Wir schreiben das Jahr 2012. Mitte September kündigt die börsenkotierte Swiss Prime Site (SPS) an, dass sie sämtliche Aktien der CS-Tochter Wincasa übernimmt. SPS ist zu diesem Zeitpunkt Eigentümerin eines Immobilienportfolios mit einem Marktwert von 8.35 Milliarden Franken. Die NZZ titelt in der Ausgabe vom 14. September 2012 mit der Schlagzeile «SPS auf Akquisitionstour».
Das gekaufte Unternehmen betreut 171'000 Objekte, wobei dahinter Jahressollmieten in der Höhe von 2,5 Milliarden Franken und ein Immobilienbestand der Kunden mit einem geschätzten Marktwert von 41 Milliarden Franken stecken. Weiter zählt Wincasa 667 Angestellte, die sich schweizweit auf 15 Standorte verteilen. Der Kaufpreis beträgt rund 164 Mio. Franken (Summe aus Fair Value von 76 Mio. Franken und 88 Mio. Franken Goodwill), wobei nach der Verrechnung von bestehenden Gegenpositionen «nur» 109 Mio. Franken bar bezahlt werden.
Im Geschäftsbericht 2012 der SPS steht zur obigen Akquisition folgendes:
«Im Oktober konnte Swiss Prime Site eines der führenden schweizerischen Immobiliendienstleistungsunternehmen, Wincasa AG, akquirieren und sich damit das Wissen und die Erfahrungen des wichtigsten Bewirtschaftungspartners sichern. Mit dieser Akquisition verbreitert Swiss Prime Site ihre Ertragsbasis (…) sowie sich einen noch direkteren Zugang zu den regionalen Immobilienmärkten sichern.»
Zeitsprung: Wir befinden uns in der Gegenwart. Wincasa betreut mehr als 250'000 Objekte und hält Immobilien für rund 81 Milliarden Franken «under Management». Es sind 1350 Vollzeitäquivalente an 33 Standorten in der Schweiz tätig. Fazit: Das Unternehmen ist innerhalb von 10 Jahren gewachsen. Relevante Kenngrössen haben sich grob geschätzt verdoppelt.
Dieses Unternehmen wurde letzte Woche vom mit Abstand grössten Baukonzern der Schweiz gekauft. Der Kaufpreis beläuft sich auf 171.6 Millionen. Die dazugehörige Ad-hoc-Mitteilung gemäss Art. 53 des Kotierungsreglements vom 30. März 2023 trägt die Überschrift «Implenia akquiriert Wincasa – einzigartiges, integriertes Leistungsangebot für alle Kunden. In derselben Meldung findet sich folgende Passage:
«Aus der Eingliederung von Wincasa erwartet Implenia erhebliches Synergie- und Wachstumspotenzial für die ganze Gruppe. Dies sowohl durch das Angebot entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Beratung und Planung, über Ausführung bis zum Property Management, als auch aus der Modernisierung des Bestands an betreuten Liegenschaften.»
Wie üblich berichteten die Medien über diesen Unternehmenstransaktion, mitunter auch die Radiosendung «Echo der Zeit» von SRF 1 mit der irreführenden und tendenziösen Schlagzeile «Wieso Hausverwaltungen so rentabel sind». Der (wirtschaftliche) Pudels Kern der Geschichte liegt aber woanders.
Hätte, hätte, Fahrradkette: Wertschöpfung ist komplex, aber sicher keine Kette
Die Vorstellung einer durchgehenden Wertschöpfungskette zwischen zwei Unternehmen, die sich mittels einer Strategie der betrieblichen Vorwärts- oder vielleicht auch einer Rückwärtsintegration brachliegende Wertschöpfung (gewinnträchtiger zusätzlicher Umsatz) mobilisieren lässt, ist im vorliegenden Kontext – gelinde gesagt – naiv. Die beliebte Metapher einer (fast mechanisch anmutenden) Kette als geschmeidige Abfolge von ineinandergreifenden Objekten, Einheiten oder Prozessen dürfte sich im Fall Implenia und Wincasa eher früher als später als Luftschloss entpuppen.
Es handelt sich meines Erachtens um eine Schimäre. Weshalb? Baumärkte und Immobilienmärkte (Nutzer-, Transaktions- und Beschaffungsmarkt) sind weder fachlich noch prozessual und auch nicht organisatorisch ökonomisch auf einfach fassbare Weise miteinander verwoben. Zudem steigen durch das gebetsmühleartige Verweisen auf die ominöse Wertschöpfungskette die Erfolgschancen nicht. Es gilt lediglich, aber immerhin das Prinzip Hoffnung.
Kommt hinzu, dass aktuell Wincasa mutmasslich hierzulande die grösste Immobilienverwaltung ist, aber ihr verlässlich messbarer Marktanteil beim Verwaltungsgeschäft mit Mietwohnungen gleichwohl lediglich in der Grössenordnung von 3 bis maximal 4 Prozent liegt. Das Verwaltungsgeschäft ist in der Schweiz trotz anhaltenden Konsolidierungstendenzen nach wie vor stark fragmentiert. Die Margen in diesem Geschäft sind fast immer notorisch tief; und es herrscht ein brutaler Margendruck. Marktmacht sieht anders aus. Die Wettbewerbskommission müsste keine Prüfung vornehmen. Sie ist überflüssig.
