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1 Million Einfamilienhäuser: eine magische Grenze mit Interpretationspielraum


Gestern veröffentlichte das Bundesamt für Statistik (BFS) aktualisiertes Zahlenmaterial zum Schweizer Gebäudepark: «Ende 2019 wurden in der Schweiz 1.76 Millionen Gebäude mit Wohnnutzung sowie 4,58 Millionen Wohnungen gezählt. Der Bestand an Einfamilienhäusern übertraf mit 1'000'700 Einheiten erstmals eine Million.» Zahlreiche Medien berichteten in der Folge mit einer fetten Schlagzeile darüber, dass in der Kategorie «Einfamilienhäuser» erstmals die Millionengrenze überschritten worden sei.


Ich stellte mir dabei die Frage, wann ein Haus sich als Einfamilienhaus qualifiziert. Kennen Sie vielleicht die Antwort? Und wie versteht die amtliche Statistik diese oftmals stigmatisierte oder emotional aufgeladene Gebäudekategorie? Die Antwort findet man im Merkmalskatalog zum Eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregister (Version 4.1). Die Gebäudekategorie «Einfamilienhaus» definiert sich als ein Gebäude mit reiner Wohnnutzung, das erstens exakt eine Wohnung umfasst, zweitens keine Nebennutzungen beinhaltet. Die dazugehörige Wohnung muss drittens ein eigenes Dach besitzen und sie weist viertens einen eigenen ebenerdigen Eingang auf. Selbstverständlich ist ebenfalls per Definition festgelegt, was eine Wohnung ist. Aus Gründen der Vereinfachung wird an dieser Stelle auf weitere definitorische Ausführungen verzichtet.


Der obigen Umschreibung dürften beispielsweise idealtypisch Villen, Chalets, Forsthäuser, viele Bauernhäuser oder eben profane Landhäuser bzw. das sprichwörtliche «Einfamilienhüsli» entsprechen. Aber auch Doppel- und Reihenwohnhäuser zählen als sogenannte Einfamilienhäuser, sofern die darin enthaltenen Wohnungen kumulativ ein eigenes Dach und je einen ebenerdigen, eigenen Wohnungseingang aufweisen. Im Umkehrschluss gelten aus statistischer Optik vermeintliche Einfamilienhäuser, die noch eine Nebennutzung wie etwa eine angebaute oder integrierte Arztpraxis beinhalten, nicht als solche. Dasselbe gilt für den Gebäudetypus «Einfamilienhaus» mit Einliegerwohnung. Die Statistiker klassifizieren solche Gebäude bereits als Mehrfamilienhäuser. Beinhaltet ein reines Wohngebäude zwei Wohnungen, die vertikal nebeneinander organisiert sind, zählt man jedoch bereits wieder zwei Einfamilienhäuser. Wenn im selben Gebäudevolumen nun aber die Wohnungen horizontal übereinander gebaut wurden oder sie ein gemeinsames Dach aufweisen, fallen sie in die Gebäudekategorie der Mehrfamilienhäuser. Davon gibt es hierzulande immerhin 165'000 Gebäude. Soweit ist alles klar beziehungsweise geklärt. Anmerkung: Eigentums- und Grundbuchrechtliche Kategorien spielen bei dieser Betrachtungsweise schlicht keine Rollen.


Was ist die Moral dieser Geschichte? Die nummerische Grenze von einer Millionen Einfamilienhäusern in der Schweiz ist wohl eher eine schwammige bzw. technische Grösse. Mit unserer alltäglichen Wahrnehmung der gebauten Umwelt dürfte sie nur bedingt korrespondieren. Dazu eine kleine Illustration: Auf kommunaler Ebene weist die Stadt Zürich die mit Abstand grösste Population von Einfamilienhäusern aus, nämlich knapp 9'500 Einheiten. Auf den weiteren Plätzen folgen Winterthur, Bellinzona, die Stadt Basel, Lugano und die Stadt Bern (in der Bundeshauptstadt zählt man knapp 4'000 Einfamilienhäuser). Mit diesen urbanen Standorten verbindet man mehrheitlich Dichte oder Verdichtung, aber wohl kaum Zersiedelung oder ländliche Idylle.


Erste Anmerkung: Die Mediangemeinde der Schweiz wiederum weist lediglich einen Bestand von 290 Einfamilienhäusern im eigenen kommunalen Wohngebäudepark auf. Das heisst mit anderen Worten, dass in der Hälfte aller Schweizer Gemeinden der einschägige absolute Wohnungsbestand unter dem aufgeführten Wert liegt. Und ja, man höre und staune, es existiert genau eine politische Gemeinde, wo es bis dato gar keine Einfamilienhäuser gibt. Deren relativer Anteil von Einfamilienhäusern beträgt folglich null Prozent am kommunalen Wohnungsbestand. Es ist dies die Berner Gemeinde Schelten. Ende 2018 lebten dort 36 Seelen. Aufgrund des generellen Trends zur Aufhebung von Kleinstgemeinden durch entsprechende Fusionen ist es nur eine Frage der Zeit bis auch diese einfamilienhausfreie Zone zumindest als statistische Besonderheit verschwindet.


Aus immobilienökonomischer Sicht viel interessanter ist in diesem Kontext die Gemeinde mit dem zweitgeringsten relativen Anteil an Einfamilienhäusern. Es ist dies – Überraschung, Überraschung – die Stadt Genf. Auf dem dortigen Stadtgebiet finden sich gerade einmal knapp 700 Häuser, die statistisch betracht als Einfamilienfamilienhäuser taxiert werden. Folglich bewegens sich Gemeinden wie Sargans oder Unterentfelden diesbezüglich auf Augenhöhe mit der Metropole an der Rhône. Daraus ergibt sich für die Westschweizer Grossstadt ein relativer Anteil von 0.63% am gesamten städtischen Wohnungsbestand. In der Stadt Zürich liegt der identische Wert fast sieben Mal höher, nämlich bei 4.16%. Wer in der Stadt Genf also ein Einfamilienhaus zum Kaufen sucht, sucht die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.


Zweite Anmerkung: Laut den amtlichen Statistiker aus Neuchâtel leben in knapp der Hälfte aller Einfamilienhäuser (46%) entweder nur eine oder lediglich zwei Personen. Insofern erscheint die Bezeichnung «Einfamilienhüsli» (EFH) vielerorts de facto nicht mehr aussagekräftig zu sein. Zeitgemässer und adäquater wäre es, wenn dort vom Einhaushaltsgebäuden oder Einhaushaltshäusern (EHH) die Rede sein würde. 


Quellen:

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/register/gebaeude-wohnungsregister/publikationen.assetdetail.7008785.html


Bildnachweis:

Einfärbung durch den Autor.



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