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«Mehr vom Selben» im Wohnungsmarkt – Patentlösung aus der frühen Neuzeit revisited



Kürzlich hat ein bürgerliches Komitee eine Initiative für die Stadt Zürich lanciert. Worum geht’s? Die Stadtzürcher Bau- und Zonenordnung soll den Bau von zusätzlichem Wohnraum in die Höhe erlauben. Der Wortlaut der Initiative lautet wie folgt:

 

Volksinitiative «Mehr Wohnraum durch Aufstockung – (...)»


«Eine Anpassung der städtischen Bau- und Zonenordnung, um generell in allen Wohnzonen in der Regelbauweise die maximal zulässige Gebäudehöhe bei bestehenden Gebäuden um 3 Meter zu erhöhen. Dies soll ungeachtet der bestehenden Ausnützung ein zusätzliches Stockwerk für Wohnraum ermöglichen. Der Stadtrat soll Ausnahmen erlassen können (zum Beispiel bei geschützten Ortsbildern oder unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden). Dies unter Berücksichtigung des gültigen Mehrwertabgabegesetzes.»

 

Verdichtung akzentuiert per Definition bestehende räumliche Disparitäten

 

Offensichtlich wird dabei mit einer baurechtlichen Giesskanne operiert. Demnach sollen zukünftig in allen Wohnzonen, in denen die sogenannte Regelbauweise gilt, die rechtlichen Voraussetzungen für eine flächendeckende Aufstockung um ein Geschoss geschaffen werden. Die Devise – frei nach einer Passage im Matthäus-Evangelium – «Denn wer da hat, dem wird gegeben werden» passt in diesem Kontext jedoch nur bedingt. Weshalb? Bei einem Gebäude mit zwei Geschossen würde die Geschossfläche um einen Drittel wachsen Bei einem Gebäude mit sechs Geschossen fiele der relative Flächenzuwachs hingegen nur halb so hoch aus. Er betrüge noch einen Sechstel. Immerhin!

 

Unabhängig davon gilt es zu bedenken, dass die damit verbundenen ökonomischen Anreize und Wirkungsketten weder offensichtlich noch eindeutig sind. So lässt sich keine fundierte, allgemeingültige Abschätzung oder Regel bezüglich der erwartbaren ökonomischen Rentabilität formulieren. Es müssen immer individuelle und spezifische Vorleistungen wie Machbarkeitsstudien und Marktabklärungen erbracht werden. Erst anschliessend lässt eine belastbare Aussage darüber machen, ob sich solche Aufstockungen aus Sicht der Eigentümerschaft monetär lohnen. Losgelöst von rechtlichen, baustatischen, sozialpolitischen, architektonischen oder ästhetischen Fragen handelt es sich bei der vorgebrachten Option auf eine Aufstockung keinesfalls um einen aufgelegten Match.

 

Schwer fassbares Mengengerüst mit Blick auf das zusätzliche Potenzial

 

Die Statistik weist per Ende 2023 auf dem Stadtgebiet einen Gesamtwohnungsbestand von rund 233'900 Einheiten aus. Im Jahresmittel (2018 bis Ende 2023) werden 2'760 Wohnungen gebaut. Davon gehen knapp 90% auf das Konto von Neubauten und gut 10% sind durch Umbauten entstanden. Netto wächst der städtische Wohnungsbestand pro Jahr im Schnitt um gut 2'000 Einheiten. Daraus lässt sich eine Wachstumsrate von 0.89% pro Jahr ableiten.

 

Über das Potenzial, durch Aufstockungen zusätzliche Wohnungen zu generieren, existieren verschiedene Zahlenwerte. Je nach Annahmen, unterstellten Szenarien und methodischen Ansätzen lassen sich bei unterschiedlichen Urhebern folgende Werte eruieren: von 8'500 über 10'000 bis 30'000 zusätzliche Wohnungen im Total. Vieles muss naturgemäss vage bleiben und ist damit indirekt auch spekulativ. So oder so sind diese Angaben für sich wertvoll. Die mutmassliche Wahrheit dürfte irgendwo innerhalb dieser Bandbreite liegen. Oder anders formuliert bliebe die damit verbundene einschlägige Ausdehnung des Angebots bzw. des Wohnungsbestandes in einem überschaubaren Rahmen. In diesem Blog soll (vorerst) bewusst auf eine einlässliche Würdigung der Initiative aus einer ökonomischen Warte verzichtet werden. Warten wir ab, wie sich die Dinge entwickeln.

 

Alter Wein in neuen Schläuchen und wer hat’s erfunden?

 

Im Begleittext zur eingangs erwähnter Zürcher Initiative wird ausdrücklich auf den Kanton Genf als Vorreiter in diesem Thema verwiesen. Der Hinweis ist grundsätzlich korrekt. Eine Konsultation der seit 2008 geltenden Normen im kantonalen Baugesetz (LCI) fördert dazu jedoch differenzierte Bestimmungen zu Tage: Einerseits können die zuständigen Behörden unter Einhaltung bestimmter Bedingungen die Realisierung eines oder gar zwei zusätzlichen Geschossen erlauben. Andererseits muss der Regierungsrat vorgängig entsprechende Gebiete innerhalb der Gemeinden definiert haben, in denen entsprechende Bewilligungen überhaupt erteilt werden können. Zudem darf die Gebäudehöhe (Gabarit) in jedem Fall maximal 30 Meter betragen.


Fazit: Die Zürcher Spielart – die Volksinitiative «Mehr Wohnraum durch Aufstockung – quartierverträglich und nachhaltig» – ist deutlich einfacher gestrickt. Gleichwohl besteht zumindest materiell ein hoher Grad an Kongruenz. Die Absichten sind identisch.

 

Der Clou zum Schluss

 

Die Reformation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts führt dazu, dass protestantische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich in andere europäische Länder strömen. Einer dieser Zufluchtsorte ist die Stadt Genf, wo der Reformator Johannes Calvin (1509 – 1664) seine Spuren hinterlassen hat.


Zwischen 1549 und 1587 lassen sich in der Rhone-Stadt rund 3'000 Flüchtlinge dauerhaft nieder. Ein exogener Schock für alle. Denn damals entspricht diese Zuwanderung zahlenmässig einem Drittel der Stadtgenfer Bevölkerung!

Was tun? Zur Lösung der akuten Wohnungsnot in der Stadt Genf durften alle bestehenden Gebäude, die sich innerhalb der Stadtmauern befanden, um ein Geschoss aufgestockt werden.

So geht das.

 

Natürlich spielten dabei zeitgenössische Postulate wie Verdichtung oder der Kampf gegen die Zersiedelung sowie spezifische ökologische Anliegen überhaupt keine Bedeutung. Vielmehr ging es schlicht und ergreifend um die zeitnahe Bereitstellung von sicherem Wohnraum innerhalb der Stadtmauern. Die Essenz von Gebäuden bestand und besteht (auch) in ihrer Schutzfunktion.


Quellen:

https://silgeneve.ch/legis/index.aspx (Loi sur les constructions et les installations diverses, LCI)


Foto:

Lochergut im Jahre 1967

WOL_001442


 

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