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«Chlapf», «Gurkä», «Schwarte» oder «Göpel»: zum Markt von Zitronen



Rückblende: Wir erinnern uns

Im Januar 2008 hielt ich bei der St. Galler Kantonalbank einen öffentlichen Vortrag. Der Titel lautete: «Droht in der Schweiz eine Immobilienblase zu platzen?». Die Motivation für diese Titelwahl lag in dieser Zeit auf der Hand. Man hegte die Befürchtung, dass die US-amerikanische Subprime-Krise auf die Schweiz überschwappen könnte. Meine damaligen zwei Kernbotschaften waren simpel. Es bestände – erstens – bei sachlicher Betrachtung keine solche Gefahr. Und zweitens existiere die Gefahr von spekulativen Preisentwicklungen mit grosser Fallhöhe mindestens so lange auf dem Risikoradar, wie sich die Zinsen auf tiefen Niveau bewegen würden. Zur Erinnerung: Anfangs 2008 lagen Hypothekarzinsen für Festhypotheken mit längerer Laufzeit bei rund 4%. Das Median-Einfamilienhaus wurde für stolze, im Rückblick aber schon wieder moderat anmutende 710'000 Franken gehandelt. Tempi passati.


Schimäre einer Immobilienblase macht die Runde

Seither tauchen immer wieder Beiträge, Meldungen und Schlagzeilen zu möglichen Risiken und dem absehbaren Platzen einer Immobilienblasen auf. Die Provenienz der Alarmrufenden ist vielfältig. Auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) schoss sich ebenfalls auf diese Position ein. Ihrer geldpolitischen Lagebeurteilung vom Juni 2012 ist das Folgende zu entnehmen:

«Am Schweizer Hypothekar- und Immobilienmarkt für Wohnliegenschaften akzentuierten sich die Ungleichgewichte im letzten Quartal weiter. Die Nationalbank begrüsst deshalb den Entscheid des Bundesrates, das Instrument eines antizyklischen Kapitalpuffers bereitzustellen, der Fehlentwicklungen auf dem inländischen Kreditmarkt entgegenwirken kann.»


Auch die Bundesbehörden und der Bundesrat strafften vor etlichen Jahren die Zügel. Die Finma drängte die Banken zu schärferen Selbstregulierungsmassnahmen. Stichwort: «Hartes Eigenkapital von mindestens 10% bei Finanzierungen von Immobilienkäufen». Die in Kraft gesetzten Massnahmen wurden mehrheitlich begrüsst und als angemessen taxiert. Dass es sich dabei – einmal mehr – um zweifelhafte Symbolpolitik mit teilweise marktverzerrenden Nebenwirkungen handelte, war wohl nur Fachkundigen schon damals klar. Denn die ersehnte Verschnaufpause bei den haussierenden Liegenschaftspreisen war nur von kurzer Dauer. Seitenblick auf eine andere permanente Baustelle der Schweizer Volkswirtschaft: In derselben Pressemeldung von Juni 2012 schrieb die SNB, dass sie den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro «mit aller Konsequenz durchsetzen» werde...


Gegenwart: Ausser Rand und Band

Im Januar 2021 steht die Schweizer Volkswirtschaft mitten in einem wirtschaftlichen Tsunami mit unabsehbaren Langzeitauswirkungen. Es gibt keine Präzedenzfälle. Die Spanische Grippe wütete vor mehr als 100 Jahren. Typische, erwartete Reaktionsmuster seitens der Wirtschaftssubjekte wären wohl ein vorsichtiges Agieren, Investitionsstopps, Zeichen von Unsicherheit, Stress oder auch Ängsten. Zwar suggeriert der volkswirtschaftliche Datenkranz, dass man in der Schweiz bisher mit Blick auf die wirtschaftlichen Verwerfungen – einmal mehr – vergleichsweise glimpflich durch die Auswirkungen der Pandemie gekommen ist. Das mag stimmen, zum Glück.


