Nicht nur Geschichtsschreibung zur Schweizer Wohnungsmarktpolitik
Im Herbst 1966 beauftragte die Schweizerische Zentralstelle für die Förderung des Wohnungsbaues (*) Prof. Dr. Karlheinz Kleps (1931-2020) mit der Ausarbeitung einer umfassenden Studie und Analyse zum hiesigen Wohnungsbau und -markt. Der Autor lehrte ursprünglich als Privatdozent an der Universität Bern. Ab Mitte der 1960er-Jahre wirkte er als ordentlicher Professor für Wirtschaftswissenschaften in Österreich und in Deutschland. Seine Studie wurde im Herbst 1969 veröffentlicht.
Kürzlich erwarb ich die in Buchform publizierte Studie mit dem Titel «Wohnungsmarktpolitik in der Schweiz» – Grundlagen und Grundzüge einer rationalen wohnungsmarktpolitischen Konzeption antiquarisch. Das einschlägige Werk ist gewichtig: es umfasst gut 430 Seiten. Die Liste der Sponsoren für diese wissenschaftliche Abhandlung zum Schweizer Wohnungsmarkt mit rund 100 Unternehmen und Privatpersonen liest wie ein «Who is who» der eidgenössischen Volkswirtschaft: Georg Fischer, F. Hoffmann-La Roche & Co., Helvetia Lebensversicherungs-gesellschaft, Nestlé, Schindler, Schweizerische Bankgesellschaft oder Schweizerische Kreditanstalt. Offensichtlich beschäftigte die Materie des Wohnens die damalige Gesellschaft wie auch die Wirtschaft mindestens so stark wie es heute der Fall ist.
Glasklare Analysen, aber keine nennenswerten Bewegungen in der Politik
Nach der Lektüre dieser bemerkenswerten Arbeit war ich einmal erstaunt: Einerseits beeindruckte ich mich die hohe fachliche und methodische Qualität der Untersuchung. Andererseits schälte der Autor typische Grundmuster in der Versorgung mit Wohnraum heraus, die gegenwärtig – bedauerlicherweise – immer noch gültig sind. So findet sich in der Schussbetrachtung folgende Passage:
(…) «Noch immer besteht auf dem schweizerischen Wohnungsmarkt ein diskriminierendes “Drei-Klassen-Mietrecht“ für Altwohnungs-, Sozialwohnungs- und Neuwohnungsmieter, dessen Nachteile vor allem von jungen und kinderreichen Familien mit Anfangssalären getragen werden müssen, denen eine Sozialwohnung versagt bleibt. Noch immer bilden die interventionistisch verzerrten quantitativen Aspekte der Wohnungsmarktentwicklung die vornehmlichen Orientierungspunkte der öffentlichen Wohnungsmarktpolitik, und noch immer wird wohnungsmarktpolitische Urteilsfindung der Akteure infolge unzureichender Markttransparenz in die Spalten der Tagespresse verwiesen.» (…)
Der letztgenannte Punkt hat sich mit dem Aufkommen des Internets in den letzten 20 Jahren massgeblich verändert und auch verbessert. Die Transaktionskosten der Marktteilnehmer:innen konnten dadurch frappant gesenkt werden. Doch einer der Kardinalfehler im Schweizer Mietrecht, nämlich die Anbindung der Bestandesmieten an einen Zinssatz (mietrechtlicher Referenzzinsatz), setzt falsche Anreize und Signale. Volkswirtschaftliche Verzerrungen sind vorprogrammiert, bzw. sie werden perpetuiert. Das Insider-Outsider-Modell grüsst dazu einmal mehr.
Das Durchlaufen einer entsprechenden Lernkurve durch die Politik ist (bisher) nicht zu erkennen. So findet sich in der Botschaft zur Teilrevision des Mietrechts im Obligationenrecht und zur Volksinitiative «Ja zu fairen Mieten» unter der Überschrift «… mit verschiedenen Schwachstellen» auch das Folgende: «Besonders problematisch ist sodann die Koppelung zwischen Hypothekar- und Mietzinsen.» Absender der Botschaft war die damalige Bundespräsidentin Ruth Dreifuss im Namen des Bundesrates.
Die diesbezügliche wirtschafts- und gesellschaftliche Herausforderung besteht hierzulande nicht primär darin, mehr preisgünstigen Wohnraum zu schaffen, sondern in der Entwicklung und Implementierung von zeitgemässen gesetzlichen Normen, die die Verteilung des bestehenden Wohnraum effektiv und fair für alle regeln. Die mietrechtlichen Normen zum Schutz vor missbräuchlichen Mietzinsen bedarf einer umfassenden Revision. Alles andere bleibt mutmasslich Flickwerk.
Quellen
(*) heute Wohnbaugenossenschaften Schweiz; https://www.wbg-schweiz.ch/
https://www.zeitschrift-wohnen.ch/heft/beitrag/wohnenextra/gesunde-frohe-und-preiswerte-heimstaetten.html