Der «Markt» ist eine ökonomische Projektionsfläche erster Güte. Er steht für vieles. Manchmal spielt er verrückt, ist überhitzt, richtungslos, volatil oder er versagt und manchmal ist er sogar tot. Dabei geht häufig vergessen, dass hinter diesem anonymen Platzhalter reale Menschen und Unternehmen stehen. Sie sind das Salz in der Suppe. Nicht Daten, Diagramme oder Statistiken schreiben Wirtschaftsgeschichte, sondern Unternehmerinnen und Unternehmer oder Managerinnen und Manager. Sie sind mehr oder weniger wirksam. Nachfolgend erzähle ich die Geschichte eines Mannes, der im besten Sinn des Wortes zum Zürcher Wirtschaftsfilz zählte: Er war exzellent vernetzt. Lange Zeit vor der Aufmerksamkeitsökonomie prägte er mit seinem Wirken und seinen Beiträgen den hiesigen Immobilienmarkt über fast vier Jahrzehnte massgeblich mit.
Biografisches zu Max Brunner
Max Brunner war Zeit seines Lebens ein herausragender Funktionär. Immobilien bildeten dabei das Zentrum seines Wirkens. Seine Geschichte geht so. Das Licht der Welt erblickte er als drittes Kind der Familie Brunner am 16. September 1893 in Oerlikon. In dieser Vorortsgemeinde der Stadt Zürich wohnten er, seine Eltern, Susanna und Karl Brunner, zusammen mit der erstgeborenen Tochter M. und dem ältesten Sohn P. Der Vater war als Baumeister tätig. Zudem gehörte er ab Frühling 1910 als Sozialdemokrat dem «Grossen Stadtrat» an, dem Stadtzürcher Parlament.
Seine Mutter starb mit nur 38 Jahren. Max war damals keine vier Jahre alt. Der Witwer heiratete ein halbes Jahr später, im Juli 1897, erneut. Fortan war Elisabeta Sofie Biber Max’s Stiftmutter. Sie brachte eine siebenjährige Tochter mit in die Ehe. Elisabeta Maria Biber, so ihr Name, sollte Jahre später die Ehefrau von Max Brunner werden.
In Oerlikon besuchte Max Brunner die Primar- und Sekundarschule. Anschliessend absolvierte er die kantonale Handelsschule in Zürich und schloss mit der Matura ab. Ab April 1908 wohnte seine Familie im Stadtzürcher Quartier Oberstrass in einem kleinen Mehrfamilienhaus. Die Adresse lautete: Bolleystrasse 44. Es war Karl Brunner, der im Jahre 1905 das Doppelmehrfamilienhaus auf der grünen Wiese erbauen liess. Die beiden an der Bolleystrasse 42 und 44 gelegenen Wohnhäuser befanden sich in seinem Eigentum. Auf dem Nachbargrundstück in südwestlicher Richtung befand sich zu damaliger Zeit die im Jahre 1875 erbaute Frauenklinik. Sie gehörte zum Kantonsspital, später wurde sie ein Teil des Universitätsspitals. Ebenfalls nur einen Steinwurf vom Wohnort entfernt stand die Eidgenössische Sternwarte der ETH.
Quelle: Bolleystrasse 44 in Zürich-Oberstrass, datiert 1962, Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich.
1912 schrieb sich der Neunzehnjährige an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich ein. Es folgten Auslandaufenthalte an zwei Universitäten, zuerst in Berlin und anschliessend in Paris.[i] Ab Mai 1915 studierte er – kriegsbedingt – wieder in Zürich. Der Erste Weltkrieg prägte seine Studienzeit nachhaltig. Immer wieder musste er Militärdienst leisten. Im Februar 1919 erlangte er dennoch die Würde eines Doctor juris publici. Seine Doktorarbeit über «Die Bundesexekution» wurde von Fritz Fleiner (1867–1937) betreut, einem führenden Schweizer Staatsrechtler seiner Zeit.[ii] Nach Abschluss des Doktorats erwarb der junge Jurist das Zürcher Anwaltspatent.
Im Sommer 1919 erfolgte die Heirat mit Elisabeta. Zusammen bezog das junge Ehepaar eine Wohnung an der Bolleystrasse 42, also im Nachbarhaus, wo der Ehemann seine Jugendjahre verbracht hatte. Dieser Wohnungsbezug ging nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne. Die NZZ berichtete darüber. Was war passiert? Ende Januar 1919 meldete sich «eine ehrenwerte Dame» in der Zeitung mit einer Zuschrift zu Worte. Sie beklagte sich bitterlich über die erhaltene Kündigung ihres langjährigen Mietvertrages. Der Wohnungsvermieter, ein sozialdemokratisches Mitglied des Zürcher Stadtparlaments, läge mit allen Mietern im Haus im Streit. Und die gegen sie und ihren Ehemann ausgesprochene Kündigung sei einzig und allein deshalb erfolgt, damit der Vermieter «alle Schweizer auf die Strasse stellt, um Deutsche, die mehr anbieten, ins Haus zu nehmen».[iii] Ausländer wären – so die angesäuerte Schweizer Mieterin – grundsätzlich bereit 200 bis 500 Franken mehr Mietzins zu bezahlen. Auch ihr Vermieter würde bei diesem Spiel mitmachen. Die NZZ frohlockte, dass diesmal vielleicht ein linksorientierter Politiker als Vermieter das schwarze Schaf im Wohnungsmarkt sei.
Nur zwei Tage später musste die Redaktion zurückrudern.[iv] Die gegen «Herr Baumeister Karl Brunner in Zürich 6» vorgebrachten Vorwürfe hätten sich nach einlässlicher Überprüfung durchwegs als falsch erwiesen. Nicht die Bevorzugung eines ausländischen Mieters, der einen höheren Mietzins hätte bezahlen wollen, sei der wahre Kündigungsgrund gewesen. Vielmehr würde die fragliche Mietwohnung für ein Mitglied der eigenen Familie benötigt. Auch die weiteren der vorgebrachten Anschuldigungen hätten sich nach Rücksprache mit der Mieterschaft vor Ort als haltlos erwiesen. Die NZZ wolle bei der Beurteilung des Zürcher Wohnungsmarktes «einen unparteiischen Standpunkt» einnehmen. Gleichwohl taxierte die Zeitungsredaktion die dort herrschenden Marktverhältnisse als wenig erquicklich. Im Übrigen sei es unbestritten, dass sich ausländische Mieter durch die Bezahlung hoher Mietzinsen einen Vorteil sichern. Die herrschende Wohnungsnot führe dazu, dass diese Masche bei «gewissenlosen» Vermietern funktionieren würde. Die Episode dürfe bei Vater und Sohn Brunner ihre Spuren hinterlassen haben.
Im Herbst 1922 wurde dem Max Brunner ein Mehrfamilienhaus aus dem Vermögen seines Vaters überschrieben. So wurde er bereits in jungen Jahren zum Eigentümer einer Liegenschaft in der Stadt Zürich[v] und schlüpfte damit automatisch in die Rolle eines Vermieters. Das dreigeschossige Haus selbst umfasste drei Wohnungen sowie ebenso viele Mansardenzimmer. Ausser der Familienwohnung waren die übrigen Wohnräume immer an Dritte vermietet. Insofern kannte Max die Schnittstelle zwischen Vermieter und Mieter nicht nur als juristische Materie, sondern auch praxisnah aus erster Hand. Im September 1926 kam Tochter U. zur Welt. Sie hatte keine Geschwister. Nach Abschluss ihrer Ausbildung und einem Aufenthalt in Genf arbeitete sie in Zürich als kaufmännische Angestellte. Nach dem Tod ihres Vaters war sie Alleinerbin. Sie verkaufte die Zürcher Liegenschaft im Jahre 1986. Das Mehrfamilienhaus, in dem sie aufwuchs, blieb somit insgesamt über 80 Jahre im Eigentum der Familie.
Max Brunner war immer ein Angestellter. Er bezog einen Lohn. Dazu kamen mandatsbezogene Einkünfte als Politiker und als Mitglied von Gremien sowie die Mieteinnahmen aus seinem Mehrfamilienhaus. Nach Abschluss seines Studiums wies er für das Jahr 1919 weder steuerbares Einkommen noch Vermögen aus. Zehn Jahre später versteuerte er ein Einkommen von 9'600 Franken und ein Vermögen von 10'000 Franken. Zwischen 1939 und 1952 nahm sein jährliches Einkommen tendenziell zu und schwankte in einer Bandbreite von 22'000 bis 30'000 Franken. Am Ende des Zweiten Weltkrieges belief sich sein steuerbares Vermögen auf rund 186'000 Franken. Wesentlicher Bestandteil davon war seine oben erwähnte Immobilie.
Sein Todestag war der Montag der 15. Januar 1962. Nördlich der Alpen hatten am Wochenende zuvor Hochwasser grosse Schäden angerichtet. Max Brunner konnte die Berichte dazu nicht mehr lesen. Er starb im Alter von 68 Jahren unerwartet an den Folgen eines Herzinfarktes in seinem Tessiner Landhaus.[vi] Dort, in Piazzogna, einem Ortsteil der damaligen Gemeinde Gambarogno, verbrachte er seit seiner Pensionierung als Witwer den Lebensabend. Als bekennender Naturliebhaber galt seine Passion der Gartenanlage auf seinem eigenen Grundstück. Sie soll prachtvoll gewesen sein.
Quelle: Hauseigentümerverband Zürich, undatierte Aufnahme von Dr. Max Brunner.
