top of page

Wer ist die oder der Grösste im ganzen Land?



«Megavermieterin UBS»


Kürzlich titelte der «Blick» mit der Schlagzeile, dass sich gegen die Megavermieterin UBS Widerstand rege. Es ging – wie könnte es anders sein – um das Zusammengehen der beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse (CS). Im selben Artikel und auch andernorts wurde zudem von der «grössten Wohnungsbesitzerin des Landes» gesprochen. Bis anhin wurde hierzulande dem Swisslife-Konzern diese inoffizielle Spitzenpositionierung zugeschrieben.


Ein Blick in die einschlägigen Geschäftsberichte der Immobilienfonds und der Anlagestiftungen von UBS und CS bestätigt, dass die aggregierte Anzahl aller gebauten Wohnungen (exklusive laufender Bauprojekte) der beiden Organisationen die Marke von 70'000 Einheiten bis heute leicht überschreitet (Stand 2. Hälfe 2022). Diese Quantifizierung durch und in den Medien erfolgte nachweislich korrekt. Je nach Stichtag ergeben sich dabei unbedeutende Unschärfen. Unabhängig davon handelt es sich hierbei für hiesige Verhältnisse um einen stattlichen Wohnungsbestand. Er ist hüben wie drüben über die letzten 50 und mehr Jahre sprichwörtlich aufgebaut worden. Insbesondere in den vergangenen zwei Dekaden drückten die dort verantwortlichen Personen und Gremien mächtig aufs Gaspedal.


Rechtlich betrachtet ist beide, die UBS und die CS, weder Eigentümerin noch direkte noch indirekte Besitzerin all dieser Wohnungen wie auch nicht von den übrigen Liegenschaften, die zu den entsprechenden Anlagevehikeln gehören. Ergänzend gilt es anzumerken, dass die beiden Banken mehrheitlich auch nicht in der Rolle der Vermieterinnen agieren. Doch lassen wir diese sachen-, gesellschafts- und vertragsrechtlichen Kategorien hier ruhen. Dass hier in der Hitze des Gefechts und zugunsten einer knackigen Schlagzeile Kraut und Rüben gemischt werden, soll in diesem Blog nicht der springende Punkt sein.


Nationaler Marktführer in der Rolle als immobilienaffiner Asset Manager (AUM)


Korrekt ist hingegen, dass die UBS Fund Management (Switzerland AG) und ihr Gegenstück, die Credit Suisse Asset Management, die angesprochenen liegenschaftsbezogenen Vermögenswerte im Jargon gesprochen «under management» (AUM) haben. Faktisch laufen in diesen beiden und weiteren «banknahen» Organisationen in mannigfaltiger Hinsicht die zentralen Fäden zusammen. Mehr noch, in diesen Organisationen und Vehikeln werden unter weitgehendem Ausschluss der Eigentümerschaft der jeweiligen Liegenschaften massgebende Entscheidungen getroffen, die in idealtypischen Situationen genau der Eigentümerschaft zustehen, bzw. von ihr zu treffen sind. Konkret geht es um Käufe und Verkäufe, um die handfeste Umsetzung von Anlagestrategien oder auch die Auswahl von Vertragspartnern (u. a. der externen Verwaltung, der Schätzungsexperten oder der Revisionsstelle). Fakt ist weiter, dass primär Immobilienfonds, die nach dem Kapitalanlagegesetz (KAG) reguliert sind, einen meiner Ansicht nach bemerkenswert hohen Grad an Transparenz für alle aufweisen. So wird jede Liegenschaft mit diversen Kennwerten inklusive Adresse (es fehlen nur noch die Koordinaten) im Geschäftsbericht aufgeführt.


Das gefällt. Keine Frage, dass man noch mehr Daten in der Regel auch nicht abgeneigt wäre. Aber nur schon die Tatsache, dass ich als «Outsider» legal und mit vertretbarem Aufwand die Anzahl von der UBS und der CS gemanagten Wohnungen verlässlich ermitteln kann, spricht für sich. Denn eine analoge Aussage zu machen, wie viele Wohnungen beispielsweise alle Schweizer Gemeinde aggregiert als Eigentümerinnen besitzen und diese auch vermieten, wäre heute innert nützlicher Frist und mit vertretbarem Aufwand gar nicht machbar. Exkurs: Auch im Bereich der aufkommenden Berichterstattung zu ESG-Themen sind es exakt ausgewählte institutionelle Investoren, d. h. primär kotierte Aktiengesellschaften und Immobilienfonds sowie Anlagestiftungen, die diesbezügliche Pionierarbeit leisten und auch darüber rapportieren.


Schweizer Mietwohnungsmarkt: ein See mit grösseren und kleineren Fischen


Die Grösse der hiesigen Mietwohnungsmarktes – hier verstanden als Bestand von Wohnungen, die in Dauermiete an Privathaushalte, typischerweise unmöbliert oder auch möbliert, vermietet oder untervermietet werden oder könnten (Stichwort: Leerstände) – kennt niemand genau. Entsprechende flächendeckende Statistiken oder Erhebungen (zeitnahe) existieren nicht. Die gesuchte Marke lässt immerhin verlässlich abschätzen: Es dürften 2.3 bis 2.5 Millionen Mietwohnungen sein. Bewusst und ausdrücklich ausgeklammert bleiben bei der Berechnung des Bestandes rund 150'000 Genossenschaftswohnungen (konnte man auch anders machen).

