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Moribunder Eigenmietwert: politologische Einschätzung gegen den Strom



Beispielhafter Herdentrieb


Erinnerst Du Dich, liebe Leserin und Leser, an die Prognosen zur Präsidentschaftswahl in den USA im Herbst 2024? Im Vorfeld waren sich Laien wie Politikprofis in einem Punkt einig: Es würde in jedem Fall ein enges Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump geben. Eine enge Kiste, die in den sogenannten Swing States entschieden würde, das war über Monate das Credo der Analysten. Am Ende resultierte ein lupenreiner, robuster und rascher Sieg des 45. Präsidenten der USA. Alter Schwede! So kann man sich täuschen.

 

Kürzlich, am 20. Dezember 2024, haben der Ständerat und der Nationalrat einer politischen Odyssee ein unerwartetes Ende gesetzt. Die Parlamentarische Initiative mit dem Titel «Systemwechsel bei der Wohneigentumsbesteuerung, die am 2. Februar 2017 (!) im Ständerat eingereicht wurde, wurde überraschend und auf spektakuläre Art angenommen. Die neue Lösung sieht neben der vollständigen und ersatzlosen Aufgabe des Eigenmietwerts als Steuerobjekt eine Änderung der Bundesverfassung vor. Letztere würde es den Kantonen ermöglichen, weiterhin – im Sinne eines Surrogats – eine Besteuerung von Eigenmietwerten auf Zweitwohnungen vorzunehmen.

 

Diese faktische Übungsanlage bringt einerseits sicher ein obligatorisches Referendum (mit Ständemehr) und andererseits ein mutmassliches fakultatives Gesetzesreferendum mit sich. So weit, so gut. In dieser Gemengelage sind sich alle involvierten Akteure und geneigte Beobachter einig, dass die anstehende Hürde vor dem Schweizer Stimmvolk äusserst schwierig erfolgreich – im Sinne der beschlossenen Neuregelung – zu meistern sei. Erwartet wird ein Kantengang oder ein Ritt auf der Rasierklinge. Auch die sportliche Metapher eines Penaltyschiessen macht diesbezüglich die Runde.

 

Wer kennt glühende Verfechter des Eigenmietwerts im privaten Umfeld?

 

Zuerst eine Spoilerwarnung in eigener Sache: Die Trefferqualität meiner Prognosen ist schlecht oder zumindest durchzogen. Gleichwohl frage ich mich ernsthaft, wie insbesondere die Vertreter der «Alpen-Opec», also der Bergkantone, davon überzeugt sind, dass das geschnürte Paket vor dem Stimmvolk einen sehr schweren Stand haben wird. Meine These sieht anders aus: Die beiden Volksabstimmungen werden eindeutig und klar zugunsten der neuen Regelung ausfallen. Wie komme ich zu dieser (gewagten) Einschätzung?

 

In der Schweiz sind auf Bundesebene «nur» Schweizerinnen und Schweizer zugelassen. Ende 2023 waren es hierzulande rund 5.4 Mio. Menschen (ohne im Ausland lebende Schweizerinnen und Schweizer) stimmberechtigt. Von der gesamten ständigen Wohnbevölkerung – gegenwärtig rund 9 Mio. Menschen – lebt die Mehrheit in Mietwohnungen. Das ist bekannt. Aber es sind überproportional viele ausländische Haushalte, die hierzulande nicht Wohneigentümer bzw. Wohneigentümerinnen sind. Bei Schweizer Haushalten dürfte die Wohneigentumsquote für Erstwohnungen massiv über den nationalen Mittelwert von knapp 36% liegen.

 

Folglich lohnt sich ein Blick auf das Mengengerüst von Schweizer Haushalte, die in den eigenen vier Wänden leben. Im Total sind es rund 1.45 Mio. Haushalte, in denen geschätzte rund 3.1 Mio. Menschen leben. Eine respektable Mehrheit davon bilden Schweizer Haushalte, deren volljährige Mitglieder stimmberechtigt sind. Insbesondere in den Bergkantonen Wallis (53.8%), Glarus (47.0%), Obwalden (46.8%, Uri (46.1%), Tessin (44.8%) oder Graubünden (43.1%) liegt die Wohneigentumsquote substanziell über dem Schweizer Mittelwert. In den beiden Halbkantonen Appenzell bewegt sich die Grösse leicht unter bzw. merklich über der Marke von 50%. Die rund 700'000 Zweitwohnungen lassen sich vor allem in den Kantonen Wallis, Graubünden, Bern und Tessin verorten. Bezogen auf die Stimmbeteiligung in den beiden Volksabstimmungen sind die Eigentümer dieser Wohnungen so oder so irrelevant.

