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125 Jahre «Kostenmiete» – ein Kommentar aus ökonomischer Warte



Was haben das Schweizer Gesundheitswesen und der Bestand an Mietwohnungen gemeinsam? Richtig! Sie sind beide dem Kostenprinzip verpflichtet. Wettbewerb und Konkurrenz sind qua Gesetz gar nicht zugelassen oder zumindest nur in homöopathischen Dosen präsent.


Geburt der Kostenmiete in der Schweiz: Bundesratsbeschluss vom 18. Juni 1917


Vor 125 Jahren, im Juni 1917, erliess der Bundesrat – fast hätte ich gesagt «natürlich» – basierend auf Notrecht erstmals einen entsprechenden mietrechtlichen Erlass. Das Regime der sogenannten «Kostenmiete» war geboren. Seither prägt es das Denken, Entscheiden und Handeln aller involvierten Akteure. Und die mit diesem Regime verbundenen negativen Nebenwirkungen werden bei jeder denkbaren Gelegenheit schöngeredet.


Doch schauen wir nachfolgend lediglich 50 Jahre zurück: 1970 herrschte in der Schweiz (noch) Hochkonjunktur. Der Begriff «Überkonjunktur» machte gar die Runde. Die Wirtschaft brummte. Gleichwohl taxierten nicht wenige diese konjunkturelle Euphorie als ein «Landesproblem ersten Ranges». Dazu nur eine Rekordmarke: Damals wurden beispielsweise über 80'000 Wohnungen pro Jahr neu gebaut.


Zu jener Zeit lebten hierzulande knapp 6.3 Menschen. Circa 1.4 Millionen Mieterhaushalte generierten im Jahr 1970 kumulierte Mietzinseinnahmen in der Höhe von 5.7 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Die gesamten Gesundheitskosten der Volkswirtschaft Schweiz beliefen sich im selben Jahr auf knapp 5.5 Milliarden Franken.


«Die Ausgaben für das Gut «Mietwohnungen» und das Gut «Gesundheit» hielten sich auf nationaler Ebene in etwa die Waage. Beide Aggregate entsprachen anfangs der 1970er-Jahre je rund fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).

Bereits zehn Jahre später hatten die absoluten Ausgaben für das Gesundheitswesen diejenigen für die Mietzinsen bei weitem überflügelt: Während erstere zwischen 1970 und 2020 um den Faktor 15 nach oben schossen, erhöhten sich die effektiv bezahlten Mietzinsen für alle vermieteten Mietwohnungen um den Faktor 6.7. Der Landesindex der Konsumentenpreise erhöhte sich in diesem Zeitraum aber «lediglich» knapp um den Faktor 3. Die damit verbundene durchschnittliche Inflationsrate über die lange Frist betrug damit 2.2 Prozent pro Jahr.


Die Moral von der Geschichte


Kostenbasierte Systeme kennen kein Korrektiv. Ihnen fehlt eine systemische Rückkoppelung. Sie kennen nur eine Richtung, nämlich immer mehr oder weniger in Richtung Nordosten. Letztlich leiden beide der dargestellten Sektoren mutmasslich an derselben Krankheit: Der bewusste, weitgehend auch gesetzlich verankerte Verzicht auf Konkurrenz und Wettbewerb. Neben der Eliminierung von notorischen Mengenausdehnungen und dem Kampf gegen Fehlanreize besteht eine weitere zentrale gemeinsame Herausforderung darin, mehrjährige Dauerschuldverhältnisse ökonomisch besser zu regeln. Kein Instrument eignet sich dafür besser als eine konsequente, aber wohldosierte Implementierung von wettbewerbsnahen Kontexten. Erst sie erlauben oder fördern Feldversuche, Experimente und Innovationen.


Ein Prüfstein zum Schluss: Gibt es Konsumentenschutzorganisationen, die weniger Wettbewerb und nicht mehr Transparenz fordern würden? Wohl kaum. Die Regulierung des Mietwohnungsbestandes in der Schweiz ist auch diesbezüglich kein Sonderfall. So kann und soll es nicht den Konsumenten obliegen, die monetären Folgen eines ungenügenden oder unzeitgemässen Kostenmanagements seitens des Leistungserbringers zu tragen.


PS

Zur Vermeidung von allfälligen Missverständnissen: Dieser Blog ist kein Plädoyer für die Implementierung einer kruden Marktmiete. Aber beide, ein funktionierendes Gesundheits- wie Wohnungswesen, sind für die Menschen in der Schweiz von elementarer volkswirtschaftlicher wie gesellschaftspolitischer Bedeutung. Daran besteht kein Zweifel. Meine Botschaft in diesem Blog ist eine andere: Es würde an ein Wunder grenzen, wenn uralte gesetzliche Normen den zahlreichen Herausforderungen der Gegenwart genügen würden, um letztere erfolgreich zu meistern. Insbesondere sind weder kosmetische Nachbesserungen noch ein Aussitzen zielführend.


Quellen:

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bau-wohnungswesen/wohnungen/wohnverhaeltnisse.html

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/stand-entwicklung.assetdetail.18344355.html

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/kosten-finanzierung.assetdetail.22324823.html

Volkszählungen von 1970, 1980, 1990 und 2000 (u. a. publiziert in den Statistischen Jahrbüchern der Schweiz)


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Eigene Darstellung und Berechnungen des Autors

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