Die Stadt Zürich hat ein Veloproblem. Nein, es gibt gleich mehrere davon. Der Anstoss zu diesem Blog war keine Nahtod-Erfahrung, aber immerhin Naheverletzungs-Erfahrungen. In diesem Sommer ignorierten – innert Wochenfrist – gleich zwei pennende Autorfahrer meine rechtmässige Vorfahrt als Velofahrer. Ich hatte Glück.
Umgekehrt könnten wohl unzählige Autofahrer ihre Gescrillhichten über das unkultivierte, ignorante und kompromisslose sowie gefährliche Fahrverhalten von Velofahrenden in der Limmatstadt zum Besten geben. Haarsträubendes garantiert. So werden – hüben wie drüben – die eigenen Anschauungen nicht selten mit religiösem Eifer fast militant vertreten.
Seit 1980 bin ich als passionierter Rennradfahrer unterwegs, ein waschechter Gümmeler. «Cilo» und «Schor» waren bis zum breiten Durchbruch von Rahmen aus Karbon meine Marken. Und seit 23 Jahren bin ich privat wie beruflich zu Fuss, mit dem Tram und eben mit dem Rennrad in Zürich unterwegs. Diesen Blog schreibe ich ausnahmsweise nicht als Theoretiker, sondern als Praktiker.
Dass die schiere Anzahl von Verkehrsteilnehmern, die mit einem Drahtesel unterwegs sind, steigt, ist im Grundsatz erfreulich. Ob mit einem Bio- sprich M-Bike (*) oder E-Bike macht dabei keinen Unterschied. Auch die immer stärker aufkommenden Lastenvelos, die mich oftmals an unförmige Badewannen auf Rändern erinnern, besitzen ihre Berechtigung. Von der Eleganz von Rennrädern sind letztere noch meilenweit entfernt. Aber das ist eine andere Geschichte. Wichtig ist vielmehr die mutmassliche aggregierte Wirkung auf die hiesige Volkswirtschaft. So steht es in den Sternen, ob der anhaltende Fahrradboom zu mehr Nachhaltigkeit der «Schweiz AG» führt.
Fahrräder brauchen angemessene Parkplätze
Was mir als Zürcher Stadtbewohner auf dem Magen liegt, ist das Folgende: In der Stadt Zürich fehlen zeitgemässe private wie öffentliche Mikroinfrastrukturen, um Fahrräder temporär zu abzustellen. Die Kapazitätsengpässe sind nicht in erster Linie auf der Strasse oder den Velowegen zu orten, sondern bei den öffentlichen Abstellplätzen unterwegs. Besonders augenfällig ist dieses Defizit bei Liegenschaften, die Amtsstellen (u. a. Stadthaus) oder kulturelle Einrichtungen (u. a. Kunsthaus) beherbergen. Hier scheint die Zeit im letzten Jahrtausend stehengeblieben zu sein. Wie wäre es, wenn die öffentliche Hand bei ihren eigenen Gebäuden und Grundstücken bezüglich stationärer Veloinfrastruktur eine Vorbildfunktion einnehmen würde? Kommt hinzu, dass die heutigen Installationen bei neu gebauten Veloabstellplätzen bar jeder Zweckmässigkeit (Diebstahlsicherung als Stichwort) und Komfort sind. Sie sind eine Zumutung. Mein Fazit: Es stimmen weder Quantität noch Qualität.
Die Moral von der Geschichte
In der Blütezeit des Schweizer Wintertourismus in den 1970er-Jahren gehörte das Warten an Skiliften zum guten Ton. Gleichzeitig waren die Pisten wenig befahren. Mit dem massiven Kapazitätsausbau der dortigen Transportanlagen verlagerte sich der Flaschenhals von der Bergfahrt auf die Pisten. Nun zeichnet sich eine ähnliche Gemengelage im Stadtverkehr ab. Sowohl die einschlägigen Baugesetze als auch die Verkehrsplanung hinken der skizzierten Realität hinterher.
Das Ganze erinnert mich an einen klassischen betriebswirtschaftlichen Managementfehler: Zuerst wird kräftig die Werbetrommel gerührt. Tritt dann der erwünschte Erfolg ein, ist die eigene betriebliche Logistik dem Ansturm der neu gewonnenen Kunden aber nicht gewachsen.
Tipp: Sollte dereinst die Zahl der öffentlichen Autoparkplätze in der Stadt Zürich weiter reduziert werden, empfiehlt sich folgende Regel: Auf fünf aufgehobene oberirdische Autoparkplätze muss mindestens ein angemessener Veloparkplatz für fünf «grosse» Fahrräder geschaffen werden. Denn eine weitere Besetzung von Gehsteigen wäre so oder so dysfunktional.
Das Beste zum Schluss
Im Herbst 2015 hatte ich an der amerikanischen Westküste als Velofahrer eine Offenbarung. Standort: Portland (Oregon). Diese Stadt mit über 600'000 Einwohnern verfügt über eine traumhafte und reale Infrastruktur für Velofahrer! Originalzitat aus Wikipedia: Die Stadt (...) ist für «seine Parks, Brücken und Radwege sowie für seine Umweltfreundlichkeit, Mikrobrauereien und Cafés bekannt». Wie wahr!
Damals wurde mir schlagartig bewusst, dass die Zürcher Wirtschaftsmetropole hoffnungslos im Hintertreffen liegt, um bezüglich Veloinfrastruktur und nicht nur darin, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Vieles mag in der Limmatstadt Weltklasse-Qualität aufweisen. Aber ein Mekka für Velofahrerende unterschiedlicher Couleur dürfte die am östlichen Fusse des Uetlibergs gelegene Stadt nie werden.
Quellen:
741.500 Verordnung über private Fahrzeugabstellplätze (Parkplatzverordnung)
Bildnachweis:
ETH Bildarchiv Com_L26-0009-0008-0005
Zürich-Oerlikon, 7. Internationale Fahrrad- und Motorradausstellung, Rennräder von Legnano, März 1977