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Negativzinsen? nein, dafür mehr Phasen mit «natürlicher» Deflation



Eine Ferienimpression

Im mallorquinischen Städtchen Sóller fährt seit über 100 Jahren eine Strassenbahn. Die Strecke führt vom Stadtzentrum von Sóller nach Port de Sóller ist heute ein lupenreine Touristenattraktion. Das holprige Trassee misst lediglich rund fünf Kilometer. Die Fahrt dauert knapp 15 Minuten. Dieses Nostalgiegefühl hat seinen Preis. Das Ticket kostet im Mai 2025 satte 10 Euro. Zum Vergleich: Vor neun Jahren, also im Jahr 2016, betrug der Preis für die identische Dienstleistung noch 6 Euro. Daraus ergibt sich eine jährliche Preissteigerung von 5,8%. So funktioniert die Abschöpfung der Zahlungsbereitschaft bei Touristen.  Die mittlere Jahressteuerung in Spanien nimmt sich dabei mit 2,7% geradezu bescheiden aus (2016 bis 2024).


Szenenwechsel in die Schweiz

Die Stärke des Schweizer Franken ist bekannt. Sie hat mehrere kausale Erklärungsgründe. Es handelt sich dabei offensichtlich weder um einen Trend noch um eine Tagesfliege. Vielmehr darf von einer strukturellen geldpolitischen Realität – die seit Jahrzehnten herrscht – gesprochen werden. Zwar gehört über das Klagen über diese systemische Realität mitunter zum guten Ton, aber wohl nur wenige Akteure wünschen sich das Gegenteil, nämlich eine schwächelnde oder schwache Landeswährung im Vergleich zum US-Dollar oder dem EURO. Seit geraumer Zeit wird hierzulande darüber georakelt, ob das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in den nächsten abermals das Regime von Negativzinsen aktivieren wird. Der Grund: Ein «sicherer Hafen» soll weniger attraktiv gemacht werden.


Der SNB obliegt die Aufgabe, die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes zu führen. Weiter gewährleistet sie die Preisstabilität. Dabei trägt die SNB der konjunkturellen Entwicklung Rechnung (Art. 5 Abs. 1 NBG). Dabei bestehen inhärent Zielkonflikte. Letztere implizieren das zwingende Inkaufnehmen von sogenannten Kollateralschäden. Das Direktorium muss unter Unsicherheit Abwägungen vornehmen. Kommt hinzu, dass geldpolitischen Massnahmen in jede Richtung Trägheitsmomenten ausgesetzt sind. Konkret braucht das Beschleunigen wie das Bremsen Zeit. Die dazugehörigen Transmissionsmechanismen sind schwierig zu dosieren und zudem träge.


Die hiesige Zentralbank definiert Preisstabilität wie folgt: «Die Nationalbank setzt Preisstabilität mit einem Anstieg des Landesindexes der Konsumentenpreise (LIK) von weniger als 2% pro Jahr gleich. Auch Deflation, d.h. ein anhaltender Rückgang des Preisniveaus, verletzt das Ziel der Preisstabilität. Mit dieser Definition trägt die Nationalbank der Tatsache Rechnung, dass die Teuerung nicht punktgenau gesteuert und präzise gemessen werden kann.» Nebenschauplatz: Auch die Europäische Zentralbank (EZB) operiert mit einer ähnlichen Richtgrösse zu einer «optimalen» Inflationsrate pro Jahr im EURO-Raum. Zielgrösse beträgt dort 2% pro Jahr.


Sowohl der Ansatz mit einem entsprechenden Zielkorridor à la SNB zu arbeiten als auch eine Zielgrösse à la EZB zu proklarieren, ist per se so problematisch wie schwammig. Erstens fehlt eine zeitliche Angabe dazu. Herrscht in einem Gebiet über 10 Jahre Preisstabilität, indem von Jahr zu Jahr alternierend die Jahresteuerung 3,7% bzw. 0,0% beträgt? Gefühlt eher nein, technisch gesehen ohne Zweifel ja. Weshalb? Die mittlere Jahresteuerung beträgt 1,98%. Zweitens ist der Grenzwert nach oben substanziell zu hoch angesetzt. Statt circa 2% sollte eher 1% stehen. Schauen wir uns den Landesindex der Konsumentenpreise von 1940 bis 2024 an. Eine mittlere Jahresteuerung über 85 Jahre beträgt 2,37%. Die höchste Jahresteuerung betrug 15,3% und wurde für das Jahr 1941 gemessen. In 74 von insgesamt 85 Jahren herrschte mehr oder weniger Inflation. Lediglich in 11 Jahren fiel die Jahresteuerung negativ aus. Dabei wurde nur im Jahre 1950 die Marke von -1,0% überhaupt, konkret waren es -1.5%, unterboten. Aufgrund von Messungenauigkeiten dürfte in diesen wenigen Jahren keine nennenswerte Deflation gefühlt worden sein. Vielmehr waren es kurze Verschnaufpausen mit echter Preisstabilität. Schaut man sich das Ganze auf monatsstufe an, stellt man fest, dass im Mittel neun Monate inflationär und lediglich drei deflationär waren. Hätte es diese Phasen nicht gegeben, läge die mittlere Jahresteuerung nicht bei den erwähnten 2,37%, sondern bei 2,47%.


Die Moral von der Geschichte

Wenn Statistikerinnen und Statistiker die Inflation messen, stützen sich auf einen Warenkorb ab. Faktisch befinden sich in diesem Warenkorb aber keine physischen Waren, sondern vor allem Dienstleistungen. Diese Inflation wiederum wird in einer Industrienation erhoben, die nicht (mehr) besonders fleissig ist und knapp 75% der nationalen Wertschöpfung durch Dienstleistungen erzielt. Es sind Konzepte aus dem frühen 20. Jahrhundert. Doch die Zeiten ändern sich.


Das Regime mit Negativzinsen ist ein Instrument mit einer durchwachsenden kausalen Evidenz. Es löst aber heftige Nebenwirkungen aus. Wäre es in anspruchsvollen Zeiten, die zudem von sogenannten disruptiven Qualgeistern geprägt wird, nicht angemessen, die Schnittstelle zwischen der hiesigen Exportwirtschaft und Wechselkursen grundsätzlich neu zu denken? Im Sinne einer nüchternen Kosten-Nutzen-Analyse – mehr Ökonomie geht nicht – sollten mutmassliche alternative Ansätze zumindest geprüft werden? Negativzinsen waren und sind nicht alternativlos. Es zählt das Gesamtinteresse des Landes. Insofern bleibt es mir ein Rätsel, weshalb die eigenen Forschungskräften der SNB nicht fieberhaft nach neuen geldpolitischen Instrumenten forschen, die nicht so krude wie Negativzinsen daherkommen. Die Schweiz ist eine offene und äusserst potente Volkswirtschaft mit einer harten Landeswährung. Diese privilegierte Sonderstellung gilt es zu sichern und bestenfalls auszubauen. Zumindest eine Diskussion darüber zu führen, wäre einen Gedanken wert.


Quellen:



Fotonachweis: dr. dr. üsé kuba hausmann, Soller Mai 2025.



 
 
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