Erster Verbandssekretär
Am 1. Januar 1923 trat Max Brunner seine Lebensstelle an. Sein Arbeitgeber war ein Interessenverband. Erstmals in der Geschichte des Verbandes der Haus- und Grundeigentümer der Stadt Zürich wurde die Stelle des Verbandssekretärs vollamtlich besetzt. Er leitete in dieser Funktion das Sekretariat des Verbandes. Für den knapp Dreissigjährigen war es kein Neuland. Denn schon zuvor war er dort als Aktuar tätig. Auch waren bereits frühere öffentliche Auftritte von ihm unter der Flagge des Verbandes aktenkundig. So referierte er im Oktober 1922 zum Thema «Der Einfluss der Vermögensabgabe auf die Mietpreisgestaltung».[vii] Hintergrund dazu bildete eine Eidgenössische Volksabstimmung, die eine einmalige Vermögensabgabe verlangte. Diesen Vorstoss lehnte das Stimmvolk jedoch noch vor Jahresende ab.[viii]
Sein «Bureau» befand sich am Sonnenquai 10 (heute Limmatquai) in unmittelbarer Nähe zum Bellevue-Platz. Die Mieterschaft in der Liegenschaft «Zürcherhof» war bunt gemischt. Sie reichte von Anwälten, Ärzten und einem Architekten über einen weiteren Verband sowie eine Krankenkasse bis zu diversen Aktiengesellschaften, die in unterschiedlichen Branchen tätig waren. Im Dezember 1930 verlegte der Arbeitgeber von Max Brunner seinen Geschäftssitz an die Talstrasse 15 in der sogenannten City. Die Geschäftsliegenschaft «Schanzenhof» wurde Ende der 1920er-Jahre als repräsentative Blockrandbebauung entlang des Schanzengrabens realisiert. Und nur einen Steinwurf von seinem Arbeitsplatz entfernt befand sich die Zürcher Börse. Die dazugehörige Liegenschaft wurde zur selben Zeit fertiggestellt. Auch an der neuen Adresse des Verbandes war die Mieterschaft breitgefächert. Dazu gehörte unter anderen die Privatbank «Rahn & Bodmer». Diese Adresse bildete bis zur Pensionierung von Max Brunner im Jahre 1959 seine Wirkungsstätte. In den 1920er-Jahren war er einer von gut 48'000 Menschen, die in der Zürcher Innenstadt ihren Arbeitsplatz hatten. Ein nicht nur für Max Brunner perfektes, kleinräumiges und fussgängiges Habitat, um berufliche, politische und private Kontakte aufzubauen und sie zu pflegen.
Der «Verband der Hausbesitzer von Zürich und Ausgemeinden» wurde am 25. Januar 1886 im Hotel Central in Zürich gegründet. Davon zeugt lediglich eine Bleistiftsnotiz. Die eigentliche Gründungsversammlung fand am 5. April 1886 statt. Der Zweck des Verbandes bestand darin, die Gesamt- und Einzelinteressen gegenüber von Mietern zu wahren und zu fördern sowie generell geordnete Mietverhältnisse herbeizuführen. Der damalige Mitgliederbeitrag betrug zwei Franken pro Jahr. Für die Mitglieder wurden bereits in den ersten Jahren verschiedene Begünstigungen und Leistungen angeboten. Dazu gehörten beispielsweise standardisierte Mietvertragsformulare, ein Rabattsystem bei der Inserierung von Mietwohnungen im Tages-Anzeiger, Vergünstigungen bei Versicherungen oder die Gründung einer Bürgschaftsgenossenschaft. 1910 zählte der Verband rund 1'200 Mitglieder. Beim Eintritt von Max Brunner waren es Ende 1922 exakt 3'350 Mitglieder;[ix] und bei seiner Pensionierung Ende 1959 zählte man 10'608 Mitglieder. Ein Meilenstein in seiner Verbandstätigkeit war die Lancierung der «Verbandsmitteilungen». Als Sekretär war Max Brunner federführend für sie verantwortlich. Darin verfasste er als Verbandssekretär unzählige Beiträge, die nicht selten philosophisch unterfüttert waren. Auch im «Schweizerischen Haus- und Grundeigentümer», dem offiziellen Sprachrohr des «Verbandes Schweizerischer Haus- und Grundeigentümer», meldete er sich mit spitzer Feder und scharfsinnigen Beiträgen zu Worte. Er war eine anerkannte Autorität.
Quelle: NZZ vom 8. Juni 1942.
Zudem war er dem Schreiben von Zeitungsartikeln etwa in der NZZ nicht abgeneigt. Im Gegenteil. Daneben war er das «Gesicht» des Verbandes. Kaum ein Monat verging, ohne dass Max Brunner nicht ein Referat gehalten hätte. Neben allen fachlichen Fragestellungen rund um Immobilien widmete er sich gerne Lebensweisheiten oder kunst- und architekturgeschichtlichen Themen. Seine Palette war immens. War es im grossen Saal der neuen Börse (Bleicherweg), war es im Schwurgerichtssaal des Zürcher Obergerichts, Max Brunner markierte in Vorträgen, in Diskussionsrunden oder bei politischen Manifestationen eine starke Präsenz in der Öffentlichkeit.
Buchpublikationen am Laufmeter
Handbuch über Fragen aus dem Mietrecht
Ausgangspunkt der juristischen Schreitätigkeit von Max Brunner bildete ein Fachbuch zum schweizerischen Mietrecht für Wohn- und Geschäftsräume. Das Werk umfasste mehr als 400 Seiten und erschien im Dezember 1927. In diesem Kontext verfasste der preisgekrönte Schweizer Schriftsteller und Priester Heinrich Federer (1866-1928) in der NZZ eine Buchbesprechung: «Von Zeit zu Zeit ereignet sich doch noch das Wunder, dass ein alter stiller Wunsch unversehens in aller Oeffentlichkeit erfüllt wird. (…) Daher ist Max Brunners solides, klares Buch mit seinem erschöpfenden Aufschluss über alle kleinen und grossen Fragen des Mietrechts (…) nicht bloss Belehrung, Hilfe, sondern geradezu eine soziale Wohltat für jedes Haus.»[x] Das Lob war berechtigt. Obwohl es sich um einen klassischen rechtlichen Kommentar handelte, gaben die zahlreich geschilderten Fälle alltagsnahe Einblicke in hiesigen Wohnverhältnisse von Haushaltungen, die in Mietwohnungen lebten. Durch die Behandlung von Rechten und Pflichten beider Vertragsparteien resultierte ein facettenreiches Bild für deren Sorgen und Nöte: von der angemessenen Raumtemperatur über Dachantennen und der Rücksicht auf die «Hausgenossen» bis hin zur Bekämpfung von Ungeziefer.
Rund zehn Jahre später doppelte der Autor mit einer zweiten, erweiterten Auflage nach. Diesmal beanspruchte er sage und schreibe über 700 Seiten, um derselben Materie gerecht zu werden. Die Schnittstellen zwischen den Mietparteien waren offensichtlich schon in jenen Tagen so vielschichtig und anspruchsvoll, wie sie es in der Gegenwart immer noch sind. Zwischen 1925 und 1937 hatte Max Brunner zahlreiche einschlägige Fachartikel in der Zeitschrift «Der schweizerische Haus- und Grundeigentümer», in der «Neuen Zürcher Zeitung» sowie in der «Zeitschrift für schweizerisches Schuldbetreibungs- und Konkursrecht» publiziert. Diese Beiträge bildeten ihm einen Fundus, um kenntnisreich und detailliert mietrechtliche Fragestellungen auszuleuchten. Diese Aus-gabe erhielt erstens ein Beispiel für einen Mietvertrag für eine Wohnung. Die gewählte Adresse der Liegenschaft war fiktiv, nicht aber der Standort: Er befand sich an der Bolleystrasse 46, also in direkter Nachbarschaft zu Brunners Mehrfamilienhaus. Zweitens waren je ein Beispiel für eine Hausordnung und eine Waschküchenordnung aufgeführt. Diese Dokumente stammten vom Haus- und Grundeigentümer-Verband Luzern.
Drittens war unter dem sperrigen Titel «Ausserordentliche Vorschriften betr. Mietzinserhöhung.» die Richtlinien für die Behandlung von Gesuchen um Genehmigung von Mietzinserhöhungen. Den Hintergrund zum Erlass dieser schweizweit geltenden Vorschrift bildeten internationale Währungsturbulenzen. Im Herbst 1936 beschloss der Bundesrat eine Abwertung des Schweizer Frankens um 30 Prozent. Um damit allfällig verbundenen Inflationsbefürchtungen entgegenzuwirken, verfügte der Bundesrat präventiv einen selektiven Preisstopp. Darunter fielen auch Miet- und Pachtzinse. Mit der praktischen Durchführung der notwendigen Massnahmen beauftragte der Bundesrat die bereits 1931 geschaffene Eidgenössische Preiskontrollstelle. In einem abschliessenden Katalog waren darin fünf Konstellationen aufgeführt, die Mietzinsanpassungen nach oben überhaupt noch zuliessen. In jedem Fall wurden die notwendigen Gesuche von den zuständigen Behörden im Einzelfall geprüft und allenfalls bewilligt. Die freie Mietzinsgestaltung wurde damit vollständig ausgehebelt. Stattdessen wurde sie durch eine behördliche Administrierung abgelöst. Die Geltungsdauer des verhängten Preisstopps war zum Zeitpunkt der Inkraftsetzung unbestimmt. Aber erst in den 1950er Jahren wurde die Mietpreiskontrolle selektiv und schrittweise gelockert. In dieser Zeit, genau genommen am 25. Februar 1955, traf sich der Autor mit dem Zürcher Stadtpräsident Emil Landolt (1895–1995). Beide hatten dasselbe Parteibuch. Sie waren Mitglieder der Freisinnig-Demokratische Partei. Bei diesem Zusammentreffen erhielt Letzterer ein signiertes Exemplar der zweiten Auflage des hier erwähnten Werks. Max Brunner dankte dem «Stapi» mit einer handschriftlichen Widmung für seine unermüdliche Bemühungen um das Wohl und Ansehen der Stadt Zürich. Das gesagte Buch befindet sich heute im Besitz des Schreibenden.
Dass die zitierte Buchbesprechung von Heinrich Federer stammte, war kein Zufall. So dürfte der Schriftsteller kein besonderes Faible für mietrechtliche Fragestellungen gehegt haben. Die Erklärung für seinen Artikel in der NZZ war banal und sprichwörtlich naheliegend. Er wohnte als Nachbar von Max Brunner in einer Wohnung an der Bolleystrasse 44. Es war also ein nachbarschaftlicher Dienst der besonderen Art. Heinrich Federer hatte dieses Mehrfamilienhaus im Frühling 1919 von Max Brunners Vater käuflich erworben. Man kannte und schätzte sich.