Gleichwohl sollten aber langfristige Aspekte wie mögliche Fehlallokationen von Kapital, «Disruptives», die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und ganzen Volkswirtschaften sowie ein abermals beschleunigter Strukturwandel genau jetzt grösste Aufmerksamkeit geniessen. So denken Strategen heute schon an das Übermorgen. Entsprechend zu denken und konsequent zu handeln, fällt aber den meisten Menschen (mir auch) sehr schwer.


Exkurs: Immobilienmärkte sind Subsysteme von volkswirtschaftlichen Gesamtsystemen. Sie sind weder autonom noch autark. Vielmehr können Immobilien bzw. deren Preise als «Spiegel» verstanden werden. In die Preisbildung fliessen alle verfügbaren Informationen und Zukunftserwartungen ein. Vor diesem Hintergrund gilt es auch die Preisniveaus von Wohnimmobilien, sei es von selbstgenutztem Wohneigentum, sei es von Renditeliegenschaften, zu beurteilen. Deren Preisniveaus eilen bekanntermassen seit Langem von einer Rekordmarke zur nächsten.


Es mag paradox anmuten. Aber die warnenden Stimmen und der Alarmismus bezüglich einer möglichen Preisblase sind fast verstummt. Nach 13 Jahren des Mahnens, scheint sich dieses Narrativ todgelaufen zu haben. Stattdessen liegt nun der Fokus auf mehr oder weniger stichhaltigen Versuchen, die laufende Preishausse zu erklären. Die Wohnpräferenzen ändern sich oder neue Business-Modelle werden salonfähig. Ein Beispiel dazu liefert ein kürzlich publizierter Beitrag in der «NZZ» mit dem Titel «Der grosse Run auf Wohnliegenschaften». Zum Vergleich mit dem Jahr 2008: Die Zinssätze für Festhypotheken bewegen sich heute um die Marke von 1%. Für das Median-Einfamilienhaus bezahlte man im zweiten Halbjahr 2020 rund 1'070'000 Franken.


Spieltheorische Erkenntnisse beherzigen

In diesem Blog will ich weder die Debatte um eine mögliche Immobilienblase reanimieren noch die aktuelle Marktsituation kommentieren. Stattdessen möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen Beitrag von George Akerlof aus dem Jahre 1970 lenken. Der Autor wurde nota bene 2001 mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften geehrt.


Worum geht es in diesem bahnbrechenden Beitrag? Am Beispiel vom Handel mit Occasionsautos zeigt Akerlof die Wirkung von Informationsasymetrien unter den Marktteilnehmern mit Blick auf die Preisbildung auf. Konkret haben die Eigentümer und Verkäufer von Autos bezüglich ihren eigenen Verkaufsobjekten einen Informationsvorsprung. Sie kennen ihre Ware. Potenzielle Käufer sind diesbezüglich im Nachteil. Sie sind mit einen Informationsdefizit konfrontiert. Sie kennen nicht alle Eigenschaften der angebotenen Fahrzeuge. So weit, so gut.


Das Bemerkenswerte an seiner Analyse sind die Aussagen zur Preisbildung einerseits und zur Zusammensetzung des Angebots an Occasionsautos andererseits. Nach Akerlof profitieren in solchen Situationen minderwertige Fahrzeuge (eben die sogenannten Zitronen) vom herrschenden allgemeinen Preisniveau. Die potenziellen Käufer zeigen in Bezug auf die wahre Qualität der angebotenen Objekte eine zu hohe Zahlungsbereitschaft. Grund: Sie schätzen die wahren Qualitäten falsch ein.


In solchen Konstellationen haben zudem die potenziellen Verkäufer, die objektiv gesehen Fahrzeuge mit sehr guten Qualitäten anbieten, eine Tendenz, dem Markt fernzubleiben. Sie bieten Ihre Ware gar nicht an. Die Erkenntnisse aus dem dazugehörigen Forschungszweig der Spieltheorie gelten ohne Einschränkungen auch für die Immobilienmärkte in der Schweiz. Denn weit über 90% aller gehandelten Liegenschaften sind Occasionen. Und Immobilien gelten als heterogene Güter schlechthin.


