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Trouvaille aus dem Archiv: Vortragsreihe zu Vermögensfragen für Frauen avant la lettre


Ein Schönheitsfehler: Es sollte wohl eher «... der Hauseigentümerin» heissen.


Letzte Woche erhielt meine Frau Post. Eine Bank kündigte in einem Schreiben und im Rahmen ihrer «Finanzreihe für Frauen» einen weiteren Anlass an. So weit, so gut.


Es war eine Koinzidenz, dass ich in derselben Woche Archivmaterial beim Hauseigentümerverband der Stadt Zürich (HEV) sichtete: eine nur scheinbar staubtrockene Angelegenheit. Denn Verbandsmitteilungen und Jahresberichte sind nicht selten echte Wundertüten. Und tatsächlich stiess ich im Zuge meiner Recherchen zu Dr. Max Brunner, einem früheren, herausragenden Verbandssekretär des HEV, auf Inserate zu Einladungen für Frauenversammlungen. Sie erregten mein Interesse; und ich wurde nicht enttäuscht.


Zu diesem Zufallsfund ein paar Eckwerte: Die fragliche Vortragsreihe wurde bereits in den späten 1940er-Jahren unter dem Titel «Frauenversammlungen» lanciert (vgl. auch Titelbild). Die damit anvisierte Zielgruppe war offensichtlich. Die Veranstaltungen selbst fanden regelmässig in der zweiten Hälfte jeden Monats an Donnerstagnachmittagen statt. Die Lokalitäten wechselten. Einmal traf man sich im Kongresshaus, ein anderes Mal in einem «Säli» eines Stadtzürcher Restaurants. Die Veranstaltungen waren beliebt und genossen grossen Zuspruch. Denn Hunderte von Frauen folgten jeweils den Ausführungen der vortragenden Person. Die damaligen Verbandsfunktionäre waren nachweislich stolz auf dieses Format und dies zu Recht. Auch Max Brunner nutzte diese Plattform immer wieder. Als ebenso begnadeter Buchautor wie Referent ernteten seine Beiträge öfters spontanen Applaus vom mehrheitlich weiblichen Publikum.


Die Palette der behandelten Themen war breit. Sie umfasste auch Seichtes wie «Schlank werden, schlank bleiben mit Genuss – Kalorien nach Mass». Aber solche und ähnliche Inhalte bildeten im grossen Ganzen gesehen Nebenschauplätze. Im Zentrum stand vielmehr der Umgang mit Anlagen und die Finanzplanung:


«Altersversicherung und Altersfürsorge», «das Wohneigentum», «Wie macht man ein Testament?» oder «Mietzinsberechnung» lauteten beispielhaft die Titel solcher Frauenversammlungen.


Das Ganze war von A bis Z professionell aufgezogen. Die organisatorischen Fäden zog über viele Jahre hin Alice Hunziker, eine Angestellte des HEV Zürich.


Die Moral von der Geschichte: Wer hat’s erfunden?


Im Lichte der berechtigten und notwendigen Debatten und Initiativen rund um die Ungleichheit der Geschlechter einerseits und der «Entdeckung» von Frauen als Zielgruppe für Themen rund um Anlagen und Finanzen andererseits mutet die angesprochene Frauenversammlung des HEV Zürich schon fast als unzeitgemässe Anekdote an. Ein Verband, der bereits vor 70 und mehr Jahren diesbezüglich frauenfokussiert agierte. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein immobilienaffiner Interessenverband, der landläufig weder als besonders sexy noch als innovativ wahrgenommen wurde und wird, hierzulande als Pionier in der bewusst niederschwellig gehaltenen spezifischen Weiterbildung für Frauen unterwegs war. Zur Erinnerung: Das Stimmrecht auf nationaler Ebene erhielten Schweizerinnen erst im Jahre 1971.

Die zeitgenössische wirtschaftswissenschaftliche Forschung liefert immer wieder belastbare Erkenntnisse dafür, dass nicht wenige Frauen grundsätzlich einen anderen Zugang zu Anlagethemen besitzen als der «typische» Mann. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Risikoneigung bzw. -freudigkeit. Die damaligen Exponenten des HEV Zürich wussten dies bereits vor 70 Jahren intuitiv. Ach ja, die Geschichte von Dr. Max Brunner erzählte ich ein anderes Mal.


Quellen:

Div. Mitteilungen des HEV Stadt Zürich.


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