Buch «Das zürcherische Nachbarrecht»
Dieses Buch erschien 1928. Seine Motivation zum Schreiben begründete Max Brunner in diesem Fall mit zwei Beobachtungen. Erstens handle es sich bei der Materie grösstenteils um kantonale Vorschriften. Das erkläre auch, weshalb bis anhin wenig darübergeschrieben worden sei. Er wollte diese Lücke zumindest für den Kanton Zürich füllen. Zweitens seien es vor allem Fragen aus dem Nachbarschaftsrechts, die Grundeigentümer am häufigsten beschäftigten würden.
Im Kern ging es um das Wesen von Eigentum. Welche Rechte und Pflichten waren mit ihm verbunden? Der übergeordnete privatrechtliche Referenzrahmen war damals wie heute im Sachenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) festgeschrieben. Dieses Bundesgesetz war seit dem 1. Januar 1912 in Kraft. Zuvor hatte jeder Kanton ein eigenständiges Zivilgesetzbuch. Ergänzt wurden diese Normen durch eine Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Erlassen auf nationaler, kantonaler oder kommunaler Stufe. Dazu gehörte insbesondere die gesamte Regulierung um die kleinräumige Raumplanung im Quartier sowie Vorschriften zum Bauen. So gehörten (schon) vor rund 100 Jahren Einsprachen zu Bauvorhaben zum «guten» nachbarschaftlichen Ton. Sie waren alltäglich.
Obwohl der Begriff Nachbarschaft Kleinräumigkeit suggeriert, betraf die Materie zahlreiche Lebensbereiche. Zudem war sie vielschichtig. Seine Abhandlung gliederte sich in fünfzehn Kapitel auf. Neben grundbuchrechtlichen Themen wie beispielsweise der Umgang mit einem Weg- oder Durchleitungsrecht standen zahlreiche weitere Schnittstellen zwischen Nachbarn im Zentrum seiner Ausführungen: Was waren verbotene, und was übermässige Einwirkungen? Welche waren zu tolerieren? Damals wie heute ging es um die Anwendung einer bestimmten Norm. Demnach sollen «übermassige Einwirkungen» auf das Eigentum der Nachbarn unterlassen werden (Art. 684 ZGB). Wie stand es weiter um die Einhaltung von Grenzabständen für Pflanzen?
Einen roten Faden bildete somit der Umgang mit von nachbarlichen Dritten negativ wahrgenommenen Begleiterscheinungen bei der Ausübung von eigenen Eigentumsrechten und umgekehrt. Die behandelte Palette reichte von Lärm über unangenehme Gerüche, Erschütterungen oder Rauch bis hin zum Entzug von Sonnenlicht oder der Aussicht. Die Quellen und Ursachen waren unterschiedlichster Natur. Die Häufigste war Lärm. Der Massstab zur Beurteilung von solchen Immissionen war und ist kein absoluter, sondern ein relativer. Er bemass sich an typischen vor Ort herrschenden Verhältnissen und Begebenheiten.
In Villenquartieren galten andere Niveaus für die zulässige Intensität von nachbarschaftlichen Störungen als andernorts. So schilderte Max Brunner neben zahlreichen weiteren Fällen einen Rechtsstreit, der sich in den 1910er-Jahren in Berner Gemeinde Hilterfingen abspielte. Die Gemeinde lag direkt am rechten Ufer des Thunersee und hatte eine gemeinsame Grenze mit der Stadt Thun. Die Vorortsgemeinde zählte damals rund 750 Einwohner, die sich auf knapp 200 Haushaltungen verteilten. Dort geritten sich zwei Grundeigentümer in die Haare. Der Grund: Der Standort von Aborten (WC-Anlagen) zusammen mit deren aus Holz gefertigten Kanalisationsleitungen, die ihrerseits zu einer Jauchegrube führten. Letztere war lediglich mit Holzbrettern bedeckt. Zudem wurde sie von Zeit zu Zeit «ausgeschöpft», sprich entleert. Die Parteien gingen vor Gericht. Am Ende befasste sich das Bundesgericht mit dem Fall. Im Urteil führten die Richter aus, «dass die Abort-Anlage des Beklagten wegen ihrer primitiven Ausführung die Luft (…) durch Ausdünstungen und üble Gerüche verunreinigt, (…) und den Aufenthalt in den anstossenden Teilen der Parzelle 700 wenn nicht geradezu verunmöglicht, so doch unleidlich macht.» Zudem – so das Bundesgericht – sei der fragliche Teil der Gemeinde Hilterfingen, in welchem sich die Grundstücke befänden, nicht mehr rein dörflich, sondern habe schon «in ausgesprochenen Masse den Charakter eines Kur- und Villenviertes».[xi] Der Eigentümer der WC-Anlage und Beklagte musste diese modernisieren.
Buch «Der Grundstückkauf»
Mit der Veröffentlichung dieses Buches schlug Max Brunner einen neuen Weg ein. Statt einen klassischen rechtlichen Kommentar zu schreiben, wählte er ein anderes Format. Er schrieb einen Ratgeber mit Nachschlagequalität. Dieser zeichnete sich durch Praxisnähe und thematische Breite aus. In 43 Kapiteln wurde ein grosser Bogen geschlagen. Das Ergebnis fiel mit knapp 700 Seiten abermals gewichtig aus. Die erste Auflage von «Der Grundstückkauf» legte der Autor im Jahre 1932 vor. Dieses Buch erfreute sich einer stetigen Nachfrage. So folgten noch zwei weitere Auflagen.
Was drauf stand, war auch drinnen. In diesem Buch wurden alle Verästelungen eines Grundstückskaufs kenntnisreich ausgeleuchtet. Im Zentrum des Transaktionsprozesses stand und steht der Kaufvertrag: Vertragsgegenstand, Kaufpreis sowie alle gängigen Vertragsklauseln und -kontexte wurden umfassend behandelt. Damit aber nicht genug. Auch Schnittstellen zum Mietrecht mit dem damaligen Grundsatz «Kauf bricht Miete», grundbuchrechtliche Fragestellungen, steuerliche Aspekte bei Transaktionen mit Grundstücken oder dem Halten von solchen sowie der gesamte Komplex der Finanzierung wurden unter die Lupe genommen.
Der Einstieg in die gesamte Materie war jedoch ökonomischer Natur. Unter dem Titel «Grundeigentum als Kapitalanlage» stellte der Autor Fragen wie «Soll ich überhaupt etwas kaufen?». Es folgten weitere Fragen wie «Was soll ich kaufen?» oder wann es Zeit sei, um etwas zu kaufen oder zu verkaufen. Dabei zitierte er aus Werken wie «Der Untergang des Abendlandes» des Philosophen Oswald Spengler (1880-1936), erinnerte an das eherne Lohngesetz von Ferdinand Lassalle (1825-1864) und verwies auf Papst Leo XIII. (1810-1903). Letzterer sah es in seiner «Enzyklika Rerum Novarum» als erwiesen, dass auch Lohnarbeiter Grundeigentum erwerben können sollten. Damit würde ein Beitrag für eine menschenwürdige Entwicklung von Personen und Familien geleistet, so das der katholische Kirchenoberhaupt. Die erwähnten Referenzen standen für Max Brunner nicht als stichhaltige Argumente für den Kauf von Liegenschaften Pate. Vielmehr gehörte es zu seinen Markenzeichen, die eigene Belesenheit mit Einschüben zu unterstreichen. Im Zentrum standen in der Regel unabhängig davon messerscharfe Analysen. Der Jurist outete sich hierbei als solider Kenner von volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Dabei erinnerte er an die Inflation als Gefahr für die Kaufkraftsicherung von angelegtem Kapital oder an die Bedeutung des Sparens, also auf den bewussten Verzicht auf Konsum zugunsten von späterem Nutzen. Auch auf potenzielle Risiken, die mit dem Halten von Grundstücken verbunden waren, ging Max Brunner ein. So seien der Höhe der Wohnungsleerstände oder Bewegungen von Preisen immer grösste Aufmerksamkeit zu widmen. Sie seien verlässliche Indikatoren, um die Marktentwicklungen zu beobachten.
Auch dem Transaktionsmarkt, dem Handel, dem Kaufen und Verkaufen, widmete Max Brunner ein Kapitel. Es trug die Überschritt «Liegenschaftenagenten». Darin kam der Berufsstand der Makler wie auch die Tätigkeit der Immobilienvermittlung einleitend verbal unter die Räder. Der Autor brüskierte die genannten Akteure ohne Rücksicht auf Verluste: «Liegenschaftenagenten, Vermittler, Immobilien-Sensale, Courtier, Mäkler oder wie sie sich nennen, bilden einen etwas eigenartigen Berufsstand, dem ganz allgemein gesprochen, nicht das beste Ansehen zukommt. Denn zu ihm sind eben ein grosser Teil arbeitsscheue, von Bildung unbeschwerte Leute zu zählen, die auf möglichst bequeme Art zu Geld kommen wollen (…).» Komme hinzu, dass sich über die soziale Stellung der Liegenschaftenagenten keine klare Aussage machen liesse. Das Spektrum reiche vom «minderwertigsten Hoteldiener» bis zum Bankdirektor. Auch beschränke sich die Auswahl nicht nur auf Männer, sondern auch «alleinstehende Damen» gingen dieser Tätigkeit nach. Der gemeinsame Nenner bestand darin, dass sie alle schon damals auf Provisionsbasis arbeiteten. Demnach bemass sich die Entschädigung für die Makler-tätigkeit als prozentualer Anteil des dannzumal ausgehandelten Transaktionspreises. Sie bewegte sich in einer Bandbreite von einem bis rund drei Prozent.
