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Eigenmietwert: Über den Tellerrand geschaut (Teil 3)


  • Auslaufmodell: Die spezifische Ableitung einer Besteuerung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den «Eigenmietwert» bzw. den Nutzwert von selbstgenutztem Wohneigentum ist im internationalen Vergleich (OECD-Länder) ein Auslaufmodell. Bis in die 1970er-Jahre gehörte diese Form der Besteuerung – zumindest in Westeuropa – ohne Zweifel zum steuerlichen Mainstream. Neben der Schweiz lässt sich diese Steuer für selbstbewohntes Wohneigentum mit Hauptwohnsitz des Eigentümer-haushaltes nur noch in vier weiteren europäischen Ländern nachweisen. Ob ein Verzicht auf die Steuerung des Eigenmietwertes auch mit einer moderaten Besteuerung von Grundeigentum gleichzusetzen ist, muss aber für jedes Land individuell abgeklärt werden.

  • Messschwierigkeiten: Bei der Durchsicht der dokumentierten Abschaffungsprozesse der Eigenmietwert-besteuerung in Ausland trifft man regelmässig immer wieder auf dieselben zwei Argumente: Zum einen wurde in den damaligen politischen Debatten betont, dass die korrekte Höhe der fraglichen Grösse im individuell-konkreten Fall schwierig zu bestimmen sei. Es wurde durchwegs die mangelhafte Praktikabilität ins Feld geführt. Ob diese Sichtweise im 21. Jahrhundert (u. a. technologischer Fortschritt und zunehmende Transparenz) noch stichhaltig wäre, bleibt an dieser Stelle ungeprüft. Zum anderen bewegten sich steuerlichen Eigenmietwerte – aus welchen Gründen auch immer – vielerorts auf bescheidenem Niveau. Die Steuereffizient war schlecht: viel Aufwand und wenig Zählbares für die ausländischen Staaten. Dieses Missverhältnis überzeugte offensichtlich sowohl die politische Linke als auch allfällige Befürworter dieses Instruments. Anders präsentiert sich zum letztgenannten Punkt die Situation in der Schweiz. Es gilt im Prinzip eine Marktwertbetrachtung, die hierzulande mit einem namhaften Steuersubstrat verbunden ist.

  • Volkswirtschaftliche Wertschöpfung: Losgelöst und unabhängig von Steuerfragen taucht die monetäre Quantifizierung von selbstgenutztem Wohneigentum in der Berechnung, Schätzung und Prognose von nationalen Bruttoinlandprodukten auf. In den USA, die wohlgemerkt keine Besteuerung des Eigenmietwertes kennen, partizipiert dieses Konstrukt unter der Bezeichnung «imputed rental income» mit stolzen 8.9% am jährlichen nominalen BIP (Stand 2016). Die internationalen Standards zur Statistik der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen empfehlen ausdrücklich aus Gründen der länderübergreifenden Vergleichbarkeit den Einbezug des geschätzten Eigenmietwertes als Aggregat der nationalen volkswirtschaftlichen Wertschöpfung.

  • Dissens unter ökonomisch geschulten Fachleuten: Sieht man von den «Agnostikern» im einschlägigen Thema einmal ab, halten sich darin die Pro- und Contra-Fraktionen gemessen an Expertengutachten, publizierten Fachbeiträgen oder auch persönlichen Stellungsbezügen in etwa die Waage. Nach deren Durchsicht kann der geneigte Leser zum Schluss kommen, dass das Bonmot «elf Ökonomen, ein Dutzend Ansichten» genau im Kontext der untersuchten Materie entstanden sein könnte. Eine klare Handlungsanweisung im Sinne einer vorherrschenden Lehrmeinung fehlt. Hinzu kommt ein anderes Problem: Es ist – isoliert betrachtet – der oftmals nicht sorgfältige, (schludrige) Umgang mit der Materie in der Analyse selbst wie auch im konzeptionellen Bereich. Das wiederum führt zur unschönen Situation, dass sich Gerichte erst im Streitfall die (nie ausformulierte) ratio legis der fraglichen Normen selektiv und bruchstückhaft zusammenreimen müssen. Dazu gesellen sich verfassungsrechtlich gestützte Postulate wie die Rechtsgleichheit nach Art. 8 BV oder die Wohnbau- und Wohneigentumsförderung nach Art. 108 BV. Sie werden je nach Standpunkt mit der «richtigen» Berechnung des Eigenmietwertes vermengt. Unter dem Strich bleibt im Einzelfall eine verschwommene Grösse ohne klare Konturen. Es fehlt an Transparenz. So bleibt etwa als Argument weitgehend schleierhaft, weshalb eine während der gesamten Haltedauer der Immobilie absichtlich moderate Bemessung der Höhe des Eigenmietwertes einen Beitrag zur Wohneigentumsförderung leisten soll. Sofern eine solche Förderung politisch erwünscht ist, sollte sie vor dem Erwerb einsetzen und zudem zeitlich begrenzt sein. Wird der Eigenmietwert unter dem Titel der Wohneigentumsförderung tatsächlich im Schnitt bis zu 30% unter dem angepeilten Marktniveau bemessen, handelt es sich dabei nicht um eine zweckmässige Förderung, sondern um eine Subventionierung der Eigentümerhaushalte nach dem Giesskannenprinzip.

