweizer institutioneller Investor offensichtlich weniger attraktive Makrolagen in der Deutschschweiz auf das eigene Anlageradar nimmt und damit vergleichsweise tiefe Cashflow-Renditen in Kauf nimmt, empfehle ich das eigene Beuteschema räumlich ernsthaft zu überdenken. Vielleicht gibt es doch etwas Neues im Westen. Denn zumindest für überregional tätige institutionelle Investoren dürfte es eine verpasste Chance darstellen, wenn der Genfer Wohnimmobilienmarkt links liegen gelassen würde. Und ja, es schadet nie – Achtung Werbung – Marktbeurteilungen daten- und faktenbasiert vorzunehmen.

Anhang: Datenquelle, Methodisches sowie Stichprobendefinition

Mit Alphaprop liefert seit kurzen ein Unternehmen Informationen und Daten zu Immobilienanlagen (Renditeliegenschaften) in der Schweiz an. Im Zentrum stehen vorerst Liegenschaften, die von Immobilienfonds oder von Anlagestiftungen gehalten werden. Dabei handelt es um öffentlich zugängliches Datenmaterial. Es wird typischerweise in Halbjahres- oder Jahresberichten publiziert. Die obige Untersuchung basiert auf diesen Daten. Berücksichtigt wurden davon aber nur Liegenschaften, die kumulativ folgende Kriterien erfüllen: a) Bestandesliegenschaft seit mindestens 2009, b) kein Eigentümerwechsel zwischen 2009 und 2019, c) nur reine Mehrfamilienhäuser und d) keine nennenswerte Investitionen zwischen Ende 2009 und Ende 2019, d. h. die Gestehungskosten pro Objekt veränderten sich in diesen Zeitraum gar nicht oder nur marginal. Daraus resultiert für den Zürcher Mietwohnungsmarkt eine Stichprobe von 87 Mehrfamilienhäuser. Deren geschätzter Marktwert beträgt knapp 1.4 Mia. Franken (per Ende 2019). In Genf sind es deren 20 Mehrfamilienhäuser mit einen geschätzten Marktwert von rund 200 Millionen Franken (per Ende 2019).

Quellenangaben

https://alphaprop.ch/

https://www.avenir-suisse.ch/wer-in-genf-umzieht-verliert/

https://www.bwo.admin.ch/bwo/de/home/mietrecht/referenzzinssatz/entwicklung-referenzzinssatz-und-durchschnittszinssatz.html

https://www.iazicifi.ch/produkt/swx-iazi-indizes/

Wüest Partner, Immo-Monitoring 2020|2 Frühlingsausgabe, Zürich 2020.

Wüest Partner, News

Zürich, Eine Stadt im Spiegel der Literatur, Artemis Verlag, Zürich 1970.

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