In diesem Zusammenhang wies der Autor auf alternative Ansätze hin: Um den «wilden Konkurrenzkampf» einen Riegel zu schieben, sei auch schon von einer Liegenschaftenbörse die Rede gewesen. Tatsächlich existierte um 1925 eine solche in Basel. Sie fand jedoch keine Nachahmer. Einen nochmals anderen Weg schlug die Tess AG ein. Die Gesellschaft wurde im August 1928 in der Stadt Zürich gegründet. Sie trat mit dem Anspruch an, den Handel mit Liegenschaften zu revolutionieren. Ihr fünfköpfiger Verwaltungsrat war prominent besetzt: Arthur Epting (1900-1985) präsidierte das Gremium. Er hatte an der Universität Zürich Wirtschaftswissenschaften studiert. In späteren Jahren arbeitete er als Beamter bis zu seiner ordentlichen Pensionierung bei der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich. Das Vizepräsidium oblag Peter (Pietro) Giu-mini (1886-1954). Auf dem Platz Zürich war er als Initiator und Architekt bei etlichen Bauten von Wohngenossenschaften federführend. Dazu gehört mitunter Röntgen-Siedlung. Mit Hans Bernoulli (1876-1959) war ein weiterer Architekt an Bord. Er hatte zur Gründungszeit der Gesellschaft eine Professur an der ETH Zürich inne. Neben seiner Domäne, der Städteplanung, beschäftigte er sich intensiv mit dem Wesen der Spekulation. Und als Anhänger der sogenannten Freiwirtschaft forderte er Zeit seines Lebens eine Bodenreform. Das Eigentum an Grund und Boden sollte dem Staat gehören. Der vierte Verwaltungsrat, Josef Rüttimann (1887-1975), wirkte zuerst als selbständiger Rechtsanwalt der Aargauer Gemeinde Muri. Ab 1929 war er zudem Mitglied des Grossen Rates des Kantons Aargau. Und 1935 gelang ihm der Sprung in Kantonsregierung. Dort verlieb er 17 Jahre lang. Das Quintett im Verwaltungsrat vervollständigte der in Schmerikon ansässige Kaufmann Robert Helbling-Bösch (1881-1949). Als Geschäftsführer der Gesellschaft wurde Dr. Gottfried Esser (1902-1972) eingesetzt. Als Absolvent des Technikums in Biel und als Jurist zeichnete er sich in seinem Berufsleben als Vollblutunternehmer aus. Nach dem Ende der Tess AG produzierte er als Pionier vorfabrizierte Betonelemente, eröffnete und führte eine Batteriefabrik und stellte Uhrengehäuse her. Sein Lebenswerk wurde jedoch die «Lignoform». Das Unternehmen verarbeitete Mitte der 1940er-Jahren im St. Gallischen Benken Sperrholz in allen Varianten.
Das neuartige Geschäftsmodell der Tess AG startete mit dem Anspruch, die angestammte provisionsbasierte Maklertätigkeit auszuhebeln. Die Argumente lauteten Preisvorteil und Transparenz. Statt wie üblich diskret und im Hintergrund zu agieren, wollte man – wie eine Nachweisstelle – kontrolliert an die Öffentlichkeit gelangen. Das Ganze funktionierte wie folgt: Verkaufswillige Eigentümer von Grundstücken registrierten sich in einem ersten Schritt bei der Tess AG. Dafür war eine Grundgebühr zu entrichten. Anschliessend wurde die Gesellschaft aktiv und kommunizierte breit, dass die Liegenschaft «XY» zum Verkauf stand. Dazu gehörten auch die jeweiligen Verkaufsbedingungen. Sollte die fragliche Liegenschaft innerhalb einer festgelegten Zeitspanne tatsächlich veräussert werden, wurde eine zweite, fixe Gebühr an die Tess AG fällig. Dabei spielte es keine Rolle, wer die erfolgreiche Transaktion eingefädelt hatte.
Die Gründer der Tess AG gingen davon aus, dass der skizzierte, gebührenbasierte Ansatz vor allem Kostenvorteile für die verkaufenden Parteien bieten sollte. Demnach sollte die Summe der beiden Gebühren im konkreten Einzelfall merklich tiefer ausfallen als die übliche, prozentuale Maklerprovision, die sich an der Höhe des Verkaufspreises orientierte. Weshalb? Die angestammte erfolgsbasierte Maklerprovision beinhaltete naturgemäss eine Risikoprämie für den Makler. Denn die Entschädigung für eine erfolgreiche Vermittlung musste auch den Aufwand für die erfolglosen eigenen Bemühungen querfinanzieren. Ohne Abschluss flossen keine Einnahmen. Anders konzipiert war das sogenannte Tess-Prinzip. Sofern eine Vielzahl von Transaktionen abgewickelt werden konnte, war die Erhebung einer implizit in der gängigen Maklergebühr vorhandenen Risikoprämie obsolet. Die Kosten für die einzelne Transaktion sollten dadurch sinken. Doch der neuartige Ansatz kam nicht richtig in die Gänge. Er floppte. Um sich über Wasser zu halten, tätige die Gesellschaft einerseits auch konventionelle Provisionsgeschäfte. Andererseits übernahm sie den Vertrieb von «Stahlrohrbetondecken». Mit der Anmeldung des Konkurses endete die Unternehmensgeschichte der Tess AG rund fünf Jahre nach der Gründung im Dezember 1933.
Buch «Gesetz und Hund»
Max Brunners letzte rechtliche Publikation trug den Titel «Gesetz und Hund». Ab 1957 konnte sie beim Hauseigentümer-Verband Zürich bezogen werden. Das Büchlein umfasste knapp 50 Seiten. Der Umschlag zeigte die römische Göttin Justitia mit verbundenen Augen, Waagschale und Schwert. An ihrem Fuss befand sich ein Schäferhund in Sitzposition. Er schaute zu ihr hoch. Diese Zeichnung stammte vom Autor. Einen unmittelbar erkennbaren Anlass, sich diesem Thema zu widmen, gab es nicht. Vielmehr betonte der Verfasser, dass jeder Hundebesitzer früher oder später in eine Lage käme, in der spezifische Rechtsfragen im Raum ständen. Zudem ortete er eine Lücke, wenn es um eine umfassende Darstellung der Materie ginge. Im August 1957 waren in der Stadt Zürich knapp 8'500 Hunde behördlich registriert. Zum Vergleich: 2022 wies das städtische Hunderegister 9'149 Hunde aus.[xii] Damit liegt die aktuelle Hundedichte mit knapp 21 Tieren pro 1'000 Einwohner in der Limmatstadt nur geringfügig über jeder, die in den 1950er Jahren gemessen werden konnte.
In seinen Ausführungen wurde diese spezifische Schnittstelle zwischen Menschen und Tieren aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Ausgangspunkt bildete eine Auslegeordnung zu den relevanten Erlassen auf Stufe Bund, Kanton und Stadt. Die meisten Streitigkeiten in Verbindung mit Hunden kamen – so Brunners Einschätzung – in Miethäusern vor. Insofern konnte es nicht überraschen, dass der Autor den dazugehörigen mietvertragsrechtlichen Regeln mehr Beachtung schenkte. Vieles drehte sich dabei um Haftungsfragen in verschiedenen Kontexten, aber nicht nur. Auch Themen wie Tierquälerei, Jagd oder Steuern wurden von ihm behandelt. Letztere beliefen sich in der Stadt Zürich auf 30 Franken pro Hund. Die höchsten Hundesteuern in der ganzen Schweiz erhoben Gemeinden aus dem Kanton Graubünden. Spitzenreiter war die Oberengadiner Gemeinde St. Moritz. Sie besass damals eine progressive Besteuerung in Abhängigkeit der Anzahl der Tiere: Für den dritten Hund in einem Haushalt musste eine Steuer von satten 200 Franken pro Jahr entrichtet werden. Der erste Hund wurde dort mit einer Steuer von lediglich 35 Franken belegt. Ursprünglich als Luxussteuer ins Leben gerufen, entfaltete sie in diesem Tourismusort eher die Wirkung einer Lenkungsabgabe.
Ein Markenzeichen in allen Texten von Max Brunner bestand im Zitieren aus Werken der klassischen Literatur. Auch Hinweise auf oder Motive aus der Antike tauchten immer wieder auf. Er war also ein Bildungsbürger, der zudem scharfsinnig analysierte und die Gabe besass, vielschichtige Sachverhalte ohne Schnörkel auf den Punkt zu bringen. Dass er da und dort auch Küchenpsychologisches erwähnte, änderte nichts an den hohen fachlichen wie sprachlichen Qualitäten seiner Ausführungen. Auch in Büchlein über Hunde finden sich solche Einschübe. Sie wirkten auflockernd und zeugten zugleich von grossem Wissen wie auch von einem breiten Erfahrungshorizont. Einzig im Schlusswort – auf der letzten Seite – dürfte die zeitgenössische Leserschaft über das Geschriebene in Stolpern geraten. Mögen seine wenigen Sätze zu Rassenhunden und Menschengruppen damals (noch) keinen Anstoss erregt haben, so würde mit ihnen heutzutage mutmasslich mehr als nur eine rote Linie überschritten werden.
Buch «Vom Wohnungsbau in alter und neuer Zeit»
Max Brunner liebte, wie bereits erwähnt, den Auftritt vor Publikum, sei es als Politiker, sei es in seiner Funktion als Verbandssekretär. So referierte er am Abend vom 10. November 1941 ein weiteres Mal im Zürcher Schwurgerichtssaal. Im Vorfeld wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Lokalität beheizt sei. Keine Selbstverständlichkeit, denn die Versorgungslage - nicht nur mit Energie - war kriegsbedingt angespannt. Seine Ausführungen waren als «Lichtbilder-Vortrag» konzipiert. Behandelt wurde darin anhand von farbigen Aussen- und Innenaufnahmen die bauliche Entwicklung der Limmatstadt. Im Fokus standen dabei stadtbekannte Patrizierhäuser.
Basierend auf gesammeltem Material für diesen und weitere Vorträge legte Max Brunner 1943 ein gebundenes Büchlein mit knapp 100 Seiten vor. Dabei ging es ihm ausdrücklich um eine volkstümliche Darstellung des Wohnungsbaus in verschiedenen Epochen. Zudem unterstrich er, dass darin «bloss» teilweise seine persönliche Meinung wiedergegeben sei. Ausgehend von den Höhlenbewohnern über die Pfahlbauer schlug er einen gewaltigen Boden bis hin zu zeitgenössischen städtischen Siedlungen. Dabei waren die letzten rund 20 Seiten der Publikation dem zeitgenössischen Wohnungsbau gewidmet.
