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Ungenügende Regulierung des SNB-Direktoriums als grösstes Systemrisiko erkennen

Dürrenmattsches Durcheinandertal

Es gab Zeiten, in denen sich nur Insider und Branchenkenner mit der Arbeit der hiesigen Zentralbank beschäftigten. Eine zu trockene und technische Materie, um bei einem breiten Publikum Interesse zu wecken. Tempi passati! Heute stehen die dortigen Entscheidungsträger wie Popstars im Rahmenlicht der Öffentlichkeit. Es fehlt einem Klischee gehorchend lediglich der Glamour (und die Groupies sowieso). Aber aufgepasst: Die Entscheidungsträger besitzen sehr weitreichende Kompetenzen und die mit ihnen verbundene Verantwortung ist enorm hoch. So verwundert es nicht, wenn ihre Äusserungen auf die Goldwaage gelegt werden und Spekulationen über die Richtung der nächsten geldpolitischen Schritte – wie sattsam bekannt – hüben wie drüben ins Kraut schiessen. Seit etlichen Jahren scheint sich zudem der volkswirtschaftliche Datenkranz – zumindest im Denken und Handeln von vielen Wirtschaftsakteuren und Beobachtern – auf drei Grössen verjüngt zu haben: Die Höhe der Negativzinsen, der Wechselkurs zwischen dem Euro und dem Schweizer Franken sowie die erwartete Inflationsrate. Parallel dazu gesellen sich oftmals stereotype Argumente, Rechtfertigungen oder Kommentare.

Es gab Zeiten, in denen die Meinungen und Einschätzungen von Volkswirtinnen und Volkswirten nicht besonders gefragt waren. Aber spätestens seit dem Ausbruch der Subprime- und Finanzkrise sowie dem unkonventionellen und unorthodoxen Gebaren von massgebenden Zentralbanken sind solide, fachliche Expertisen gefragter denn je. Aber wie so oft stehen sich verschiedene Lager gegenüber. Und ihre geäusserten Einschätzungen und Empfehlungen stehen sich diametral gegenüber. Diese Konstellation kann nicht überraschen; zu unübersichtlich präsentiert sich das globale Wirtschaftsgesehen und die geopolitische Lage. Ob überhaupt noch jemand den Durchblick über die Gemengelage hat, darf bezweifelt werden. Hinzu kommt, dass sich alles auf das Hier und Jetzt konzentriert: Meistens wird reihum – monokausal und gebetsmühlenartig – betont, dass insbesondere die Schweizer Zentralbank gar keine gangbaren Alternativen zum eingeschlagenen geldpolitischen Kurs besitzen würde. Das mag sein. Nur sieht es ein Blick in die übernächste Geländekammer aus? Strategisches bleibt meistens auf der Strecke.

Im nachfolgenden Beitrag wird die Ansicht vertreten, dass für die Mitglieder der Nationalbank (SNB) eine gesetzlich verankerte Amtszeitbeschränkung eingeführt werden sollte. Dies mit dem Ziel, um einerseits die Unabhängigkeit dieses Gremiums weiter zu stärken und andererseits eine institutionalisierte Sollbruchstelle zu implementieren. Letztgenannte soll davor schützen, dass sich die Entscheidungsträger nachhaltig «verrennen».

