Erfrischender Perspektivenwechsel: ökonomische Déformation professionelle vorgeführt
- Dr. Dr. Üsé Kuba Hausmann
- 9. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 6 Tagen
Die Idee für diesen Blog kam mir beim Holzhacken, also beim Arbeiten. In diesen Tagen habe ich ein kürzlich erschienenes Buch von Julian Schütt gelesen. Der Titel lautet: «Max Frisch Biographie einer Instanz 1955-1991». Derselbe Autor hatte bereits vor 14 Jahren einen ersten Band verfasst. Darin werden die Lebensjahre von 1911 bis 1954 des Schriftstellers beleuchtet.
Seit rund 45 Jahren begleitet mich das schriftstellerische Werk von Max Frisch. Angefangen hat es – Überraschung – mit dem Roman «Homo faber». Vieles von Frischs Leben ist mir zudem bereits bekannt. Gleichwohl liest sich die Biografie wie ein Krimi, zumindest für mich. Ein Genuss.
Die Biografie selbst beginnt 1955. In diesem Jahr erscheint auch eine Publikation. Sie trägt den Titel «achtung: die Schweiz». Frisch schrieb sie zusammen Lucius Burckhardt und Markus Kutter. Der Text wirft damals hohe Welle. Es geht darin (auch) um die räumliche Entwicklung der Schweiz. Die Disziplinen der modernen Städte- und Raumplanung befinden sich hierzulande noch weitgehend in den Kinderschuhen. Schlüsselthemen, die heute mindestes so aktuell wie damals sind.
Vor diesem Hintergrund dieser Streifschrift entbehrt es im Rückblick nicht einer gewissen Ironie, dass sich der in der Stadt Zürich geborene Frisch als ETH-Architekt und Schriftsteller 1964 in Berzona niederlässt. Mehr Peripherie und Abgeschiedenheit als dieser Ort im Tessiner Onsernone-Tal mit sich bringt, ist in der Schweiz damals wie heute fast nicht möglich. Der Ort zählt zu dieser Zeit rund 80 Einwohner. Eine Bar gab es nicht. Ein echtes Kontrastprogramm, denn Max Frisch wohnte bis anhin in einer Mietwohnung in Rom.
Der Kauf der fraglichen Liegenschaft in Berzona ist auch aus rechtlicher Sicht interessant. Offenbar konnte Max Frisch als Auslandschweizer das Grundstück nur unter der behördlichen Auflage erwerben, wenn drei namhafte Eidgenossen mit einer Unterschrift bezeugen konnten, dass damit dem Ausverkauf des Tessins kein weiterer Vorschub geleistet würde. Dies geht aus zwei Briefwechseln hervor (*). Auf welcher Rechtsgrundlage dieses Erfordernis fusste, muss ich noch in Erfahrung bringen. Die Recherche läuft. Auf jeden Fall handelt es sich um eine originelle Regulierung. Man lernt nie aus. Fakt ist, dass 1961 der Bundesbeschluss über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland in Kraft gesetzt wurde («Lex von Moos»).
Themenwechsel: Max Frisch ist breit interessiert. Auch ökonomisches Gedankengut beschäftigt ihn. Erwähnenswert ist folgender Gedanke: Eigentlich, so Frisch seien die angestammten Bezeichnungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht korrekt. Scharfsinnig moniert er eine Verwechslung von Rollen, Funktionen und Begriffen: Demnach seien die Arbeitnehmer die tatsächlichen Arbeitgeber und umgekehrt. Scharf beobachtet.
Tatsächlich unterscheidet die volkwirtschaftliche Theorie zwischen fünf Produktionsfaktoren. Es sind dies Kapital (Maschinen), Boden (Erdoberfläche), Natur, Wissen und Arbeit (Menschen). Letztere ist zwingend an lebende Menschen gebunden. Liegt demnach ein Arbeitsvertrag vor, leistet eine Vertragspartei Arbeit und die andere Vertragspartei entrichtet als Gegenleistung einen Lohn. Der «Arbeitnehmer» ist ökonomisch und faktisch gesehen ein Arbeitgeber bzw. eine Arbeitgeberin. Der vermeintliche Arbeitgeber gibt keine Arbeit, sondern nimmt Arbeit. Genau gleich wie ein Kapitalgeber ökonomisch betrachtet kein Kapital gibt, sondern lediglich, aber immerhin Geld.
Die Moral von der Geschichte
Ein erfrischender wie anregender Perspektivenwechsel. Allein schon deshalb hat sich das Lesen des zitierten Buches gelohnt. Apropos Briefwechsel. Als historisch interessierte Zeitgenosse frage ich mich seit Langem, auf welche Quelle sich dereinst zukünftige Biografinnen und Biografen beim Verfassen von Biografien stützen werden. Auch wenn handschriftliche Quellen nicht immer einfach zu entziffern sind, dürfte diese Schwierigkeit in keinem Verhältnis stehen, die sich dereinst durch technische und datenschutzbezogene Realitäten stellen dürften. Ein nettes kleines Paradox der sogenannten Digitalisierung…
Quelle:
(*) Schütt, Julian: Max Frisch Biographie einer Instanz, 1955 – 1991, Berlin 2025, und dort Fussnote 138, S. 220.