Erwähnung fand etwa die Kleinhaussiedlung Au in Zürich-Schwamendigen. Die Stadt Zürich liess sie zwischen 1937 und 1941 vom Zürcher Architekten Jörg Seger planen und realisieren. Das gesamte Ensemble am Stadtrand umfasste 17 kleine Einfamilienhäuser. Jedes besass eine Wohnfläche von 76 Quadratmetern. Sie waren als Wohnungen für Arbeitslose aus der Industrie und ihre Familien gedacht. Der Autor taxierte dieses Vorhaben als «wohlgemeint und interessant», aber in finanzieller Hinsicht als missglückt. Die effektiv ausgewiesenen Baukosten hätte seiner Meinung nach höchstens halb so hoch sein dürfen. Der Bund subventionierte seit Mitte der 1930er-Jahre[xiii] solche Projekte unter dem Titel der «Innenkolonisation».[xiv] Damit verfolgte die Politik eine doppelte Zielsetzung: eine intensivere landwirtschaftliche Nutzung von hiesigen Bodenflächen sowie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Letztere erreichte hierzulande – ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise – in diesem Zeitraum historische Höchststände. Die subventionierten Mietzinse waren mit 1'020 bis 1'104 Franken pro Jahr selbst für die damalige Verhältnisse moderat angesetzt. Dafür mussten die Bewohner ihren grosszügig bemessenen Umschwung von mindestens 1'200 Quadratmetern pro Haus als Pflanzland landwirtschaftlich kultivieren. Statt altbacken von Kolonie oder Pflanzlandsiedlung würde man heute wohl von einer innovativen Projektentwicklung mit integriertem «Urban Gardening» sprechen.
Die Ausführungen im Buch waren mit 30 Schwarz-Weiss-Fotos untermalt. Sie stammten bis auf wenige Bilder vom Max Brunner selbst. Er besass demnach eine Fotokamera. Bilder von Ostia, einem Vorort von Rom, und von Pompeji zeugen zudem davon, dass der Autor mindestens eine Italienreise gemacht hatte. Der Duktus der gesamten Zeitreise zum Wohnungsbau orientierte sich am Vergangenen. Bereits Wohnbauten im Jugend-stil, die in Zürich um die Jahrhundertwende von 1900 gebaut wurden, kommentierte der Autor – leicht erkennbar – mit einem kritischen Unterton. Wenig abgewinnen konnte er Zweckbauten mit einer reduzierten Formensprache. Ein besonderer Dorn im Auge war ihm ein zwischen 1930 und 1932 geschaffene Heizkraftwerk mit einem 50 Meter hohen Kamin. Der fragliche Gebäudekomplex befand sich an der Claudiusstrasse in Zürich und gehörte zur Eidg. Technischen Hochschule (ETH). Sein Kommentar zur Architektur lautete kurz und trocken: «Einfach und doch geschmacklos!». Fachkreise hingegen lobten den angesprochenen Bau. Im Rahmen einer Tagung des Zürcher Ingenieur- und Architektenvereines – sie fand im Februar 1934 an der ETH statt und war dem Thema «Fernheizkraftwerk gewidmet – strich der Tagungsvorsitzende prompt die Qualitäten des Heizungskamins ausdrücklich hervor. Dessen eigenwillige Formgebung würde dem Zürcher Stadtbild eine spezielle Note geben, die man nicht mehr missen möchte.[xv] Der architektonische Entwurf stammte aus der Feder von Otto Rudolf Salvisberg (1882-1940). Letzterer hatte ab 1930 an eben dieser Hochschule eine Professur für Architektur inne.
Quelle: Heizzentrale ETH von 1935, Zeitschrift «Werk» von 1935.
Ganz andere Töne schlug Brunner an. Nach ihm ginge es bei der Gliederung der Fassade nur noch «um das schülerhafte Aneinanderreihen von Fenstern.» Dass Max Brunner genau dieses Gebäude ins Visier nahm, dürfte kein Zufall gewesen sein. Denn richtete er den Blick aus seinem Wohnzimmer an der Bolleystrasse 42 in Richtung Central-Platz, ragte der gesagte Kamin weniger als 300 Meter von seinem Wohnort entfernt gegen den Himmel. Seine Aussicht auf die Limmatstadt war getrübt. Damit nicht genug. Der Architekt Le Corbusier und seine Anhänger hätten den fabrikmässigen Serienbau zur Diskussion gestellt. Für «unser Volk» müssen solche Ideen als ein Greuel erscheinen, mutmasste der Autor. Doch die aufkommenden Stil- und Begriffsverwirrungen beim Wohnungsbau würden die Qualitäten des Altherbrachten – so seine Schlussfolgerung – neu beleben. Auch Kleinwohnungen nahm er ins Visier. Im Gegensatz zu Siedlungsbauten sollten sie keine staatlichen Fördermittel erhalten. Unabhängig davon sollten solche Mittel dosiert und gezielt eingesetzt werden. Vor allem sollte dabei die Konkurrenzierung des nicht subventionierten Angebots so gering als möglich gehalten werden. Max Brunners Haltungen waren ambivalent. Die Marktkräfte sollten zwar möglichst frei zur Geltung kommen. Zugleich aber bemängelte er im Wohnungsbau sowohl die gestalterischen Ergebnisse als auch bestimmte Wohnungstypen.
Trotz seiner Kritik am «Neuen Bauen» forderte und begrüsste er zwei Stossrichtungen klar: Zum einen sollten die kantonalen Baugesetze und die dazugehörigen kommunalen Bestimmungen wieder das «Einfache und Billige» begünstigen. Oder anders formuliert sollten baurechtliche Normen so kostenschonend wie möglich wirken. Zum anderen sollte vor allem in Stadtzentren die Realisierung von Hochbauten zugelassen sein. Denn der knapp vorhandene Boden müsse besser ausgenutzt werden. Mit diesen beiden Einschätzungen bewies Max Brunner hellseherische Fähigkeiten. Denn die Forderungen nach kostengünstigem Bauen wie nach raumplanerischer Verdichtung gehören hierzu-lande seit vielen Jahren zum festen Inventar in der Debatte um die angemessene Ausrichtung des hiesigen Gebäudeparks einerseits und die räumliche Entwicklung andererseits.
Politiker und Funktionär
Mitglied im Kantonsrat
Max Brunner war Mitglied der Freisinnigen Partei. Im April 1932 gelang ihm die Wahl in den Zürcher Kantonsrat.[xvi] In seiner Heimatstadt erreichte «seine» Partei einen Stimmenanteil von 24.4 Prozent. Die damals mit Abstand stärkste politische Kraft in der Stadt Zürich, die Sozialdemokraten, erzielten einen solchen von 42.7%. Die städtische Stimmbeteiligung lag bei gut 65 Prozent.[xvii]
Bereits einen Monat nach dieser Wahl wurde Max Brunner Mitglied der parlamentarischen Kommission für das Gesetz über die Gebäudeversicherung. In der Detailberatung zur Revision dieses Gesetzes ergriff er 1933 im Plenum mehrmals das Wort und stellte Änderungsanträge. Auch bei der Organisation und Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur schalte er sich in die jeweiligen Debatten ein. Nicht überraschend lagen seine Schwerpunkte bei liegenschaftsbezogenen Themen. Ein rotes Tuch war für ihn die im Herbst 1936 schweizweit eingeführte und umfassende Mietpreiskontrolle. Im Kantonsparlament reichte er im Frühling 1939 erstmals eine Motion dazu ein. Er verlangte eine Lockerung. Sein Vorstoss war nicht von Erfolg gekrönt. Auch und vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges warb er erneut für deren Abschaffung. Da es sich dabei um Bundesrecht handelte, blieben seine Forderungen vorerst ohne Gehör. Die Mietzinsen blieben vorerst auf dem Niveau vom September 1939 eingefroren.
In seinen Voten bekannte sich Max Brunner ausdrücklich zur freien Wirtschaft. Insbesondere vertraute er auf die private Bautätigkeit, um der herrschenden Wohnungsnot wirksam zu begegnen. Das «Einfrieren» der Mietzinse sei kein Mieterschutz. Vielmehr wirke die Massnahme kontraproduktiv. Dieselbe marktfreundliche Haltung nahm er auch im Herbst 1949 ein. Damals behandelte der Kantonsrat ein Gesetz über die zusätzliche Förderung des Wohnungsbaus im Kanton Zürich. Max Brunner beantragte ein Nicht-Eintreten auf die Vorlage. Die Mehrheit des Parlaments folgte ihm nicht. Laut Protokoll sah er sich als Gegner von Subventionen für den Wohnungsbau. Er bezeichnete sie gar «als Krebsübel der Wirtschaft».[xviii] Sie würden das Spiel der Marktkräfte beeinträchtigen. In Frage kamen für ihn allenfalls entsprechende Darlehen.
Im Herbst 1952 opponierte Max Brunner gegen eine im selben Jahr bereits erfolgte Anpassung der Dienstanleitung der kantonalen Steuerbehörden. Er glaubte, darin einen Widerspruch gefunden zu haben: Wie konnte es sein, dass die steuerliche Einschätzung von Liegenschaften um bis zu 20 Prozent angehoben würde, wenn gleichzeitig die Mietzinsen aufgrund der Mietpreiskontrolle tief gehalten werden? Die umfassende Antwort des zuständigen Finanzministers des Kantons vermöchte ihn nicht zu überzeugen. Max Brunner fand jedoch eine unterschiedliche Auslegung des Verkehrswertes als Massstab durch das kantonale Steueramt einerseits und durch die Preiskontrollstelle andererseits weiterhin als stossend. Eine Überarbeitung der Dienstanleitung, geschweige denn eine Praxisveränderung, konnte er mit seiner Intervention nicht bewirken.
Exakt 23 Jahre nach seiner erstmaligen Wahl endete das Mandat von Max Brunner im Zürcher Kantonsrat im Mai 1955. Er verzichtete auf eine abermalige Kandidatur. Die NZZ würdigte ihn bei seinem Rücktritt «als fachkundigen Berater» in Sachen Wohnungsbau, der die staatliche Hilfe zur Überwindung der Wohnungsnot «nicht ausarten» liess.[xix] Der Kommentar traf den Nagel auf den Kopf.