Unabhängiges Optimieren unter Einhaltung von Restriktionen

In der Bundesverfassung (BV) hält Art. 99 Abs. 2 BV fest, dass die Schweizerische Nationalbank als unabhängige Zentralbank eine Geld- und Währungspolitik führt, die dem Gesamtinteresse des Landes dient. Im darauf basierenden Nationalbankgesetz (NBG) werden die Aufgaben kurz und bündig festgehalten: Die «Nationalbank führt die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes. Sie gewährleistet die Preisstabilität. Dabei trägt sie der konjunkturellen Entwicklung Rechnung» (Art. 5 Abs. 1 NBG). Unter diesen Vorgaben ist die hiesige Zentralbank weiter angehalten, «zur Stabilität des Finanzsystems» beizutragen (Art. 5 Abs. 2 lit. e NBG). Aus verfassungs-rechtlicher Sicht ist es klar, dass die Gesetzestexte in Verfassung, Gesetzen und Verordnungen nicht absolut gelten, sondern nach den Regeln der Kunst auszulegen sind. Die juristische Methodenlehre bietet hierzu eine Palette von Auslegungskriterien. Etwas salopp formuliert geht es dabei um Güterabwägungen. Aus der wirtschaftspolitischen Theorie wiederum ist dasselbe Phänomen unter dem magischen «Dreieck» bekannt: Es besteht eine Vielzahl von Abhängigkeiten, Wechselwirkungen und systemischen Widersprüchlichkeiten. Rustikal gesprochen: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Nochmals anderes formuliert geht es bei wirtschafts-, finanz-, währungs- und geldpolitischen Entscheidungssituationen immer um Optimierungen oder Abwägungen bei lückenhaftem Fakten-, Daten- und Informationsstand. Es existieren immer namhafte Unsicherheiten und Risiken. Getroffene geldpolitische Entscheidungen dürften sich daher – im Rückblick – nicht selten als suboptimal oder gar als kontraproduktiv herausstellen. Gleichzeitig gilt es daran zu erinnern, dass ein idealer Zustand immer Wunschdenken bleiben wird. Die SNB kann es nicht allen recht machen. Zudem kann sie keine experimentellen Feldversuche durchführen. Vielmehr agiert das Direktorium immer im Massstab eins zu eins.


Entpolitisierung der Geldpolitik – Starkes Direktorium

Im Oktober 1905 nahm das Bundesparlament das erste Bundesgesetz über die Schweizerische Nationalbank an. Seither existiert hierzulande eine Zentralbank als Behörde und Organisation, die eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Mit der ersten Totalrevision dieses Gesetzes im Jahre 1953 wurde ausdrücklich festgehalten, dass die SNB unter Einzug der «Gesamtinteressen» zu entscheiden und zu handeln habe. In einer weiteren Gesetzesrevision, die im Oktober 2003 vom Parlament gutgeheissen wurde, verankerte der Gesetzgeber darüber hinaus die Unabhängigkeit der SNB bei der Wahrnehmung ihrer geld- und währungspolitischen Aufgaben. Konkret ist es der Schweizer Zentralbank und den Mitgliedern ihrer Organe nicht erlaubt, weder vom Bundesrat noch vom Bundesparlament oder von anderen Stellen aktiv oder passiv Weisungen einzuholen oder solche entgegenzunehmen. Diese deklarierte und faktisch auch gelebte Unabhängigkeit wird in der ökonomischen Fachliteratur weltweit grossmehrheitlich als positiv, ja gar als unerlässlich für eine nachhaltige Geld- und Währungspolitik erachtet. Die Unabhängigkeit soll vorausschauendes Agieren begünstigen bzw. taktisches Lavieren oder Intervenieren verhindert werden. Dazu eine Illustration: Die Stärke des Schweizer Frankens ist keine Erscheinung neueren Datums. Auch Turbulenzen an der Währungsfront sind nicht hinlänglich bekannt. Im September 1936 nun beschloss der Bundesrat als politisches Gremium eine Abwertung des Schweizer Frankens um 30%. Das damalige Direktorium der SNB lehnte einen solchen Schritt jedoch geschlossen ab.