Von diesem Mengengerüst ausgehend dürfte der in UBS- oder CS-Vehikeln vorhandene aggregierte Bestand an Mietwohnungen in der Grössenordnung von 2.7 bis 3.1 Prozent bewegen (Stand 2022). Alle Mietwohnungen (exklusive Genossenschaftswohnungen) bilden zusammen 100 Prozent. Fazit: Begriffe wie Marktmacht, marktbeherrschende Stellung, Kartell, Oligopol oder gar Monopol sind hier offensichtlich fehl am Platz. Die Wettbewerbskommission könnte bei einer allfälligen Überprüfung in diesem Punkt nicht einmal ein Haar in der Suppe finden. Marktmacht sieht anders aus. Auch das kleinräumige Monieren einer allfälligen Marktbeherrschung nach mietrechtlichen Normen (Art. 11 Abs. 3 VMWG) wäre ebenfalls an den Haaren herbeigezogen.


Der perfekte Immobilienmarkt aus neoklassischer Sicht


Der Schweizer Mietwohnungsmarkt entspricht dem volkswirtschaftlichen Ideal eines vollkommenen Marktes in fast keiner relevanten Dimensionen oder nur mit markanten Einschränkungen. So sind die angebotenen Mietwohnungen und ihre Standorte alles andere als homogen (also nicht austauschbar), die Anpassungsprozesse dauern lange, es bestehen Informationsasymmetrien, die Transaktionskosten sind hoch und die Markttransparenz hat auch hier noch Luft nach oben.


Aber in einem Punkt kommt der hiesige Mietwohnungsmarkt als ein Aggregat betrachtet dem Fetisch des vollkommenen Marktes sehr nahe. Zwar herrscht keine atomistische Konkurrenz. Eine solche Situation liegt dann vor, wenn eine sehr grosse Anzahl von Anbietern einer sehr grossen Zahl von Nachfragern gegenübersteht. Aber zumindest und immerhin fallen die Eigentums- und die Besitzverhältnisse angebotsseitig mit Blick auf den Mietwohnungsbestand Schweiz nach wie vor äusserst fragmentiert aus.


Stimmt das wirklich? Ein Realitätscheck anhand der Stadt Zürich soll empirische Evidenz liefern. Der Mietwohnungsbestand in der Limmatstadt beträgt rund 152'000 Mietwohnungen. ACHTUNG: Ausgeklammert bleiben davon rund 41'000 Wohnungen von Wohnbaugenossenschaften, weitere gut 22'000 Wohnungen im Stockwerkeigentum und nochmals weitere rund 15'700 Wohnungen der öffentlichen Hand. Die Immobilienvehikel der UBS und der CS hatten per Ende 2022 einen Mietwohnungsbestand von total 6’300 Wohnungen in ihrem «Stadtzürcher» Portfolio. Daraus ergibt sich – ausschliesslich am Bestand von privaten Akteuren gehaltenen Mietwohnungen gemessen – ein bankenaffiner Anteil von gut 4.1 Prozent. Selbst in dieser streng gewählten Übungsanlage bewegt sich der fragliche städtische Marktanteil der UBS und der CS auf einem moderaten Niveau.


Stellt sich möglicherweise die berechtigte Frage, wer denn auf dem Platz Zürich angebotsseitig über das grösste Portfolio an Mietwohnungen verfügen kann. Die Antwort darauf mag die eine oder den anderen überraschen. Es ist mutmasslich, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit die Gebietskörperschaft Stadt Zürich.


So besitzt die «Liegenschaften Stadt Zürich» (LZS) einen Bestand von 9’500 Mietwohnungen, also rund 50 Prozent mehr als das unter Beobachtung stehende standortbereinigte Immobilien-Konglomerat von UBS und CS.


Im Lichte dieser Zahlen wird einmal mehr klar, dass eine allfällige Kritik an der Grösse nur vorgeschoben und fadenscheinig sein kann. Dahinter steckt in der Regel etwas anderes, nämlich eine Grundsatzkritik an den herrschenden Eigentums- und Besitzverhältnissen. Dasselbe gilt im übertragenen Sinn für die Aufgaben «Vermietung» und «asset under management». Oder anders formuliert sind nach dieser Lesart die «falschen» Vermieter am Werk, weil sie profitorientiert agieren.