Mitglied im Nationalrat
Im Nationalrat wirkte Max Brunner im Hintergrund. Er war ein Hinterbänkler. Während der Legislaturperiode von 1947 bis 1951 war er zur selben Zeit auf der nationalen Politikbühne in Bern aktiv wie der Architekt Hans Bernoulli, ein Verwaltungsrat der gescheiterten Tess AG. Weltanschaulich und ideologisch dürften die beiden Politiker das Heu mehrheitlich nicht auf derselben Bühne gehabt haben.
Während der vier Jahren im Nationalrat schrieb sich Max Brunner lediglich dreimal auf der Rednerliste ein. Es handelte sich um folgende Geschäfte: Im Sommer 1949 legte der Bundesrat eine Gesetzesvorlage zur Fortsetzung der Förderung der Wohnbautätigkeit vor. Mit leichter Verzögerung zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war der Neubau von Wohnungen vor allem 1940 und 1941 deutlich abgesackt. Bereits 1942 wurden erste staatliche Impulsprogramme lanciert. Die Vergabe von Subventionen wurde nach Kriegsende nicht eingestellt, sondern im Gegenteil nochmals ausgebaut. Im Kontext dieser Massnahmen wurde erstmals hierzulande vom «sozialen Wohnungsbau» gesprochen. Max Brunner blieb sich seinen Überzeugungen treu. Wie im Zürcher Kantonsrat beantragte er auch in Bundesbern, nicht auf die Vorlage einzutreten. Seine Wortmeldung war so fundiert wie breitgefächert. Insbesondere brachte er finanz-, konjunktur- und regionalpolitische Argumente vor. Sie alle und weitere kritische Hinweise verfingen in Parlament nicht. In der gesamten Diskussion wurde durchwegs auf die vielerorts grassierende Wohnungsnot verwiesen. Es bestand Konsens im Parlament, dass der sogenannte selbsttragende Wohnungsbau diese nicht beseitigen könne. Letztlich blieb sein Vorstoss erfolglos.[xx] Der Subventionshahn blieb vorerst geöffnet.
Ein Jahr später, in der Frühlingssession von 1950, ging es um Bodenspekulation. Bereits am 1. Juli 1943 hatte die schweizerische Bauernheimatbewegung eine Volksinitiative zum Schutz des Bodens und der Arbeit durch Verhinderung der Spekulation eingereicht. Demnach wäre der Bund angehalten gewesen, grundsätzlich Grundeigentum der Spekulation zu entziehen, den Handel mit landwirtschaftlich genutztem Boden auf Landwirte zu beschränken sowie die Spekulation mit Grundeigentum, das Geschäfts- und Wohnzwecken diene, ebenfalls zu verhindern. Dazu legte der Bundesrat dem Parlament einen Bericht[xxi] sowie einen Ergänzungsbericht vor. Im letzteren wurden vor allem die in der Vergangenheit bereits eingereichten parlamentarischen Vorstösse zur Verhütung der mutmasslichen Spekulation mit nicht landwirtschaftlich genutzten Grundstücken behandelt. Davon gab es mehrere. Der Bundesrat kam in dieser Analyse zu folgender Gesamteinschätzung: «Wenn auch ab und zu einmal ein Fall ungesunder Spekulation festgestellt werden kann, so fehlt doch der Nachweis dafür, dass allgemein von einer unserer Volkswirtschaft schädlichen Spekulation gesprochen werden könnte, die ein Eingreifen des Gesetzesgebers gebieten würde.»[xxii] Folglich empfahl die Landesregierung dem Parlament eine Ablehnung dieses Volksbegehrens. Die nationale Abstimmung am 1. Oktober 1950 brachte ein klares Verdikt. Der Anteil der Nein-Stimmen betrug 73 Prozent.[xxiii]
Später im selben Jahr brütete das Parlament über einen Gesetzesentwurf zum «baulichen Luftschutz». Geprägt durch die Erfahrung des Krieges diagnostizierte der Bundesrat grundlegende Lücken bei Schutz der Bevölkerung von Luftangriffen. Mit Verweisen auf massivste Bombenabwürfen über deutschen und französischen Städten bedürfe es hierzulande einem flächendeckenden Netz von Schutzräumen für die Zivilbevölkerung. Nach einer zeitgenössischen Expertenschätzung existierten in der Schweiz für rund 50'000 Menschen entsprechende Räume. Die ständige Wohnbevölkerung betrug 4.7 Millionen. In Ortschaften mit mindestens 1'000 Einwohnern sollten – so der Vorschlag – zukünftig bei allen Neubauten oder grösseren Umbauten angemessene Schutzräume und Notausstiege obligatorisch werden. Bauen würde sich trotz geplanten Beiträgen der öffentlichen Hand verteuern. Gemäss der geltenden Logik der Kostenmiete – wertvermehrende Investitionen als Stichwort – sollten auch die Mietzinsen der von dieser Massnahme profitierenden Wohnungen nach oben angepasst werden können. Zu diesem Punkt meldete sich Max Brunner, selbst Mitglied der vorberatenden Kommission, zu Wort. Im Vorschlag der Kommission selbst forderte er nun einerseits die ersatzlose Streichung der vorgesehenen Amortisationsfrist. Andererseits sollte eine Mietzinsanpassung von maximal 5 statt nur 4.5 Prozent erlaubt sein. Sollte der Mietzins zudem nicht hinreichend erhöht werden, sollte der zuständige Kanton Ersatzpflicht gegenüber dem Hauseigentümer leisten müssen. Mit diesen Forderungen biss er auf Granit. Die grosse Kammer bestätigte nach längerer Debatte den ursprünglichen Vorschlag in vollem Umfang.
Max Brunner kandidierte für eine weitere Amtsperiode. Am 28. Oktober 1951 fand die ordentliche Erneuerungswahl statt. Als Kandidat der Freisinnigen Liste «Stadt Zürich» verpasste er die Wiederwahl knapp. Ihm blieb lediglich die Position des ersten Ersatzes. Brunners Laufbahn als Politiker auf dem nationalen Parkett endete für ihn bitter. Verdrängt wurde er durch Willy Bretscher (1897-1992). Letzterer war seines Zeichens langjähriger Chefredaktor der NZZ.
Mitglied des Verwaltungsrats der Pfandbriefbank
Nach einem langjährigen Gesetzgebungsprozess trat im Februar 1931 erstmals in der Schweiz ein Pfandbriefgesetz in Kraft. Neben der Finanzierung von Hypotheken durch Kassenobligationen oder durch Spargelder erlaubte die Ausgabe von Pfandbriefen den Hypothekarbanken sich bei Bedarf über ein alternatives Instrument zu refinanzieren. Durch diese langfristige Bündelung von grundpfandgesicherten Krediten wurde es möglich, kapitalmarktfähige Anlagen von sehr guter Bonität zu schaffen. Die gewählte Form der Verbriefung erlaubte es zudem, Schwankungen von Zinssätzen über die Laufzeit der Pfandbriefe hinweg zu stabilisieren.
Das Gesetz gestattet es bis zum heutigen Tag zwei Anstalten, Pfandbriefe zu emittieren: der Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute und der Pfandbriefzentrale der schweizerischen Kantonalbanken. Beide Organisationen hatten und haben je einen Verwaltungsrat als oberstes Organ. Am 1. Dezember 1947 wählte der Bundesrat den 1. Sekretär des Hauseigentümerverbandes der Stadt Zürich als Vertreter des Bundesrates und als «Vertreter des städtischen Grundbesitzes» in den Verwaltungsrat der Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute. Das Finanz- und Zolldepartement hatte ihn vor-geschlagen. Der Verwaltungsrat umfasste 15 Mitglieder. Ausser Max Brunner war dieses Gremium ausschliesslich mit Bankenvertreter besetzt.
Im ersten Geschäftsjahr von 1931 waren bereits Pfandbriefe in der Höhe von 92 Millionen Franken im Umlauf. Beim Brunners Eintritt in den Verwaltungsrat Ende 1947 betrug dieses Volumen gut 424 Millionen Franken. Im Laufe des Geschäftsjahres 1956 wurde die Grenze von einer Milliarde Franken geknackt. Vier Jahre später, Ende 1960, wies der dazugehörige Geschäftsbericht der Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute bereits ein Volumen von über 1.4 Milliarden Franken an ausstehenden Pfandbriefen aus. Zu Beginn der Geschäftstätigkeit der Pfandbriefbank lag die durch-schnittliche Verzinsung ihrer Pfandbriefe bei 3.97 Prozent. Dieser Wert sank bis Ende 1960 auf 3.10 Prozent. Seitenblick: Die Geschäftstätigkeit der «Zwillingsorganisation», der Pfandbriefzentrale der schweizerischen Kantonalbank, verlief in diesem Zeitfenster im Gleichschritt zur derjenigen der Pfandbriefbank.
Im Februar 1959 bestätigte die Landesregierung Max Brunner abermals für eine weitere Amtsdauer von vier Jahren. Sie endete vorzeitig. Nach Brunners Hinscheiden ersetzte ihn im April 1962 der Zürcher Nationalrat Walter Raissig (1910–1987) in diesem Gremium. Der Gewählte war in Sachen Immobilien alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Der promovierte Jurist und Rechtsanwalt wirkte mitunter als langjähriger Zentralsekretär des Schweizerischen Hauseigentümerverbandes.
Exkurs: Gentlemen’s Agreement mit Bremsspur
Ende Juni 1950 brach der Koreakrieg aus. Die weltpolitische Lage trübte sich ein. Die hiesige Volkswirtschaft nahm aber trotz den merklich durchzogenen Aussichten und nach einer konjunkturellen Delle am Ende der 1940er Jahren Fahrt auf. Die Exportwirtschaft boomte. Die Maschinen- und die Uhrenindustrie erfreuten sich an guten Geschäftsgängen. Binnenwirtschaftlich gesehen hob die Bauwirtschaft besonders ab; vor allem der Neubau von Wohnungen brummte. 1962, im Todesjahr von Max Brunner, erreichte die Neubautätigkeit einen zwischenzeitlichen Spitzenwert. Die Nachfrage nach grundpfandgesicherten Krediten schoss in die Höhe. Dies waren ideale Voraussetzungen für die beiden Pfandbriefbanken. Die skizzierte langanhaltende Hochkonjunktur brachte auch Schattenseiten mit sich. Es kamen Inflationsängste auf. Denn die Preise von Baumaterialen wie auch die Löhne von Bauarbeitern und Handwerkern schossen in die Höhe. Man befürchtete eine Überhitzung der Konjunktur.