Strukturelle Realität vs. temporär missliche Lage – das ist die Frage

In jedem Lehrbuch zur Schweizer Volkswirtschaft findet sich traditionell eine lapidare und immer gleichlautende Feststellung: «Die Schweiz als kleine, offene Volkswirtschaft...». Mit «offener» wird zu Recht darauf hinweisen, dass die Schweiz erstens eng und intensiv mit dem weltwirtschaftlichen Geschehen aktiv und passiv in vielerlei Hinsicht verflochten ist. Zweitens handelt es sich dabei um einen strukturellen, systemischen Dauerzustand von grenzüberschreitenden Vernetzungen. Die hiesige Volkswirtschaft kann sich den supranationalen oder gar globalen Strömungen, Realitäten oder Unwegsamkeiten gar nicht oder zumindest nicht einfach entziehen bzw. sich gegen diese Faktoren immunisieren. Wo es Grenzen geografischer, rechtlicher oder ökonomischer Natur gibt, existieren immer Schnittstellen. Ob hingegen das Attribut «klein» korrekt gewählt ist, darf – mit einem ökonomischen Massstab gemessen – bezweifelt werden. Mehr noch, es ist irreführend. Immerhin belegt die Schweiz die 20. Position bezogen auf das jeweilige absolute jährliche Bruttoinlandprodukt (IMF-Schätzung für das Jahr 2017). Die Grundgesamtheit dieser Statistik umfasst 192 Länder. Die Handelsbeziehungen in beide Richtungen – Import und Export – bewegen sich seit Jahrhunderten (!) auf einem hohen Niveau. Der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Eidgenossenschaft war im Jahr 1907 und ist in der Gegenwart derselbe: Deutschland – unser nördliches Nachbarland. Folglich lag das währungsbezogene Interesse bis zur Einführung des Euros schwergewichtig bei der Deutschen Mark. Mit der Einführung einer supranationalen europäischen Währung ist ein namhafter Teil des für die Schweiz besonders relevanten Währungsportfolios weggefallen. Statt Diversifikation resultierte eine Konzentration.

Spezifischer Seitenblick: Die Kapital-, Finanz-, Banken- und Börsenplätze von Zürich und Genf spielen zudem im weltweiten Konzert der grössten und bedeutendsten branchenspezifischen Zentren mit. Zudem deutet vieles darauf hin, dass technologisch getriebene Innovationen à la Digitalisierung die Standortqualitäten der Schweiz als Ort, wo Wertschöpfung kreiert wird, aus supranationaler Sicht partiell noch interessanter machen werden. Stabilität, Sicherheit und Glaubwürdigkeit sind potenzielle Trümpfe, die diesbezüglich stechen könnten. Dass sich an dieser eigentlichen ausgezeichneten Konstellation – und mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Volkswirtschaft – in absehbarer Zeit etwas Strukturelles negativ ändert wird, erwartet auf fundierter Basis wohl ausser notorischen Schwarzmalern niemand.

Zwischenfazit: Die Wirtschaftsentwicklung des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart belegt erstens, dass die Schweizer Volkswirtschaft nachhaltig eng und intensiv mit den Weltmärkten verknüpft war und ist. Die Schweiz ist nachweislich eine offene wettbewerbsfähige Volkswirtschaft. Zweitens war und ist der Schweizer Franken eine «starke» Währung. Die «Flucht» in den Schweizer Franken als sogenannter sicherer Hafen ist seit vielen Jahrzehnten ein Fakt. Und drittens bildet der hiesige Finanz- und Bankenplatz allen Unkenrufen zum Trotz ebenfalls seit vielen Jahrzehnten ein internationales Schwergewicht. Diese drei «Realitäten» dürften für die kommenden Jahre und Jahrzehnte in einem prospektivem Referenzszenario weiterhin präsent bleiben und ihre Gültigkeit behalten.

