Ein blinder Fleck: der Konsum an Wohnfläche pro Kopf scheint unersättlich zu sein
- Dr. Dr. Üsé Kuba Hausmann
- 24. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Die Versorgung mit (bezahlbarem) Wohnraum ist ein Dauerbrenner. Gleichwohl hat das Thema in den letzten Jahren hierzulande eine neue Dimension erreicht. Dabei mangelt es weder an Rezepten und politischen Forderungen noch an mutmasslich zielführenden Massnahmen. Hüben wie drüben herrscht aktuell Alarmismus. Ein Schwarz-Peter-Spiel mit stereotypischen Vorwürfen macht die Sache nicht besser.
Auch wurde dieser Themenkreis in den letzten 140 Jahren einlässlich und sehr fundiert untersucht. Etwas Neues zu entdecken, ist fast nicht möglich: Ein Déjà-vu folgt dem anderen. Auch in diesem Blog steckt null Neuigkeitsgehalt, weil es nichts Neues zu berichten gibt. Lediglich der guten Ordnung halber erlaube ich mir einen Hinweis auf zwei Kennziffern: Die Leerwohnungsziffer hat sich in den letzten Jahren merklich zurückentwickelt. Lag sie Mitte 2021 noch bei 1,54 Prozent, bewegte sie sich Mitte 2024 bei 1,08 Prozent. Gut möglich, dass die diesjährige Zählung einen Wert liefert, der unter der 1-Prozent-Marke liegt. Schaut man sich jedoch diese Kennziffer für die Boomjahre der 1950er- und 1960er-Jahre an, relativiert sich das zeitgenössische Niveau deutlich.
Alter Schwede: Für das Jahr 1963 wiesen die amtlichen Statistiker einen Wert von 0,15 Prozent für die Schweiz aus!
Eine zweite, nicht unproblematische Grösse ist die Belegungsdichte. Sie entwickelte sich wie folgt: 1950: 3,70 Personen pro Haushalt, 1960: 3,40, 1970: 2,90, 1980: 2,60, 1990: 2,40, 2000: 2,30 und 2023 liegt der Wert bei 2,2 Personen pro Haushalt. Dahinter verstecken sich vielschichtige Prozesse, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Aber die Aussage ist so bekannt wie banal: Unser Konsum an Wohnfläche pro Kopf ist in der Schweiz seit über 70 Jahren markant angestiegen. Aktuell sind erste Stabilisierungstendenzen auszumachen. Doch wie angetönt sollten diese Daten aus Mess- und Qualitätsgründen grosszügig interpretiert werden. Es interessiert primär das dazugehörige Grundmuster. Der Trend ist offensichtlich: Statt einer Verdichtung und Konzentration hat sich beim Wohnen eine Entdichtung eingestellt. Wir wohnen heute deutlich weniger dicht und eingeengt. Logisch, dass monokausale Erklärungsansätze keine befriedigenden Antworten auf diese Phänomen liefern können. Ergänzung: Dass die bauliche Qualität, der Ausbaustandard und die Makro- und Mikrolagenqualitäten der Wohnungen sich ebenfalls frappant verbessert haben, sei hier ergänzend ebenfalls noch angemerkt. Man konsumiert unter dem Strich also nicht nur mehr, sondern auch bessere Qualität.
Die Moral von der Geschichte
Wenn die skizzierte Gemengelage in der Versorgung mit Wohnraum für Privathaushalte als problematisch taxiert wird, sollte man drei Realität nicht vergessen:
Erstens generiert zusätzliches Angebot fast automatisch immer auch mehr Nachfrage. Folglich ist nicht die schiere Menge entscheidend, sondern die angemessene Verteilung.
Zweitens hat die Bauwirtschaft in den letzten Jahrzehnten brutale Produktivitätsfortschritte erzielt. Daher bilden in der Schweiz die bestehenden Kapazitätsgrenzen der Bauwirtschaft (Stichwort: Arbeitskräftemangel) das Limit. Ein Aufbau von mehr Kapazitäten dauert viele Jahre, ist risikobehaftet und alles andere als absehbar. Das einzige Ventil sind steigende Baupreise…
Und drittens dürfte der Schlüssel zur «Problemlösung» nicht (nur) auf der Angebotsseite, sondern auf der Nachfrageseite liegen. Etliche gesetzliche Normen wirken heute entweder dysfunktional (u. a. Mietrecht) oder sie setzen volkswirtschaftlich unerwünschte Anreize (u. a Steuergesetze). Das Potenzial, um den mutmasslichen Kalamitäten in der Wohnungsversorgung entgegenzuwirken, ist auf der Nachfrageseite um ein Vielfaches grösser als bei einer geforderten «Liberalisierung» oder einer Dynamisierung auf der Angebotsseite.
Fazit: Lieber weniger und langsamer neue Wohnbauten erstellen, dafür am richtigen Ort in einer passenden Qualität! Raum- und Wohnraumplanung sollte in Generationen denken und nicht in Aktivismus verfallen. Wer kennt nicht die alte Leier, von den «schlechten» 1950er- und 1960er-Jahren-Bauten. Eben.