  • Mein Standpunkt 1: Eine isolierte Diskussion um die Erhebung, Ausgestaltung oder Abschaffung des Eigenmietwertes im Allgemeinen und den dazugehörigen Systemvarianten (u. a. Schuldzinsabzug und Liegenschaftskosten im umfassenden Sinn – Stichwort: Gewinnungskosten) im Besonderen greift zu kurz. Denn der Eigenmietwert ist bei Grundstücken «nur» eines von mehreren Zahnrädern im vielschichtigen steuerlichen Räderwerk. Zielführend und notwendig wäre daher erstens eine umfassende Analyse aller immobilienaffinen Steuerthemen. Sie sind systemisch zu betrachten. Darauf aufbauend sollte, zweitens, die Entwicklung einer zukunftstätigen integralen Neukonzeption folgen. Dazu nur ein Nebenschauplatz zur Illustration: Sollten zur Sicherung der volkswirtschaftlichen Finanzstabilität die (vermeintlichen) Anreize zur Verschuldung gemildert werden, böte sich eine Modifikation der heutigen Vermögensbesteuerung an. Ein hoher tatsächlicher Eigenfinanzierungsgrad im direkten Vergleich zum jährlich neu geschätzten Marktwert der selbstgenutzten Wohnung sollte steuerlich positiv belohnt werden und umgekehrt. Eine unmittelbare Kausalität zwischen der Erhebung eines Eigenmietwertes und der Finanzmarktstabilität besteht hingegen nicht. Dass die Erhebung eines steuerlichen (hohen) Eigenmietwertes die Kaufneigung der Haushalte nach Wohnraum nicht nennenswert zu dämpfen vermag, dokumentiert mitunter die staatliche Anzahl von geschätzten rund 500'000 Zweitwohnungen. Begründung: Aufgrund des tieferen maximalen Fremdfinanzierungsgrades fällt in diesem Segment der Eigenmietwert systematisch höher aus als bei einer maximal fremdfinanzierten Erstwohnung vor Ort. Kommt hinzu, dass in zahlreichen touristischen Gebieten die Eigenmietwerte in den letzten 20 Jahren deutlich angehoben wurden. Trotzdem sind die Preise und die Nachfrage bis circa 2012 nach oben geschnellt. Die Argumentation für die Erhebung des Eigenmietwertes als eine Stütze für die Finanzmarktstabilität ist nicht stichhaltig.

  • Mein Standpunkt 2: Die zweite Konklusion hat eine handwerkliche Note. Damit das vielfach zitierte und immer wieder postulierte Prinzip einer immobilienmarktbasierten Immobilienschätzung (Stichworte: geschätzter Markt- oder geschätzter Verkehrswert) glaubwürdig und für Dritte nachvollziehbar und damit transparent umgesetzt werden kann, ist der Zugang zu entsprechendem Datenmaterial auf Mikroebene flächendeckend, zeitnah und niederschwellig öffentlich zugänglich zu machen. So liessen sich die modellierten Werte aus den Steuerschätzungen mit der ohnehin schwer fassbaren Marktrealität abgleichen, bzw. eine für Dritte einsehbare Kalibrierung der angewendeten Modelle einsehen. Dabei handelt es sich im Sinn und Geist um eine zugegebenermassen alte und wenig originelle Forderung, für welche das Bundesparlament auch in sehr abgeschwächter Form bisher kein Gehör hatte. Trotzdem gilt es mit dieser Forderung einer tradierten kognitiven Dissonanz der Politik entgegenzutreten: Zwar wird durchgängig eine Marktwertbetrachtung qua Gesetz gefordert. Aber gleichzeitig bleibt der Zugang, insbesondere für nicht amtliche Stellen, zu entsprechendem Datenmaterial bewusst verwehrt. Dieses Paradox und die damit verbundene gleichzeitige Immunisierungsstrategie der Behörden gilt es zu knacken. Zur Vermeidung von Missverständnissen: Es geht bei dieser Forderung um die Erschliessung von Rohdaten zu stattgefundenen Handänderungen (auch die Mietzinse von Mietverträgen gehören dazu). Dezidiert kein tauglicher Lösungsansatz ist die Schaffung von weiteren (amtlichen) Preisindizes. Was bleibt? Die steuerliche Taxierung war und ist eine Immobilienschätzung. Deren schwächstes Glied ist in der Regel die Qualität des verwendeten Datenmaterials. Hier gilt es mit Nachdruck den Hebel anzusetzen. Kann dieser Anspruch nicht erfüllt werden, sollte m. E. auf die Besteuerung des Eigenmietwertes verzichtet werden. Denn die geltenden Regime in den Kantonen können weder ihren ökonomischen noch rechtlichen Ansprüchen hinreichend gerecht werden. Zum Schluss noch dies: Mit der im Jahre 2013 angenommenen Änderung des Raumplanungsgesetzes (Art. 5 RPG) sind allfällige planungsbedingte monetäre Mehrwerte bei Grundstücken teilweise von den Behörden abzuschöpfen. Damit wurde eine weitere Kampfzone um die «richtige» Höhe der monetären Bewertung von Grundstücken im konkreten Einzelfall eröffnet. Wie bei der Bestimmung des Eigenmietwertes von selbstbewohnten Wohneigentum ist es absehbar, dass in dieser Materie gesetzlicher Anspruch und faktische Wirklichkeit auseinanderklaffen werden. Noch zu fest schwingt darin das normative Gedankengut aus den Zeiten der französischen und englischen Tür- und Fenstersteuern mit (siehe Blog vom 5. Dezember 2017).

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