Technische Erlässe vermitteln lediglich eine Scheinsicherheit

Im Zuge der Finanzkrise von 2008 hat sich der Begriff «systemrelevant» eingebürgert. In der Zwischenzeit hat die SNB über vier Banken und die PostFinance AG verfügt, dass sie systemrelevant sind. Namentlich gehören die Grossbanken CS und UBS, die Raiffeisen Banken sowie die Zürcher Kantonalbank dazu. Systemrelevant bedeutet, dass der «Ausfall» von solchen Finanzgruppen entweder die Schweizer Volkswirtschaft und / oder das schweizerische Finanzsystem erheblich schädigen würden (vgl. Art. 7 Abs. 1 Bankengesetz). Im September 2014 legte der Bundesrat die Botschaft zum Finanzmarktinfrastrukturgesetz vor (FinfraG). Mit dieser Gesetzesnovelle sollten die Stabilität und die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz nachhaltig gestärkt werden. Die Bundesversammlung stimmte diesen Vorhaben im November 2015 zu. Seit dem 1. Januar 2016 ist das FinfraG in Kraft. Finanzmarktinfrastrukturen, die von der SNB selbst oder in ihrem Auftrag betrieben werden, sind von der gesetzlichen Bewilligungs- und Aufsichtspflicht durch die FINMA ausdrücklich ausgenommen (Art. 4 Abs. 3 FinfraG). Im Sommer 2018 erliess das Bundesparlament zwei weitere Gesetze. Sie regeln erstens die Anforderungen für Finanzinstitute und zweitens sollen sie den spezifischen Kundenschutz verbessern sowie drittens zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes beitragen. Namentlich sind es das Finanzinstitutsgesetz (FINIG) und das Finanzdienstleistungsgesetz (FIDLEG). Die SNB fällt nicht in den Geltungs-bereich dieser beiden Erlasse. Die beiden letztgenannten Gesetze dürften auf den 1. Januar 2020 in Kraft treten. Das Bundesparlament hat tatkräftig gewirkt. Alles gut? Nein, denn die Essenz eines «Systems» liegt genau im Systemischen, d. h. das Gesamtsystem ist so robust wie ihre Subsysteme es sind. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht klein, dass immer mehr Kontrolle, forcierte Compliance-Bestrebungen oder eine Flut von Formularen und Disclaimern sich als Irrweg entpuppen könnten. Das Dickicht an feinmaschigen Bestimmungen vermittelt vor allem ein trügerisches Gefühl von Sicherheit.


Amtszeitbeschränkung als institutionalisiertes Ventil einbauen

Das aus dem Jahr 1953 stammende Nationalbankengesetz wurde kurz nach der letzten Jahrtausendwende letztmals modernisiert. Im Zuge dieser Revision wurde auf eine abschliessende detaillierte Regelung der einzelnen Arten von Geschäften, welche die SNB machen darf, verzichtet. Dabei wurde auch Art. 16i aNBG gestrichen. Dieser Passus erlaubte es den Zufluss von Geldern aus dem Ausland zu steuern, sofern eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung des Landes durch eben diesen monetären Geldzufluss gestört oder bedroht war. Dazu gehörten namentlich die Verhängung von Negativzinsen. Die Kompetenz, davon Gebrauch zu machen, lag beim Bundesrat. Die heute gültigen Negativzinsen sind hingegen nicht auf Gesetzesstufe verankert, sondern in den «Geschäftsbedingungen» der SNB – konkret im Abschnitt zum Zahlungsverkehr (Punkt 2.2.1). Die Geschäfts-bedingungen ihrerseits werden vom Direktorium der SNB erlassen. An dieser Stelle soll weder die Wirksamkeit oder die Auswirkungen von Negativzinsen thematisiert werden noch eine rechtliche Würdigung der gesetzlichen Grundlage vorgenommen werden.