Die Moral von der Geschichte: Lehrgeld bezahlen inklusive
Die Wortmeldungen der involvierten Akteure von und in solchen Transaktionen sind meistens stereotyp. Sie tönen hohl und nichtssagend. Auf den Punkt gebracht wurde dieses Phänomen mitunter von Jens Bergmann in seinem Buch «Business Bullshit». Die Lektüre kann ich nur wärmstens empfehlen. Sie ist so erhellend wie entlarvend.
Die Alternative, Klartext zu sprechen, wäre auch im Wirtschaftsleben eine gangbare Option. Denn Kommunikation gehört zum täglichen Brot des Wirtschaftens. Sie, die (gute) Kommunikation, ist essenziell. Aber dabei öffentlich Selbstkritik zu üben, scheint unüblich zu sein. Im vorliegenden Fall korrigiert das aktuelle Management der SPS «lediglich» einen Fehler des früheren eigenen Managements, nämlich einen selbstverschuldeten, bewusst eingegangenen Fehleinkauf im Jahr 2012. Man hatte sich schlicht rundum (und sich selbst) getäuscht. Wincasa war bei der SPS schon von der ersten Minute an in den falschen Händen. Weder gab damals noch heute einen stringenten strategischen Fit zwischen den beiden Unternehmen, noch leitete sich diese Transaktion aus einer industriellen Logik ab.
Im Rückblick gilt sinngemäss ein Bonmot, das dem ehemaligen Deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer zugeschrieben wird: «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?» Egal. Die damaligen Entscheidungsträger der SPS tischten ihrem Aktionariat im Herbst 2012 eine fadenscheinige Geschichte auf. Sie wurde von ihm – nicht überraschend – geschluckt.
Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen meiner Einschätzung: Wincasa war und ist ein grundsolides Unternehmen mit einer Zukunft und einer Daseinsberechtigung im Schweizer Markt; das ist keine Frage.
Seitens Implenia konnte man in der Kommentierung der Transaktion von letzter Woche zwischen den Zeilen immerhin heraushören, dass die angestammte Bausparte insgesamt weiterhin ein margenschwaches Geschäft bleiben wird. Für das Aktionariat ist das eine wenig erfreuliche, aber immerhin realistische und wohl auch ehrliche Einschätzung der eigenen Zukunftsaussichten für das Kerngeschäft. Denn im Umkehrschluss gilt das Folgende: Würde das Management der Implenia ein anderes betriebswirtschaftliches Narrativ für ihr Kerngeschäft als wahrscheinlicher erachten, dann hätte man erstens auf den Erwerb von Wincasa verzichtet. Und zweitens würden die dadurch freien finanziellen Mittel in die Weiterentwicklung – Stichwort Forschung und Entwicklung – des eigenen Kerngeschäftes investiert.
Unter dem Strich kann man der skizzierten Gemengelage durchaus eine positive Note abgewinnen: Einerseits hat das Management der SPS unter Beweis gestellt, dass es lehrfähig ist. Dass dieser Lehrprozess rund 10 Jahre gedauert hat, ist ohne Belang. Andererseits zeigt sich, dass die Entscheidungsträger bei Implenia gewillt sind, Lehrgeld zu bezahlen. Gut so.
PS
Wincasa als eigenständiges Unternehmen entstand kurz vor der letzten Jahrtausendwende. Damals hingen die Entscheidungsträger bei der Credit Suisse der Vision der «Allfinanz» nach. Unter diesem Begriff verstand man das bewusste unternehmensbezogene Zusammenbringen und Bündeln von Finanzdienstleistungen, primär dem «Banking» einerseits und dem Versicherungsgeschäft andererseits. Vor diesem Hintergrund schlossen sich im Jahre 1997 der Versicherungskonzern der Winterthur-Gruppe und die Credit Suisse Group als Finanzkonzern zusammen. Heute wissen wir es alle besser. Der Ansatz der Allfinanz entpuppte sich rasch als strategischer Irrläufer…
Im Nachgang zu dieser Megafusion in der Finanzbranche wurde die auf Immobilienbewirtschaftung spezialisierte Wincasa als Tochtergesellschaft des Credit Suisse Group ins Leben gerufen. Die Firma bzw. Marke «Wincasa» hatte die Winterthur Versicherung bereits einige Jahre zuvor im Markenregister schützen lassen. Gleichzeitig wurde die angestammte Immobilienabteilung der Winterthur Versicherung mit derjenigen der Credit Suisse verschmolzen. Der daraus resultierenden Immobiliensparte der Credit Suisse Asset Management (CSAM) oblag damals auch das operative Management einer gewissen «Swiss Prime Site». Letztere wurde im Jahr 1999 gegründet. Und im April 2000 wurde die Gesellschaft mit einem IPO an die Börse gebracht.
Quellen
Bergmann, Jens: Business Bullshit, Duden Taschenbuch, 2021.
Bild
ETH Bildarchiv: Ans_01200-007
Hundwil/Waldstatt, neue Hundwilertobelbrücke, Lehrgerüst, 1923-1925