Kernbotschaft

Den optimalen Zeitpunkt, einen Aktiventausch – konkret Geld gegen andere Arten von Vermögen oder von volkswirtschaftlichem Kapital zu tauschen –, vorzunehmen, gibt es nicht. Exakt das Gleiche gilt umgekehrt, nämlich beim Tausch von Immobilien gegen Geld. Wer also zur Zeit eine Wohnimmobilien erwerben oder veräussern will, muss oder kann, soll diesen Schritt hoffentlich ohne ungutem Gefühl machen können. Denn ein passives Abwarten an der Seitenlinie des Spielfeldes vermag als Alternative fast nie zu überzeugen.


Vielmehr gilt es Akerlofs Artikel im Hinterkopf zu behalten. Konkret sollten sich Kaufinteressenten nicht (nur) auf Bauchgefühl und ihre allfälligen Emotionen verlassen. Flankierend sind sie gut beraten, wenn sie Kaufobjekte auf Herz und Nieren prüfen. Unterstützung von Experten kann dabei nicht schaden. Weshalb?


Im hiesigen Occasionsmarkt von Bestandesliegenschaften wie auch von Projektentwicklungen strotzt es von Trittbettfahrern. Sie profitieren bewusst oder unbewusst von der nach wie vor herrschenden Inflation der Vermögenspreise (Asset Price Inflation). Deren aufgerufene Angebotspreise dürften daher oftmals qualitätsbezogen schlicht nicht angemessen, sprich zu hoch sein. Genauer, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht. Laien sind oftmals überfordert, dies zu erkennen. Sie lassen sich täuschen.


Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Ich möchte damit keinesfalls die Empfehlung abgeben, nur noch kompromisslos auf anerkannte Qualitätswerte zu setzen. Auch liegt es mir fern, die Assetklasse «Wohnimmobilien Schweiz» als monetär überbewertet zu taxieren. Das wäre so nicht korrekt. Mein Punkt ist ein anderer: In der Regel ist es für die meisten Marktteilnehmer einfach nur zweckmässig und letztlich ratsam, das Objekt ihrer Begierde nicht durch eine rosarote Brille zu sehen. Stichwort: Due Diligence.


Denn Käufer neigen notorisch dazu, den erwarteten Nutzen des Kaufobjektes zu überschätzen. Gleichzeitig unterschätzen sie dessen erwarteten Kosten. Aktuelles Beispiel: Allfällige Transitionsrisiken, die sich aus den Dekarkonisierungsbestrebungen und dem Übergang zu CO₂-armen Lebensformen ergeben könnten. Noch nicht sanierte Altbauen stehen dabei im Brennpunkt.


Fazit: Generell Augen auf beim Kauf von Immobilien! Wohneigentum macht dabei keine Ausnahme.

 

Literatur- und Quellennachweis:

Akerlof, George A. (*): The Market for Lemons: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics, Band 84, Nr. 3, 1970, S. 488-500

Martel, Andrea: Der grosse Run auf Wohnliegenschaften, NZZ vom 23. Januar 2021, Nr. 18, S. 23

https://www.nobelprize.org/prizes/economic-sciences/2001/summary/

https://www.snb.ch/de/mmr/reference/pre_20120614_1/source/pre_20120614_1.de.pdf

 

(*) Er ist mit Janet Yellen, der ersten US-Finanzministerin und ehemaligen Vorsitzenden der US-amerikanischen Notenbank (FED) verheiratet.


Daten:

Wüest & Partner, Immo-Monitoring 2008, Band 2, S. 134 und Auswertung Geo Info Wüest Partner für das dritte und vierte Quartal 2020 (Einfamilienhäuser Schweiz)


Bildnachweis:

ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Wyss, Max A. / Com_M14-0071-0001 / CC BY-SA 4.0

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