Die Moral von der Geschichte


Bei der Benutzung von Superlativen ist Vorsicht geboten. Gemessen am mutmasslichen Gesamtbestand der vermieteten Wohnungen in der Schweiz ist selbst das Konglomerat UBS-CS zwar sehr gross, aber der relative Marktanteil fällt gleichwohl bescheiden aus. In keinem anderen Wirtschaftszweig dürfte der nationale Marktführer oder die Marktführerin einen so mageren Marktanteil besitzen. Der Knackpunkt dieser Betrachtung ist offensichtlich: Es geht immer darum, welche Systemgrenzen bei der Beurteilung gesetzt werden. So ist es immer möglich mit einer notwendigen oder lediglich provokativ ausgerichteten Definition des Segmentes und/oder des Gebietes eine extreme Marktsituation zu schaffen. Ein Beispiel: Gibt es in einer Gemeinde nur eine Attikawohnung, die vermietet wird, dann ist die dazugehörige vermietende Partei ein Monopolist für genau dieses Gut.


Eine kleine ironische Pointe zum Schluss


In der Aargauer Gemeinde Birr (ja, dort steht seit Kurzem das Reservekraftwerk des Bundes) sind der UBS Fund «Anfos», der UBS Fund Direct Residential sowie die UBS Anlagestiftung zusammen Eigentümer von sage und schreibe 529 Wohnungen in einer Siedlung (vgl. Titelbild). Die Adresse lautet Wyde 3 – 20. Der geschätzte kommunale Mietwohnungsbestand beträgt dort rund 1’300 Einheiten. Daraus resultiert in Birr ein Marktanteil der drei UBS-Vehikel von knapp 41 Prozent! Meine Frage: Für wen stellt diese Marktdominanz der «Banken» vor Ort ein Problem dar? Bilde Deine Meinung dazu selbst. Der guten Ordnung halber sei darauf hingewiesen, dass am 1. Juni 2022 in Birr 130 Mietwohnungen leer standen. Im neusten Geschäftsbericht (Jahre 2021/2022) des oben genannten UBS Fund «Anfos» findet sich die nachfolgende Passage:


«… und in der Wohnsiedlung Wyde in Birr (AG) werden wir energetische Massnahmen und die Abkehr vom fossil betriebenen Heizungssystem umsetzen. Für jede dieser Liegenschaften entwickeln wir im Bereich Nachhaltigkeit einen individuellen Optimierungsplan. In Birr ist beispielsweise ein Anschluss an ein Fernwärmenetz vorgesehen.»


Fazit: Wirkt die vom Bundesrat lancierte CO2-Schleuder in Birr im grossen Massstab und brachial gegen die Erreichung von nationalen Klimazielen, tut ein mutmasslich «böser Immobilienspekulant» im kleinen Massstab genau das Gegenteil davon. Letzteres gefällt mir, auch wenn die konkret getroffene Massnahme nicht das Gelbe vom Ei darstellt. Sachen gibt’s.


PS: persönlicher Nachtrag aus der Optik Markttransparenz und Digitalisierung


Auf die Woche genau vor 27 Jahren hatte ich meinen beruflichen Einstieg als «wissenschaftlicher Mitarbeiter» bei Wüest Partner. Wäre ich damals vor die Aufgabe gestellt worden, zur oben behandelten Materie eine Analyse zu machen, bzw. einen Blog zu schreiben, hätten ich selbst und jede andere Person die absolut identischen, datenbasierten Auswertungen problemlos durchführen können.


Der einzige Unterschied hätte darin bestanden, dass die Beschaffung der Rohdaten bzw. der Daten selbst deutlich aufwendiger gewesen wäre. Aus konkreter und praktischer Sicht gesehen wäre postalische Anfrage bei den jeweiligen Organisationen einerseits und das Datenmaterial auf Papier andererseits eine Realität gewesen. Ohne Zweifel können die zwischenzeitlich herrschenden Arbeitsbedingungen als fortschrittlich taxiert werden.


Gleichwohl gilt es auf einen triftigen datenaffinen Wehrmutstropfen hinzuweisen: Weder inhaltlich, sektoral, oder regional noch Akteur bezogen existieren heute zusätzliche Daten, die weitere vertiefende oder ergänzenden Auswertungen zuliessen. Dazu gab es null Fortschritt, also auch hartes Brot für Forschende. Folglich stehen dort weiterhin nur Hilfskonstruktionen à la Schätzungen, Hochrechnungen, Mutmassungen oder Modellierungen zur Verfügung, um Aussagen zu irgendwelchen Kräfte- oder Grössenverhältnissen zu machen. Dies sind insbesondere keine ermutigenden Voraussetzungen, um in der ESG-Berichterstattung zu Immobilien im gesamten Spektrum, und nicht nur dort, aus volkswirtschaftlicher Sicht auf einen grünen Zweig zu kommen. Es bleibt noch viel zu tun.


Quellen:

Diverse Jahresberichte und Halbjahresberichte von Immobilienfonds und von Anlagestiftungen der UBS einerseits und der CS andererseits.


https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/dienstleistungen/forschung/stat-tab-online-datenrecherche.html

https://www.stadt-zuerich.ch/fd/de/index/das_departement/organisation/lsz.html


Bildnachweis:

ETH pics, Nr. Com_F67-10418

Birr, Wohnüberbauung "In den Wyden", Blick nach Nordnordosten (NNE), 18. April 1967

Comet Photo AG (Zürich)





















bottom of page