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Ein Interview des höchsten Währungshüters: ein Kommentar zur Arbeitsproduktivität


Worte auf Goldwaage legen: Kernkompetenz der SNB


Heute Nacht habe ich geträumt, so wie fast jede Nacht. Ich träumte vom Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, Thomas Jordan. Nein, kein Albtraum, aber eine reale Aussage in der gestrigen Hauptausgabe der Tagesschau von SRF hatte sich wohl in mein Unterbewusstsein eingenistet. Sie, die Aussage, triggerte wohl diesen Traum. In einer Interview-Sequenz im dazugehörigen TV-Beitrag äusserte sich der oberste Währungshüter zu verschiedenen geld-, fiskalpolitischen und makroökonomischen Themenkreisen. Mitunter sagte er folgendes:


«Die Produktivität, also das, was man aus einer Stunde Arbeit herausholt, wächst nicht richtig, nimmt zu wenig zu und das braucht auch strukturelle Reformen, um eben die Wirtschaften wettbewerbsfähiger zu machen, so dass das Wachstum wieder erhöht wird. Das ist eine der grossen Herausforderungen.»

Wachstum spielt nicht nur in dieser Aussage, sondern grundsätzlich im volkswirtschaftlichen Gedankengebäude eine herausragende Rolle. Keine Frage. An dieser Stelle geht es mir auch nicht darum, eine einlässliche Kritik an diesem Dogma zu platzieren. Vielmehr irritiert mich sein Verweis auf die Arbeitsproduktivität. Welche Botschaft will uns der oberste Währungshüter der Schweiz – auch allen Erwerbstätigen in der Eidgenossenschaft mit diesem Fokus vermitteln? Ich weiss es nicht. Darum kann man nur spekulieren.


Unabhängig davon stellt sich die Frage wie Arbeitskräfte, die in hochentwickelten Dienstleistungsgesellschaften ihr tägliches Brot verdienen, noch mehr aus ihrer Arbeitszeit – getreu der sportlichen Devise «schneller, höher, weiter» herausholen. Aber wie soll das gehen etwa im Kontext von


·      angewandter Forschung und Entwicklung (z. B. Innovation),

·      anspruchsvoller Kopfarbeit (z. B. Geldpolitik),

·      medizinischer Pflege von Menschen (z. B. von dementen Personen),

·      systemischen Dienstleistungen à la öV (z. B. Tramfahrer:in)

·      Aus- und Weiterbildung von Menschen (z. B. Grundschule)

·      kulturellen, gesellschaftlichen oder künstlerischen Leistungen (z. B. Theater)?


Doch sind nicht wenige (erwerbstätige) Menschen strukturell und seit geraumer Zeit von Tempo unserer Leistungsgesellschaft tatsächlich oder bloss vermeintlich bereits überfordert? Jordans Gemeinplätz zur schwächelnden Arbeitsproduktivität zielte wohl kaum auf die oftmals insinuierte neue Arbeitsmoral der Generation Z. Auch passt seine Aussage nicht auf den gebetsmühleartigen Hinweis des Mangels an Arbeitskräften im Allgemeinen und denjenigen von Fachkräften im Besonderen. Vielmehr soll – das ist die Essenz der Arbeitsproduktivität – das bereits arbeitende bzw. das zukünftig arbeitende Humankapital für sich selbst noch produktiver werden.


Gut möglich, dass jemandem, bei dem in der Regel jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird, sich hier etwas (zu) salopp zur Arbeitsproduktivität geäussert hat. Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Dass das ökonomische Prinzip der Effizienz hochzuhalten ist, steht auch für mich ausser Frage. Aber vielleicht war ich träumend in Schlaf versunken etwas zu feinfühlig. Folglich sollte nicht jede Aussage des SNB-Präsidenten als bare Münze genommen werden. Doch apropos «Reform». Hier kann ich ihm uneingeschränkt zustimmen. Eine umfassende Revision des geltenden Nationalbankgesetz (NBG) wäre zumindest eine Debatte wert.


Die Moral der Geschichte


Ende 2023 beschäftigte die SNB 999 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Gemessen in Vollzeitäquivalenten entspricht dies nach Eigendeklaration der SNB 910 Vollzeitstellen (Quelle: Geschäftsbericht 2023, S. 166). Ende 2014 arbeiteten 868 Personen (inklusive 19 Lernender) bei der SNB. Umgemünzt auf Vollzeitstellen waren es deren 776 (Quelle: Geschäftsbericht 2014, S. 137). Ende 2000 Betrug der Personalbestand der Nationalbank 575 Personen. Das entsprach 534 Vollzeitstellen (Geschäftsbericht 2000, S. 68).

 

Auf die Auflistung von weiterem einschlägigen Datenmaterial wird hier verzichtet. Meine Absicht liegt auf der Hand. Die Zahl der Vollzeitäquivalente bei der SNB hat in den letzten 23 Jahren um gut 2.35% pro Jahr zugenommen. Es wäre spannend, zu erforschen, wie sich die Arbeitsproduktivität dieser Bundesinstitution in diesem Zeitraum entwickelt hat. Ist beispielsweise diejenige der volkswirschaftlichen Abteil gestiegen? Noch interessanter wäre eine selbstkritische Einschätzung des Direktoriums zu dieser Materie.

 

Quellen:

 

Geschäftsberichte der SNB

 

Bildernachweis:

Standbild aus der Tagesschau vom 20. April 2024.

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