Stattdessen soll auf den Umstand hingewiesen werden, dass nach geltendem Recht für die Mitglieder des Direktoriums der SNB keine institutionell verankerte Amtszeitbeschränkung gilt. Nach Art. 43 Abs. 2 NBG werden die Mitglieder des Direktoriums vom Bundesrat für eine Amtsdauer von sechs Jahren gewählt. Eine Wiederwahl ist möglich. Anders als beim Bankrat der SNB, dem die Aufsicht und Kontrolle über die Geschäftsführung obliegt, existiert keine Amtszeitbeschränkung. Mit dieser Regelung unterscheidet sich die hiesige Zentralbank in einem kleinen, aber nicht unbedeutenden Punkt von anderen Notenbanken. Bei der amerikanischen Notenbank («Federal Reserve Board») trifft der Offenmarktausschuss («Federal Open Market Committee») geldpolitische Ent-scheidungen. Er hat 12 stimmberechtigte Mitglieder. Für die darin gewählten Notenbankgouverneure gilt eine Amtszeitbeschränkung von 12 Jahren. Eine Sonderstellung hat der Vorsitzende des Offenmarktausschusses inne, der gleichzeitig der Chef der Notenbank ist. Seine Amtszeit beträgt 4 Jahre. Eine Wiederwahl für exakt eine weitere Amtsperiode – insgesamt also 8 Jahre – ist gesetzlich zulässig. Bei der Europäischen Zentralbank («EZB») wiederum beträgt die Amtszeit für die 6 Mitglieder des EZB-Direktoriums je 8 Jahre. Eine Wiederwahl ist nicht möglich. Und die Bank of Japan kennt ein System mit maximal 2 Amtsperioden mit einer Dauer von je 5 Jahren für die 9 Mitglieder des obersten Entscheidungsgremiums. Die institutionelle Stossrichtung bei den erwähnten Stellen ist klar: Eine Handvoll von Mitgliedern in einem exklusiven Gremium bestimmen den geldpolitischen Kurs autonom; aber ihre Mitgliedschaft ist zeitlich klar und unwiderruflich limitiert.

Dieser Mechanismus ist so lapidar wie bewährt. Er kann als institutionalisiertes Korrektiv zur einlässlich bekannten Macht- und Verantwortungskonzentration verstanden werden. Denn «unabhängiges Entscheiden» als öffentlich-rechtliche Instanz bedeutet hier, dass sie institutionell im Grundsatz weder juristisch, politisch noch basis-demokratisch hinterfragt oder gar umgestossen werden können. Auch verdeutlicht dieser Ansatz, dass das (berechtigte) Postulat der Unabhängigkeit nicht mit demjenigen der Kontinuität gleichgesetzt werden darf. Frische und unverbrauchte Kräfte beurteilen die angemessenen Massnahmen im Lichte derselben Sach- und Faktenlage vielleicht, aber nicht zwingend, anders. Setzt dannzumal die neue Mannschaft den angestammten geldpolitischen Kurs fort, würde dieser zumindest im Entscheidungsgremium im Rückblick bestätigt. Wird hingegen ein anderer Kurs eingeschlagen, muss dies nicht unbedingt als Kritik an der bisherigen Doktrin verstanden werden. Vielmehr würden darin genau die gesuchte Autonomie und Unabhängigkeit der neuen Mitglieder des Direktoriums glaubwürdig zum Ausdruck kommen. Zumal die Auslegung des gesetzlichen Auftrages, eine «Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes» zu führen, mit Fug und Recht unterschiedlich umgesetzt werden kann. Denn es gibt weder eine singulär richtige Vorgehensweise in der fraglichen Materie noch eine Konstellation, in welcher keine Alternativen bestehen würden. Mit den Worten des ehemaligen Chefökonomen der SNB, Kurt Schildknecht, könnte ein Wechsel der Entscheidungsträger einen Beitrag dazu leisten, zu überprüfen oder zumindest den Puls fühlen, ob «die Notenbanken mit ihrer Negativzinspolitik auf dem Holzweg sind». Denn eines ist sicher: Auch Mitglieder von geldpolitischen Gremien können fehlbar sein oder eine wahrgenommene Wirklichkeit falsch deuten. In der letzten grossen Reform des Nationalbankengesetz im Jahr 2002 liess der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gesetzesnovelle Folgendes verlauten: «Ein Ausschluss der Wiederernennung des Direktoriums-mitglieds nach dem Ablauf der festen Amtszeit erscheint dagegen bei der SNB nicht erforderlich, um die die personelle Unabhängigkeit zu sichern». Dem ist zu entgegnen, dass es nicht nur um diese Unabhängigkeit geht. Das ist zu kurz gedacht. Vielmehr soll die Dauer des schicksalhaften Vertrauens in drei Personen mit einer bewussten Sollbruchstellen versehen werden.