 

Trifft man nun spezifische Annahmen über die Präferenzen der Stimmenden zu den beiden Volksabstimmungen und kombiniert diese mit der Wohnsituation am Erstwohnsitz – Mieter- versus Eigentümerhaushalte – lassen sich spezifische nummerische Simulationen der Abstimmungsergebnisse vornehmen. Um es kurz machen: Bereits eine massig stärkere relative Abstimmungsmobilisierung und zusätzlich (kumulativ) eine leicht stärkere Präferenz zugunsten des ausgehandelten Pakets führen sowohl zu einem einfachen Volksmehr als auch zu einem Mehr bei den Ständen. Wenn sich meine Annahmen mit dem tatsächlichen Abstimmungsverhalten decken, darf mit einer soliden Annahme des angedachten Regimewechsel gerechnet werden. Oder anders formuliert: Es würde eine massive Mobilisierung der Schweizer Mieterhaushalte bedingen, um die vom Parlament beschlossene Steuerreform an der Urne doch noch zu stoppen. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis wir alle wissen, was dereinst Sache sein wird. Es gibt dabei keine Graustufen, sondern nur schwarz oder weiss.

 

Allfällige Steuerausfälle in Milliardenhöhe? – Eher nein

 

Ausgewählten Stellen der Bundesbehörden sind in der jüngsten Zeit immer wieder in der Kritik gestanden. Auf dem Prüfstand standen Prognosemodelle zur AHV oder zur sogenannten Heiratssteuer. Auch im Kontext der angedachten Steuerreform zum Eigenmietwert kursierten entsprechende Berechnungen zu den mutmasslichen Einbussen bei den Steuereinnahmen in Abhängigkeit des angenommenen Zinsniveaus. Sie, die Berechnungen, wurden nie und von keiner Seite je in Frage gestellt. Doch frage ich mich, ob dabei allfällige Mehreinnahmen auf dem Konto der kantonalen Vermögenssteuern überhaupt berücksichtigt worden sind. Sie würden mögliche Ausfälle bei den Einkommenssteuern teilweise kompensieren. Allein das inländische Hypothekarvolumen bei Banken (also ohne dasjenige von Versicherungen und PKs) beträgt 1'177 Milliarden Franken (Ende 2023). Würden sich verschuldete Eigentümer von selbstgenutztem Wohneigentum lediglich 10% davon amortisieren, würde sich das steuerbare Vermögen der Haushalte in der Schweiz um rund 120 Milliarden Franken verändern. Durch diesen Schuldenabbau würden jährlich wiederkehrend – konservativ geschätzt – Vermögenssteuern in der Höhe von rund 400 Millionen Franken geschaffen. Davon würden ausschliesslich die Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren in den Kantonen profitieren.

 

Die Moral von der Geschichte

 

Wirtschaftliche Prozesse sind nie statisch. Ökonomische Analysen nach der Devise «alles andere bleibt gleich», die berühmte Ceteris-Paribus-Klausel eben, werden der Vielschichtigkeit im richtigen Wirtschaftsleben nie gerecht.

 

Doch meine Kernbotschaft ist eine andere: Das Bonmot, wonach Prognosen schwierig seien, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen, gilt auch für die beiden kommenden Volksabstimmungen zur Revision der Besteuerung von Eigenmietwerten. Aber als «Spieler» wage ich die Prognose, dass die zur Disposition stehende «Abschaffung» bzw. Neugestaltung des steuerlichen Eigenmietwerts in diesen Abstimmungen mit einem Déjà-vu-Erlebnis à la Präsidentschaftswahlen in den USA verbunden sein werden: Der Ja-Stimmenanteil dürfte in beiden Abstimmungen die Marke von je 60% übertreffen. Une histoire à suivre.

 

Quellen:

 

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