Besonders besorgt darüber zeigte sich der Delegierte für wirtschaftliche Landesverteidigung Otto Zipfel (1888-1966). Im März 1951 «läutete» er beim I. Departement der Schweizerischen Nationalbank an. Dabei wies er auf die sehr rege Bautätigkeit hin. Gleichzeitig meldete er dort an, dass Bundesrat Rodolphe Rubattel (1896-1961), sein Vorgesetzter, wissen möchte, «ob die Nationalbank nicht dahin wirken könnte, dass von den Banken nicht zu leicht und nicht zu weitgehend Kredite für Bauvorgaben gewährt werden.»[xxiv] In der Direktionssitzung der SNB vom 5. April 1951 wurde in einem ersten Schritt die Einberufung einer Konferenz unter der Federführung des eidg. Volkswirt-schaftsdepartementes als zweckmässig erachtet. Am 30. April 1951 fand die Konferenz «über Massnahmen der Kreditpolitik im Baumarkt» im Nationalbankgebäude in Zürich statt. Bundesrat Rubattel begrüsste dort rund zwei Dutzend hochrangige Banken- und Verbandsvertreter. Nach knapp drei Stunden stand das Ergebnis fest. Es sollte unter dem Vorsitz der Schweizerische Nationalbank eine Kommission gebildet werden. Ihr gehörten fünf Personen an. Deren Auftrag bestand darin, ein «Gentlemen’s Agreement oder ein ähnliches Abkommen» auszuarbeiten. Im Zentrum stand dabei, Belehnungsgrenzen für Bau- und Hypothekarkredite festzulegen. Die Kommission arbeitete mit Hochdruck. Bereits am 18. Juli 1951 fand unter dem Vorsitz der Nationalbank in Zürich eine zweite Konferenz statt. Behandelt wurde Punkt für Punkt ein bereits ausgereifter Entwurf für ein Gentlemen’s Agreement über die Baufinanzierung. An diesem Tag wurden Nägel mit Köpfen gemacht. Denn bereits eine Woche später verschickte die Schweizerische Nationalbank ein Rundschreiben zusammen mit einer separaten Beitrittserklärung. Im September 1951 hatten über 1'500 Banken, Versicherungen, Behörden, Kantone, Pensionskassen sowie Verbände ihren Beitritt zur Vereinbarung bekundet. Besonders ins Gewicht fielen dabei 354 Kreditinstitute, der Verband schweizerischer Darlehenskassen (System Raiffeisen) mit 925 Verbandskassen, 160 Pensionskassen sowie 39 Versicherungsgesellschaften.[xxv]
Der Einsatz von sogenannten Gentlemen’s Agreements war weder neu noch ungewohnt. Zur Erreichung von geld-, währungs- oder kreditpolitischen Zielen wurden solche seitens der Schweizerischen Nationalbank in unterschiedlichen Themenkreisen vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder eingesetzt. Die Vereinbarung war mit zwei Seiten knappgehalten.[xxvi] Einleitend war ihr Zweck aufgeführt. Im Kern ging es darum, die Neubautätigkeit zu dämpfen, der Gefahr von Fehlinvestitionen entgegenzuwirken sowie volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen auf das Lohn- und Preisgefüge zu verhindern. Im zweiten Teil waren die Richtlinien zur Baufinanzierung aufgeführt. Sie umfassten neun Punkte. Nach ihnen hatten sich die Adressaten bei der Kreditvergabe zu richten. Im Zentrum stand dabei eine Begrenzung von Bau- oder Hypothekarkrediten auf maximal 70 Prozent des von fachkundigen Vertrauensleuten überprüften Kostenvorschlages eines Projektes. Gemeint waren die gesamten Anlagekosten inklusive des Preises für das dazugehörige Bauland. Inhaltlich fielen darunter Mehrfamilienhäuser mit drei oder mehr Wohnungen, Geschäftshäuser sowie sogenannte Kolonien von Ein- und Zweifamilienhäusern. Letztere umfassten gleichartige Häuser von diesen Typen, die vom selben Bauträger an einem Ort gebaut wurden. Subventionierte Wohnungsbauten waren hingegen von diesem Geltungsbereich des Abkommens ausgenommen. Weiter sah das Abkommen vor, dass gewährte Kredite, welche die Marke von 60 Prozent der Anlagekosten überschritten, innerhalb von 20 Jahren zu amortisieren waren. Die weiteren acht Punkte waren Definitionen gewidmet oder enthielten normative Vorgaben zur korrekten Anwendung der Richtlinien selbst. Der dritte und letzte Teil trug die Überschrift «Allgemeines und Organisation». Dort wurde vor allem festgehalten, dass eine «zentrale Treuhandstelle» unter dem Vorsitz der Schweizerischen Nationalbank geschaffen werden soll. Ihr wurden zwei Hauptaufgaben übertragen: Einerseits fungierte sie als Anlaufstelle bei «Anwendungsschwierigkeiten» seitens der Adressaten. Andererseits war sie für die Überprüfung der Einhaltung der Abmachungen zuständig. Sie hatte sechs Mitglieder. Insbesondere in den ersten Jahren tagte das Gremium häufig und nahm Stellung zu zahlreichen mehr oder weniger kniffligen Fragen des Anwendungsbereiches. Exemplarisch dazu drei Konstellationen: Beim Neubau eines Hotels Garni, bei einem Umbau eines Hotels in Mietmietwohnungen sowie beim Neubau einer Privatklinik kamen die Mitglieder der zentralen Treuhandstelle zum Schluss, dass sie nicht Gegenstand des Gentlemen’s Agreements seien.
Die freiwillige Vereinbarung trat am 1. August 1951 in Kraft und sollte ein Jahr bis zum 31. Juli 1952 gelten. Bereits im Mai 1952 wurde die Geltungsdauer vorzeitig um ein weiteres Jahr verlängert. Die zentrale Treuhandstelle hatte eine solche vorgeschlagen. Weitere Verlängerungen folgten. Erst im Sommer 1957 wurde die Vereinbarung aufgehoben. In zwei Sitzungen, die zuvor Ende Mai und Anfang Juni 1957 stattfanden, kamen die Mitglieder der zentralen Treuhandstelle zum Schluss, dass die Vereinbarung Wirkung gezeigt hätte und deshalb eine Fortsetzung nicht mehr notwendig sei. Geleitet wurden diese beiden Sitzungen vom Direktionsmitglied der Schweizerischen Nationalbank Max Iklé (1903-1999). Er war der Vater der späteren Bundesrätin Elisabeth Kopp. Auch der damalige Protokollführer sicherte sich einen Platz in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Es war Fritz Leutwiler (1924-1997). Er präsidierte das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank von 1974 bis 1984.
Die zentrale Treuhandstelle empfahl bei dieser Gelegenheit, gewisse bis anhin geltende Grundsätze bei der Kreditgewährung gleichwohl weiterhin zu pflegen oder solche als interne Leitlinien bei den Stellen der Kreditvergabe aufzunehmen. Dazu gehörten erstens die bisherigen Limiten für Bau- und Hypothekarkredite eher noch zu reduzieren (auf zwei Drittel der Anlagekosten), zweitens bei Finanzierungsanfragen für Ersatzneubauten von «erhaltungswürdigen Wohnhäusern» zurückhaltend zu agieren, drittens bei der Kreditvergabe für den spekulativen Landerwerb mit besonderer Vorsicht zu Werke zu gehen und viertens bei Landkäufen die Fremdfinanzierung auf 50% zu begrenzen. Durchwegs schimmerte hierbei der Wunsch nach einer Vereinheitlichung der Belehnungsgrenzen bei der Gewährung von grundpfandgesicherten Krediten durch.
Mitglied des Bankrates der Zürcher Kantonalbank
Am 20. Mai 1935 wählte der Zürcher Kantonsrat Max Brunner in den Bankrat der hiesigen Kantonalbank. Wählbar waren nur Mitglieder des Kantonsrates. Als der Politiker Max Brunner dieses Amt antrat, dürfte er selbst kaum mit einer Verweildauer von über 25 Jahren in diesem Gremium gerechnet haben.[xxvii] Der Bankrat war, und ist auch heute, das oberste Gremium der Bank. Ihm unterlag insbesondere deren Oberleitung. Die Spannbreite der dort behandelten Sitzungsthemen war breit. Sie reichte von finanziellen Beiträgen zur Entwicklungshilfe bis hin zu Goldkäufen. Neben strategischen Weichenstellungen für die Bank standen immer wieder eher operative Fragestellungen zur Diskussion. Unabhängig von der jeweiligen «Flughöhe» meldete sich Max Brunner öfters zu Wort.
Mitte der 1930er-Jahren litt die schweizerische Volkswirtschaft weiterhin stark unter den Auswirkungen der damaligen Weltwirtschaftskrise. Die Finanzen der öffentlichen Hand standen deshalb unter grossem Druck. Die Steuereinnahmen lahmten. Vor diesem Hintergrund forderte die Zürcher Regierung einen höheren Anteil vom jährlichen Reingewinn der Zürcher Kantonalbank. Obwohl Max Brunner mit diesem Antrag grosse Mühe bekundete, argumentierte er mit dem Nutzen der Staatsgarantie. Deshalb bot er – gegen seine Überzeugung – für eine temporäre Erhöhung der Abgabe an den Kanton Hand. Am liebsten hätte er es aber gesehen, wenn die Bank dem politischen Einfluss ganz entzogen wäre. Er forderte mit Nachdruck eine Entflechtung von Politik und Bankgeschäft. In der Schlussabstimmung lehnte die grosse Mehrheit des Bankrates den regierungsrätlichen Antrag ab.
Quelle: Bankrat der ZKB: Max Brunner dritter von links sitzend (Jahr 1936)
Im Juni 1941 stand ein Antrag im Raum, dass für Angestellte der Bank Kinderzulagen in der Höhe von 120 Franken pro Kind und Jahr ausgerichtet werden sollten. Max Brunner stand diesem Ansinnen nur bedingt positiv gegenüber. Seiner Ansicht nach sollte eine solche Zulage nur für eheliche Kinder ausgerichtet werden. Alternativ sollten nach Brunners Meinung die Eltern von ehelichen Kindern höhere Zulagen erhalten. Solche «Vorkommnisse [aussereheliche Kinder] dürften nicht prämiert» werden, lautete seine Argumentation. Der Bankrat folgte seinen beiden Anträgen nicht. Die Kinderzulagen wurden am Ende der Diskussion unabhängig von familiären Konstellationen bei 150 Franken pro Kind festgelegt.