Zum Schluss noch dies: Dass zudem mit taktischen Instrumenten – gemeint sind die Negativzinsen und situativen, direkten Währungskäufen – seit mehr als vier Jahren versucht wird, den Wechselkurs des Schweizer Frankens zu beeinflussen, kann aus einer systemischen gesamtwirtschaftlichen Optik nicht überzeugen. Denn das wahr-scheinliche Szenario für die kurz-, mittel- und langfristige Zukunft dürfte sich dergestalt präsentieren, dass die hiesige Volkswirtschaft im internationalen Direktvergleich durchwegs und weiterhin ihre traditionellen und sorgsam gepflegten Qualitäten auf höchstem Niveau als eine der wettbewerbsfähigsten Nationalen ausspielen wird. Wer sich auf dieses Szenario eingeschworen hat, sollte sich intensiv und umgehend auf die Suche nach neuen und wirksamen Instrumenten für eine Geld- und Währungspolitik, die besser im Gesamtinteresse des Landes liegen als das bisher praktizierte. Es ist zu vermeiden, das ein Provisium zu einem «Providurium» mutiert. Gefragt sind echte geldpolitische Innovationen und keine Bastellösungen. An klügen Köpfen unter den über 900 Mitar-beitenden (Stand per Ende 2018) sollte es nicht fehlen.

Illustration: Fehleinschätzungen von potenziellen Kollateralschäden

In den 1990er-Jahren erschütterte eine epochale Bankenkredit- und Immobilienkrise die Schweizer Volks-wirtschaft. Der Umschwung nach einer beispielslosen Hausse kam für fast alle überraschend. So äusserte sich Markus Lusser (1931–1998), Präsident des Direktoriums der SBN, in einem ausführlichen Interview im Mai 1989 wie folgt: «Die Immobilienpreise können einstweilen sicher nicht ins Bodenlose fallen. Ein fünfjähriger Preisstillstand würde aber bereits fast als Crash empfunden (...). Dies bedeutet aber nicht, dass die Entwicklung der Immobilienpreise eine Einbahnstrasse ist. Wer in jüngster Vergangenheit ungeachtet der ungenügenden Rendite an exponierter Lage Grundeigentum gekauft hat, kann in Zukunft durchaus seinen Crash im Kleinen erleben.» Nur sieben Jahr später zeigte sich das nachfolgende Bild:

Zur Vermeidung von Missverständen: Mit dem Zitieren dieser Passage soll nicht unterstellt werden, dass die damalige Geldpolitik einen kausalen Zusammenhang mit dem bald darauf tatsächlichen Crash im Bau- und Immo-bilienmarkt hatte. Aber sie zeigt einmal mehr, dass niemand gegen Fehleinschätzungen gefeit ist.


Quellen:

Der Schweizerische Hauseigentümer, Nr. 10, 15. Mai 1989, S. 2.

https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2002/6097.pdf

https://www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch/viewOrigDoc.do?id=10021033

https://www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch/viewOrigDoc/70013601.pdf?ID=70013601

https://www.ecb.europa.eu/ecb/html/index.de.html

https://www.federalreserve.gov/aboutthefed/fract.htm

https://www.snb.ch/de/iabout/snb/hist/id/hist_wpc

https://www.snb.ch/de/mmr/reference/annrep_2018_komplett/source/annrep_2018_komplett.de.pdf

https://www.nzz.ch/wirtschaft/negativzinsen-sind-laengst-kontraproduktiv-ld.1508665

https://www.nzz.ch/wirtschaft/ubs-praesident-weber-messt-mich-am-ende-der-amtszeit-ld.1505395

https://www.wellershoff.ch/de/assets/Dateien/files/Perspektiven/Perspektiven_2019_02_AJKW_DE.pdf

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