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«For your eyes only»: Ein Denkfehler lässt grüssen


Adressbuch Stadt Zürich, 1922
Adressbuch Stadt Zürich, 1922

Das Rad der Zeit zurückdrehen?

Kürzlich bin ich durch Medienberichte auf die Verordnung des Obergerichtes über die Geschäftsführung der Grundbuchämter und die Einführung des eidgenössischen Grundbuches (Kantonale Grundbuchverordnung) aufmerksam gemacht worden. Sowohl der «Tages-Anzeiger» als auch die «NZZ» berichteten über sie. Der Anlass dazu war auf den ersten Blick banal. Konkret wurde der darin enthaltene Paragraf 35 c in dieser Grundbuchverordnung mit dem Absatz 3 ergänzt, und zwar wie folgt:

 

Jede Eigentümerin und jeder Eigentümer kann die Sperrung ihrer oder seiner Eigentümerdaten im Internet verlangen.

 

Dabei geht es inhaltlich und funktional um die Möglichkeit einer Online-Abfrage zur Eigentümerschaft von Grundstücken. Der Kanton Zürich hatte diese Dienstleistung im Sommer 2023 erstmals zur Verfügung gestellt. In anderen Kantonen bestehen solche Lösungen teilweise schon seit etlichen Jahren. Darin könnte man einen grundsätzlich segensreichen Ausfluss der oftmals geforderten Digitalisierung (auch) der öffentlichen Hand sehen. Doch dies sehen längst nicht alle so. Sonst wäre die oben zitierte Verordnung nicht ergänzt worden. Die seit anfangs 2025 mögliche Sperrung beschränkt sich auf die Abfrage via den kantonalen GIS-Browser https://maps.zh.ch (Eigentümerauskunft). So weit, so gut. Für eine juristische Würdigung verweise ich gerne auf die Ausführungen von RA Martin Steiger (vgl. Quellenangaben unten). An dieser Stelle möchte ich Dich – liebe Leserin und lieber Leser – lediglich auf drei ausgewählte ökonomische Aspekte hinweisen:

 

1.)    Zu dem Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Eigentümer oftmals stolz und geradezu erpicht darauf, ihre rechtliche Stellung zur Liegenschaft zumindest baulich sichtbar zu verewigen, sei es in der Form einer Gedenktafel oder einer entsprechenden Steinmetzarbeit an der eigenen Fassade, sei es in der Form von kunstvoll geschmiedeten Eisengittern. So findet sich am ehemaligen Hauptsitz der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz vergitterte Fenster mit der Abkürzung «SKA», also für Schweizerische Kreditanstalt. Umso älter das Gebäude ist, desto wahrscheinlicher haben solche «in Stein gemeisselte Artefakte» den Charakter einer Reminiszenz. Die Gebäude überdauern nicht selten die entsprechende Zeit der dannzumaligen Eigentümerschaft. Dahinter steckt das ökonomische Phänomen des Signalings. Dabei geht informationstechnisch darum, Glaubwürdigkeit auszustrahlen. Eine allfällige «im Markt» bestehende Unsicherheit soll damit reduziert werden. Es geht technisch gesprochen um das bekannte «principal-agent-problem».

 

2.)    Eine andersgeartete Spielart dieser Verbindung zwischen Liegenschaft und einer natürlichen oder juristischen Person besteht im sogenannten Gebäudebranding. Gebäude bekommen dabei einen bewusst gewählten Namen oder Bezeichnung. Es soll eine bekannte Marke geschaffen werden. Die Palette der möglichen Konstellationen ist beachtlich: Sie geht über einen Konzernsitz bis hin zur Vergabe eines befristeten Namensrechtes wie etwa «Allianz Arena», wo der FC Bayern München seine Heimspiele bestreitet. Der Name der Liegenschaft wird bewusst für kommerzielle Zwecke genutzt. Es findet eine Kommerzialisierung statt. Die Devise dahinter ist einfach gestrickt: Je mehr Menschen davon Kenntnis haben umso besser.

 

3.)    Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Adressbuch der Stadt und Umgebung publiziert. Es handelt sich mit Abstand um meine liebste Quelle, wenn es um die Erforschung der raumökonomischen, wirtschaftsgeschichtlichen oder gesellschaftlichen Entwicklungen der Stadt Zürich geht. Weshalb? Bis 1998 enthielt diese Publikation ein Strassen- und Häuserverzeichnis mit «brisanten» Zusatzangaben. Für jedes Grundstück, das eine eigene Adresse hatte, wurde der Namen des Eigentümers publiziert. Quasi als Sahnehäubchen obendrauf war weiter vermerkt, ob die jeweilige Eigentümerschaft auch dort wohnte, bzw. dort ihren Geschäftssitz hatte. Mindestens so spannend waren und sind weitere Angaben allfälligen Mieterschaft in einem spezifischen Gebäude.


Insbesondere Angaben zum Beruf eröffnen ein eigenes Universum: Wer von Euch kennt Bezeichnungen wie «Weichenwart», «Spetterin», «Erdarbeiter» oder «Commis»? Unter dem Strich ein Datenschatz der Extraklasse! Mehr spezifische Transparenz – wohlgemerkt gratis – geht nicht. Die Suchkosten von Interessierten waren damals ausgesprochen gering. Dieses niederschwellige Angebot zeigt, dass entsprechende zeitgenössische Online-Abfragen eher eine Renaissance einer alten Idee als eine Neuschöpfung im Sinne einer Innovation darstellen. Insofern sind bereits existierende Angebote und allfällige Bestrebungen, die auf eine sachliche oder räumliche Ergänzung abzielen – prima vista – zu begrüssen. Selbstverständlich lassen sich der damalige und der heutige Kontext – insbesondere mit Blick auf den Datenschutz oder in technischer Hinsicht nur schwer miteinander vergleichen.

 

Die Moral von der Geschichte

 

Diejenigen Eigentümer, die die eingangs erwähnte Abfragemöglichkeit für ihre eigene Liegenschaft zukünftig aktiv sperren lassen, erbringen sich selbst mutmasslich einen Bärendienst. Dieser Schritt sollte wohlüberlegt erfolgen. Weshalb? Deklarationen wie «vertraulich» oder «geheim» bei Daten und Informationen lösen bei Dritten nicht selten einen kontraproduktiven, detektivischen Anreiz aus. Bewusst geschaffene Intransparenz kann eine allenfalls unerwünschte Neugierde triggern: Was oder wer versteckt sich hinter der Meldung «Die Eigentümerauskunft im Internet ist für dieses Grundstück gesperrt»? Wer sich als Eigentümerin oder Eigentümer eines Grundstücks sich auf dem Radar – sprich im Internet und Datenbanken – so wenig wie möglich auffallen will, sollte in der Regel auf eine solche Sperrung verzichten. Denn wer Anonymität sucht, sollte sich unauffällig mit und in der grossen Masse treiben lassen.


Quellen:



Titelbild:

Adressebuch der Stadt Zürich 1922, Einfärbung durch dr. dr. üsé kuba hausmann


 
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