Im Frühling 1959 ging es abermals um eine arbeitsrechtliche Frage. Der Bankrat befasste sich mit der Frage, ob bei einer geltenden Regelarbeitszeit von sechs Tagen in der Woche einmal pro Monat ein arbeitsfreier Samstag in der Bank eingeführt werden sollte. Vorreiterin in der Finanzbranche war die Basler Kantonalbank. Sie hatte generell eine Fünftagewoche eingeführt. Da die dort ansässige Chemieindustrie eine solche schon länger praktiziert hat, musste die Basler Kantonalbank nachziehen. Ansonsten hätte man mit zusätzlichen Rekrutierungsproblemen zu rechnen gehabt. Die Grossbanken hatten bereits ähnliche Regelungen umgesetzt. Die Bankschalter waren gleichwohl an jedem Samstag offen. Der Zürcher Bankrat entschloss sich nach längerer Diskussion nochmals für ein anderes Modell. Demnach sollte an einem Samstag pro Kalendermonat die Bank vollständig geschlossen sein. Max Brunner stimmte diesem Antrag mit einer kleinen Spitze zu: Dem Vernehmen nach seien es vor allem weibliche Angestellte, die grossen Wert auf den freien Samstag legen würden, damit sie einkaufen gehen könnten. Doch dahinter steckten selbstverständlich andere Kräfte, nämlich der gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturwandel. Weiter waren althergebrachte starre Arbeitsmuster einmal mehr auf breiter Front in Frage gestellt. So beschloss zur damaligen Zeit der Verband zürcherischer Kreditinstitute mittelfristig die Einführung von durchgehenden Arbeitszeiten. Damit sollte das regelmässige Mittagessen zu Hause vor allem für Büroangestellte in der Stadt Zürich bald der Vergangenheit angehören.
Besonders im Element und wegen seiner Expertise war Max Brunner bei Fragen rund um Immobilien gefragt. Und davon gab es bei einer Hypothekarbank wie der Zürcher Kantonalbank naturgemäss reichlich. Bei einem Klassiker, dem Schätzungswesen, unterbreitete Max Brunner folgenden Vorschlag: Bei der Erhöhung einer bestehenden Hypothek sollte immer eine erneute Bewertung vorgenommen werden, und zwar durch einen Schätzer, der das fragliche Objekt zuvor nicht schon bewertet hatte. Die neue Bewertung sollte objektiv und losgelöst von bisherigen Werten erfolgen. Ausgangspunkt für diese Prozessänderung war eine Diskussion im Bankrat um einen effektiv realisierten Verwertungsverlust, nachdem die bestehende Hypothek auf der Liegenschaft zuvor deutlich erhöht worden war. Der Bankrat verfolgte Brunners Vorschlag nicht weiter. Er sei bei der Grösse des bankeigenen Hypothekargeschäftes nicht mit vertretbarem Aufwand durchführbar.
Ebenfalls um den Umgang mit Hypotheken ging es bei einer möglichen Einführung eines Sozialkredites im eigenen Hypothekarwesen. Einer der Bankräte forderte eine Senkung des Hypothekarzinsfusses im Lichte der allgemeinen Zinsentwicklung. Insbesondere könne sich die Bank mit diesem Schritt im Bereich des «sozialen Wohnungsbaus» in ländlichen Regionen des Kantons profilieren. Auch sollte mit gezielten Senkungen des Hypothekarzinssatzes der Landflucht im Kanton Zürich entgegengewirkt werden. Max Brunner konnte dem Anliegen nichts Positives abgewinnen. Er sprach sich gegen die sogenannten Sozialkredite im Hypothekarbereich aus. Es sei nicht gut, wenn Leute ohne genügend finanzielle Mittel bauen könnten. So seien immer die finanzschwachen Leute, die bei einer Krise besonders unter die Räder kämen. Ausser dem Antragssteller im Bankrat lehnte der gesamte Bankrat diesen Vorstoss ab.
Im Juli 1960 lag dem Bankrat ein gewichtiges Geschäft zur Entscheidung vor. Es ging um eine Beteiligung der Zürcher Kantonalbank an einem «Immobilien-Anlagefonds», der vom Verband der Schweizerischen Kantonalbanken gegründet werden sollte. Max Brunner ergriff in der Diskussion als erster das Wort. Es sei eine Tatsache, dass die «Trustzertifikate» von Immobilienfonds in der jüngsten Vergangenheit einen Lauf hätten. Aufgrund der anhaltenden Geldentwertung sei offensichtlich eine Flucht in Sachwerte im Gange. Insbesondere Grossbanken wie die Schweizerische Bankgesellschaft wären in diesem Feld der Anlagen sehr engagiert. Dadurch ergäben sich für diese mindestens drei Vorteile: Erstens könnten sie Handwerker dank Gegengeschäften als Kunden gewinnen. Zweitens bestände ein zusätzlicher Absatzkanal für das eigene Hypothekengeschäft. Und drittens hätten diese Banken ein gefragtes Anlageprodukt für ihre Kunden im Angebot. Folglich müsse die Zürcher Kantonalbank – so folgerte Max Brunner – mit einer eigenen Lancierung eines Immobilienfonds nachziehen. Er selbst unterstützte den Antrag trotz «inneren Widerstrebens». Der gesamte Bankrat beschloss in dieser Sitzung, dass sich die Zürcher Kantonalbank mit 25 Prozent am Aktienkapital der noch zu gründenden IFAG Immobilienfonds AG beteiligen würde. Das Aktienkapital belief sich auf insgesamt zwei Millionen Franken. Weiter delegierte man Vertreter der Bank in die Organe der Fondsleitung. Dazu gehörte insbesondere eine Einsitznahme im Expertenkomitee. Letzteres traf alle Entscheidungen über Käufe und Verkäufe von Immobilien. Die Bank übernahm zudem das Mandat des Treuhänders gegenüber den Anlegern. Der eigentliche Immobilienfonds selbst agierte im Markt ursprünglich unter der Bezeichnung «IFCA Immobilienfonds der Schweizerischen Kantonalbanken»; heute unter Swisscanto Real Estate Fund Responsible IFCA FA CHF.
Die Bankratssitzung vom 23. Januar 1962 eröffnete der Präsident mit der Information über das Hinscheiden von Max Brunner. Obwohl er Sekretär des Haus- und Grundeigentümerverbandes gewesen sei, wäre er nie – so der Präsident – «in die Niederungen einer seitigen Interessensvertretung hinabgestiegen.» Nach der Würdigung seiner Verdienste erhoben sich die anwesenden Bankräte ihm zu Ehren. Fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor hatte Max Brunner die Mitglieder des Bankrates noch im Rahmen eines gemeinsamen Essens in launiger Art und Weise unterhalten. Er berichtete in einer historischen Betrachtung über Tischreden und Tischsitten im Altertum. Zitate von grossen Philosophen fehlten dabei nicht. Alles andere hätte ihm als begnadeter Redner nicht entsprochen.
Literatur:
Brunner, Max: Das zürcherische Nachbarrecht, Rorschach 1928.
Brunner, Max: Der Grundstückskauf, 2. Auflage, Rorschach 1934.
Brunner, Max: Mietrecht, 2. Auflage, Rorschach 1938.
Brunner, Max: Vom Wohnungsbau in aller und neuer Zeit, Buchdruckerei E. Löpfe-Benz, Rorschach 1943.
Brunner, Max: Gesetz und Hund, zu beziehen beim Hauseigentümer-Verband Zürich, Zürich 1957.
Quellenverzeichnis:
[ii] Brunner, Max: Die Bundesexekution, Diss. Zürich, Zürich 1919.
[iii] NZZ vom 27. Januar 1919, zweites Mittagblatt, Nr. 128.
[iv] NZZ vom 29. Januar 1919, zweites Abendblatt, Nr. 141.
[v] Telefonische Auskunft Notariat Fluntern, 30. September 2022, Herr Kellerberger.
[vi] NZZ, 17. Jan. 1962.
[vii] Neue Zürcher Nachrichten, 24. November 1922.
[ix] Vorstand des Verbandes der Haus- und Grundeigentümer der Stadt Zürich: 50 Jahre Verband der Hauseigentümer der Stadt Zürich, 50. Bericht, Zürich 1936.
[x] NZZ, 4. Januar 1928, Morgenausgabe, Nr. 15.
[xi] https://www.fallrecht.ch/c2044463.pdf (BGE 44 II 463
[xiii] https://openhouse-zuerich.org/orte/wohnsiedlung-au/; «Schweizerische Bauzeitung», Band 120, Heft 17, 1942, S. 198 ff. [D]
[xv] NZZ vom 28. Februar 1934, Mittagausgabe, Nr. 353.
[xvi] https://www.zh.ch/de/politik-staat/wahlen-abstimmungen/kantons-regierungsratswahlen/mitglieder-kantonsrats-ab-1803.html?id=20388
[xvii] https://statistik.stadt-zuerich.ch/modules/StatNat/1932/1932_ZSN_Kantonsratswahl-1932-in-Zuerich.pdf
[xix] NZZ vom 14. April 1955, Morgenausgabe, Nr. 968.
[xxiv] Protokoll der SNB-Direktion vom 5. April 1951, No. 416, S. 490 f.
Bildernachweis:
Das Werk, Heft Nr. 8, 1935, S. 269: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich; ETH, Bildcode BAZ_119919.tif, Bolleystrasse 44 (1962); NZZ, 8. Juni 1942, Mittagsausgabe Nr. 904; Hauseigentümerverband Zürich, Mitteilungen, 21. Jahrgang, Nr. 2, 20. Februar 1962, S. 24.
Archive:
Hauseigentümerverband Zürich, Archiv Zürcher Kantonalbank, Staatsarchiv Zürich, NZZ Archiv, Archiv der Schweizerischen Nationalbank.